Der Besuch des österreichischen Kanzlers Karl Nehammer in Bulgarien ist für ihn eine Möglichkeit, das Thema "Sicherung der Außengrenzen" wieder hochzuziehen. Dabei will die Regierung in Wien die Situation an der bulgarisch-türkischen Grenze offenbar so darstellen, als bräuchte man dort dringend "Entwicklungshilfe". Tatsächlich gibt es an dieser Grenze aber längst einen Zaun, und die technische Ausstattung ist auf hohem Niveau.

Der österreichische Kanzler Karl Nehammer mit dem bulgarischen Präsidenten Rumen Radev.
Foto: APA/BUNDESKANZLERAMT/ANDY WENZEL

Das Problem liegt ganz woanders: Unter dem ehemaligen Premier Bojko Borissov wurde der wichtigste Grenzübergang zur Türkei "teilprivatisiert", die Mafia unterlief staatliche Strukturen, vor allem wenn es um Lebensmittelkontrollen ging. In Bulgarien funktioniert die Gewaltenteilung nicht, weil es keine unabhängige Justiz gibt und weil korrupte Parteien wirtschaftliche Interessen verfolgen. Aus diesem Grund hat auch die niederländische Regierung ein Veto gegen den Beitritt Bulgariens zur Schengen-Zone eingelegt, sich aber explizit für den Beitritt Rumäniens ausgesprochen.

Der bulgarische Präsident Rumen Radev hat nun den Besuch Nehammers geschickt eingefädelt – er war zuvor zu Neujahr in Wien. Dabei sollte man nicht vergessen, dass es im bulgarischen Migrationsmanagement aber tatsächlich Probleme gibt: Fragt man Flüchtlinge, so erzählen sie etwa, dass die bulgarischen Beamten besonders brutal sind. Die bulgarischen Behörden kümmern sich zudem viel zu wenig um die Integration von Asylberechtigten, und viele Asylwerber ziehen weiter Richtung Mitteleuropa, weil genau das im Interesse des bulgarischen Staates ist.

Bauernopfer Rumänien

Das Signal, das von dem Besuch des österreichischen Kanzlers ausgeht, ist aber vor allem aus einem Grund seltsam: Weshalb reist Nehammer nicht zuerst nach Bukarest und versucht, die wirklich schwer beschädigten Beziehungen zu Rumänien, das auch wirtschaftlich für Österreich viel wichtiger ist als Bulgarien, wieder zu kitten? Denn es war schließlich Rumänien, das völlig ungerechtfertigterweise zum Bauernopfer des österreichischen Schengen-Vetos wurde.

Im Gegensatz zu Bulgarien wird die Schengen-Reife Rumäniens von keinem Experten infrage gestellt, über Rumänien kommen nur drei Prozent der Migranten. Nehammers Visite wird deshalb in Bukarest fast als weitere Beleidigung gesehen, weil Wien mehr am Beitritt Bulgariens interessiert scheint.

Manche Rumänen mutmaßen, dass Nehammer Bulgarien vorzieht, weil beide Regierungen – jene in Wien und jene in Sofia – als "Kreml-freundlich" gelten, im Unterschied zum klar prowestlichen Rumänien. Das mag wie eine Verschwörungstheorie klingen, hat aber damit zu tun, dass man keinerlei bessere Erklärung für das rätselhafte Verhalten Österreichs findet.

Rumänien fühlt sich doppelt verraten. Der Schengen-Beitritt wurde nämlich mit Bulgarien gekoppelt, weil man an der Donau keine Außengrenze errichten wollte. Nun bleibt man aber ganz auf der Strecke. Ihre Hoffnung setzen die Rumänen auf Berlin, das sich aus wirtschaftlicher Vernunft für sie einsetzt. (Adelheid Wölfl, 23.1.2023)