Forschende haben an der südbrasilianischen Küste ein erstaunliches Beispiel für die Kooperation zwischen Wildtieren und Menschen beobachtet und dabei neue Facetten einer Tradition entdeckt, die über ein Jahrhundert zurückreicht. Bei der Untersuchung des Jagdverhaltens von Delfinen zeigte sich, dass die Meeressäuger mit einheimischen Fischern aktiv zusammenarbeiten und dabei ihr Verhalten an den menschlichen Partner anpassen. Offensichtlich profitieren beide Seiten gut von diesem Arrangement – die Frage ist nur, wie langer noch.

Die Fangtradition ist mittlerweile gefährdet, einerseits wegen des Rückgangs an Tieren, aber auch wegen des sinkenden Interesses an nachhaltigem Fischfang. Noch treiben Delfine – Große Tümmler (Tursiops truncatus) – vor der brasilianischen Küste der Stadt Laguna aber Schwärme von Meeräschen vor sich her.

Ein Delfin nahe Praia da Tesoura in Laguna, Brasilien, gibt dem Fischer zu erkennen, dass Fische im Anmarsch sind.
Foto: Bianca Romeu/Universidade Federal de Santa Catarina

Einzigartige Erfahrung

Dadurch erhöhen sie für kurze Zeit die Fischdichte im Wasser und signalisieren den im hüfttiefen Wasser näher an der Küste stehenden Fischern, wo sie ihre Netze auswerfen müssen. Ein Forscherteam um Mauricio Cantor von der Universität von Santa Catarina konnte nun nachweisen, dass die Delfine dieses Verhalten aktiv steuern.

"Die Erfahrung, mit Delfinen zu fischen, ist einzigartig", berichtete Wilson F. Dos Santos aus Laguna, Brasilien, gegenüber der "New York Times". Der Fischer wirft seit 50 Jahren seine Netze neben den Delfinen aus. Er erlernte diese Praxis, als er 15 Jahre alt war, bis heute habe die Arbeit mit den Delfinen zum Familieneinkommen beigetragen.

Für die nun im Fachjournal "Pnas" veröffentlichte Studie haben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus Brasilien und vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz rund 15 Jahre lang das Verhalten der Fischer und Delfine beobachtet. Dabei nutzten sie auch Drohnen und Unterwasseraufnahmen.

Schon seit rund 140 Jahren fischen Menschen und Meeressäuger gemeinsam in den Gewässern von Laguna.
Foto: Fabio G. Daura-Jorge/ Universidade Federal de Santa Catarina
Doch die Tradition droht in den kommenden Jahren auszusterben.
Foto: Mauricio Cantor/ Oregon State University

Seit 140 Jahren im Team

"Es war bekannt, dass die Fischer das Verhalten der Delfine beobachten, um festzustellen, wann sie ihre Netze auswerfen sollten", erklärte Fabio Daura-Jorge, ebenfalls Forscher an der Universität im brasilianischen Santa Catarina. "Aber wir wussten nicht, dass die Delfine ihr Verhalten aktiv mit den Fischern koordinieren."

Sowohl Delfinen als auch Menschen nützt diese seit rund 140 Jahren bestehende Jagdtradition. Wie die Gruppe herausfand, profitieren die Delfine durch eine um 13 Prozent höhere Überlebensrate im Vergleich zu ihren allein jagenden Artgenossen. Die Fischer wiederum fangen rund viermal mehr Fische als ohne die Meeressäuger.

Video: Delfin-Mensch-Zusammenarbeit in Aktion.
Animal Planet

Fischfangkultur über Generationen hinweg

Dabei sei das kooperative Verhalten bei den Delfinen nicht genetisch bedingt, betonten die Forscherinnen und Forscher. Es sei vielmehr eine Besonderheit der Delfinpopulation bei Laguna. Sowohl Delfine als auch Menschen würden ihr Wissen an nachfolgende Generationen weitergeben.

Modellrechnungen zeigen jedoch, dass die Zusammenarbeit von Delfin und Mensch gefährdet ist. Denn in den vergangenen Jahren ging die Zahl der Fische in der Region stark zurück. Auch gebe es seitens der Küstenbevölkerung weniger Interesse, die spezielle Jagdtechnik zu erlernen.

Sterbende Tradition?

"Unsere Berechnungen zeigen, dass die Zusammenarbeit entweder für die Delfine oder die Fischer uninteressant werden könnte, wenn die gegenwärtige Entwicklung anhält", erklärte Daura-Jorge. Um die Zusammenarbeit von Delfin und Mensch zu bewahren, sei es nötig, die Gründe für den Rückgang bei den Meeräschen besser zu verstehen und nachhaltigen Fischfang zu fördern. (red, APA, 31.1.2023)