Christiane Pabst ist Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs.

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Rund um die Zeugnisvergabe – am Ende des ersten Semesters sowie vor den Sommerferien – erhält Christiane Pabst vermehrt Anfragen von Eltern, die die Noten ihrer Kinder aufbessern wollen. Von der Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs wollen sie "eine Art Gutachten", das sie den Lehrenden entgegenhalten können. Den Dialog über Fehler bewertet die Germanistin positiv: "Lehrerinnen und Lehrer sind weder die einzigen Richterinnen und Richter, noch darf man sie für jede Entscheidung verteufeln."

STANDARD: Wieso schreiben Ihnen Eltern von Schulkindern?

Pabst: Sie wollen prüfen, ob angestrichene Fehler in den Texten oder Schularbeiten ihrer Kinder wirklich Fehler sind. Es sei einfacher, mit den Lehrerinnen und Lehrern über eine Note zu diskutieren, wenn sie von mir so eine Art Gutachten haben, sagen die Eltern. Sie wissen, dass sie da, wo das Wörterbuch gemacht und das österreichische Deutsch kodifiziert wird, eine regelbasierte, fundierte Auskunft bekommen.

STANDARD: Was wollen sie wissen?

Pabst: Mein Lieblingsbeispiel ist ein Satz in der direkten Rede. Das Kind hat geschrieben: "Oskar ist durchgedreht" – und für diesen Satz aus nur drei Wörtern zwei grobe Fehler angestrichen bekommen: einen Ausdrucks- und einen Grammatikfehler. Es solle heißen: "Oskar hat durchgedreht", und der Ausdruck sei umgangssprachlich, argumentierte die Lehrkraft. Da hat sie aber zwei Dinge übersehen: Erstens darf die direkte Rede durchaus umgangssprachlich formuliert sein, im Gegensatz zum restlichen Text. Und zweitens kann man durchdrehen sowohl mit "haben" als auch mit "sein" bilden – Letzteres ist in Österreich üblich. Das Kind wurde also zu Unrecht korrigiert. Häufig kommen Fragen wie: Es müsse doch heißen: "Die Kinder buken den Kuchen", und nicht: "backten den Kuchen". Da ist aber beides richtig. Gerade wo es Formenvielfalt gibt, glauben viele, dass nur eine Variante richtig wäre.

STANDARD: Sollen Sie auch Übungsangaben von Lehrenden prüfen?

Pabst: Eine Mutter hat angefragt wegen eines Aufgabenblattes, wo die Kinder die Fälle üben sollten. In der Angabe stand: "Der Kater beißt der Oma in die Hand." Sie meinte, es sollte "Der Kater beißt die Oma in die Hand" heißen, der Fall sei falsch. Sie hat recht. Der Lehrerin ist hier der Dialekt in die Standardsprache gerutscht.

STANDARD: Was hat Sie überrascht?

Pabst: Manchmal habe ich mit Korrekturen zu tun, wo ich nicht weiß, wie die Lehrerinnen und Lehrer auf die Fehler gekommen sind. Ein Kind hat geschrieben: "Er konnte aber Oskar immer im Garten besuchen." Die Lehrkraft hat einen stilistischen Ausdrucksfehler gewertet und korrigiert: "Er konnte Oskar aber immer im Garten besuchen." Dabei sind beide Sätze völlig in Ordnung, es werden einfach andere Dinge betont. Da hätten viele umjubelte Autorinnen und Autoren gar nicht publiziert, wenn es nach manchen Lehrerinnen und Lehrern geht, die sehr schnell sind mit dem Rotstift.

STANDARD: Woran liegt das?

Pabst: An der Unsicherheit mancher Lehrerinnen und Lehrer. Einige melden sich auch bei mir. Ich merke in den Gesprächen, dass gerade die, die in der Rechtschreibung nicht so sicher sind oder dazu wenig Input im Studium bekommen haben, wesentlich strenger korrigieren als jene, die ein breites Wissen in Orthografie, Grammatik und Stilistik haben. Gerade wenn man in die Stilistik der Kinder eingreift und zu Unrecht verbessert, kann das sehr demotivierend für Schülerinnen und Schüler sein, sie verlieren ihr Selbstbewusstsein beim Schreiben. Geht es nur um die Schönheit eines Satzes, sollte man im Zweifel für das Kind entscheiden.

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Manche Lehrerinnen und Lehrer seien sehr schnell mit dem Rotstift – auch aus einer Unsicherheit heraus, erzählt Christiane Pabst.
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STANDARD: Plädieren Sie für mehr Milde in gewissen Fällen?

Pabst: Ja. Und dafür, das Wörterbuch und Grammatiken zu konsultieren. Deutschlehrerinnen und -lehrer wissen nicht zwingend alles besser. Es kommen immer neue Jugendwörter dazu. Oder das, was als umgangssprachlich gilt, verändert sich. Lehrkräfte sollten auch immer wieder ihre eigene Sprachpraxis und Textproduktion hinterfragen. Ich orte da auch einen Nachholbedarf in der Ausbildung von Lehrenden.

STANDARD: Liegen die Lehrerinnen und Lehrer auch mal richtig?

Pabst: Ja. Bei einem Beispiel ging es um den Satz "Das Geburtstagskind hat den Clown Willkommen geheißen". Eigentlich gehört "willkommen heißen" kleingeschrieben, weil es ein Adjektiv ist. Das hat die Lehrerin auch angestrichen. Die Eltern meinten, weil etwas wichtig erscheint – das Willkommenheißen –, wird es großgeschrieben. Das ist eine Entwicklung, die ich immer häufiger sehe. Aber: In der Mehrheit der Fälle, die bei mir eintreffen, muss ich den Eltern recht geben.

STANDARD: Erhalten Sie auch Anfragen zum Gendern?

Pabst: Erst zweimal. Gefragt wurde, ob man in der Oberstufe gendern sollte. Geschlechtersensibilität ist wichtig, die Form obliegt der Schülerin und dem Schüler. Ich finde Paarformen sinnvoll oder Sammelformen wie "Lehrkräfte". Vom Genderstern oder Doppelpunkt, die orthografisch gar nicht als Formen gelten, rate ich ab, da die grammatischen Formen oft problematisch sind. Das ist selbst für routinierte Schreiberinnen und Schreiber schwer zu handeln – schon gar nicht für Schülerinnen und Schüler. Wobei sie viel sensibler geworden sind. (Selina Thaler, 10.2.2023)