Manche junge Menschen sehen sich als "Generation Dauerkrise".
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Erst Corona-Pandemie, dann Ukrainekrieg und Teuerung, ein allgegenwärtiger Klimawandel, verheerende Erdbeben in der Türkei und Syrien. Eine Krise scheint die andere abzulösen, die Welt steckt in einer nicht enden wollenden Multikrise – und mit ihr viele junge Menschen. Wie schlimm kann es noch werden, fragen sie. Manche sehen sich als "Generation Dauerkrise", sprechen von einer "Sorgeninflation".

Das Gefühl ist nachvollziehbar. Die letzten drei Jahre waren für viele alles andere als eine unbeschwerte Jugend. So zählten die Studierenden zu den Ersten, die im März 2020 in die Distanzlehre geschickt wurden, dort blieben sie mehrere Semester. Nicht wenige haben mit Ausbruch der Pandemie ihr Studium begonnen und es mittlerweile abgeschlossen – sie waren in der Zeit kaum an der Hochschule.

Als die Gefahr durch das Virus abebbte, kam eine neue dazu: Erstmals erleben Junge einen Krieg in Europa. Auch wenn er nicht direkt vor der Haustür stattfindet, sehen sie ihn live auf Social Media. Genauso, wie Bilder von verschütteten Menschen. Dazu mischen sich womöglich Sorgen um türkische Verwandte.

Und mit der anhaltenden Teuerung wird das ohnehin knappe Budget der meisten Studierenden noch kleiner. Für manche stellt sich nicht die Frage, ob sie am Ende des Monats nur Nudeln mit Pesto essen, sondern wie oft. Oder ob sie zum Lernen die Wohnung heizen, wenn die Bibliothek aus Energiespargründen zu ist.

Wenig Leichtigkeit

Was in Corona-Zeiten nicht möglich war, wie zum Beispiel reisen oder ins Restaurant gehen, geht zwar wieder, ist aber oft zu teuer. Das frustriert, insbesondere wenn man die letzten Jahre das Gefühl hatte, sowieso vieles zu verpassen. Mitunter aus Not und Verzweiflung kleben sich junge Menschen auf die Straßen und beschütten Gemälde mit Suppe, um später noch eine lebenswerte Welt zu haben. Sie sind frustriert vom Stillstand der Politik, der Erwachsenen, die eigentlich wollten, dass es ihren Kindern einmal besser geht.

Zukunftsängste treiben die jungen Menschen um. Besonderes der Klimawandel mobilisiert.

"Krisen hat es immer gegeben, aber die Erschütterungen sind viel heftiger geworden", beobachtet Franz Oberlehner, Leiter der Psychologischen Studierendenberatung Wien. Die Unsicherheit und fehlende Perspektiven machen den Studierenden zu schaffen. "Das Studium sollte eigentlich die schönste Zeit im Leben sein, heißt es oft. Das ist es derzeit eigentlich nicht", sagt Studentin Sara Velić vom Vorsitzteam der Österreichischen Hochschülerinnenschaft (ÖH). Mit Corona und neuen ECTS-Regelungen habe der Leistungsdruck stark zugenommen, insbesondere als alle für sich allein zu Hause lernen mussten und das Soziale im Studium wegfiel.

"Es geht wirklich vielen sehr schlecht, das hat zugenommen. Bei mehr als der Hälfte unserer Klienten liegt eine klinisch relevante psychische Belastung vor, zum Beispiel Depressionen und Ängste, die therapeutisch und psychiatrisch behandelt werden müssen", sagt Oberlehner. Auch etliche Studien zeigen: Die Pandemiejahre belasteten die Jungen besonders. Zuletzt legte eine Studie des Instituts für Jugendkulturforschung im Auftrag des Magazins Pragmaticus nahe: Die 16- bis 29-Jährigen blicken relativ zuversichtlich auf ihre eigene Zukunft. Was die Zukunft der Gesellschaft anbelangt, sind sie aber sehr pessimistisch.

Existenzielle Sorgen

Bei Oberlehner und seinem Team sei die Nachfrage enorm. Die 50 Erstgespräche, die die Wiener Beratung wöchentlich vergibt, seien immer binnen fünf Minuten ausgebucht. Obwohl das Angebot für psychologische Unterstützung an den Hochschulen in den Vorjahren ausgebaut wurde, reiche es laut Therapeut Oberlehner und Studierendenvertreterin Velic nicht. An manchen Hochschulen gibt es keine Beratungsstelle. Sie fordern mehr kassenfinanzierte Therapieplätze, damit die Studierenden mittelfristig gut versorgt seien. Denn: Selbst eine Sitzung bei einer Therapeutin in Ausbildung sei laut Oberlehner mit 40 Euro für manche – nicht nur in der aktuellen Situation – nicht leistbar.

Neben üblichen Anliegen wie Prüfungsangst oder Aufschieberitis kämen die Studierenden zunehmend wegen Ängsten ob der unsicheren Zukunft und der Teuerung. Aber auch, weil viele unter einer Post-Corona-Depression litten. Sie hätten Probleme, im Präsenzmodus anzukommen, Struktur ins Leben zu bringen, wieder da anzuknüpfen, wo sie vor Corona gestanden seien.

Viele Studierende leiden laut dem Leiter der Psychologischen Studierendenberatung Wien an einer Post-Corona-Depression und haben Schwierigkeiten, sich auf die Uni zu konzentrieren.
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Die Reaktion darauf: "Die einen reagieren depressiv, von anderen höre ich immer häufiger, dass sie synthetische Drogen nehmen und Party machen, um der Welt zu entfliehen", sagt Oberlehner. Manche stürzten sich zur Ablenkung ins Studium und wollten den Uni-Stress schnell hinter sich bringen. Aber für die Mehrheit gelte: "Je stärker die Sorgen sind, desto schlechter kann man lernen."

Oberlehner beobachtet, dass die Kluft größer werde zwischen jenen, die im Studium vorankommen, bei guter Stimmung sind und mitunter krisenfester wurden, und solchen, die massive Probleme haben. Die Krise trifft ohnehin jene stärker, die schon schwierigere Startbedingungen haben. "Viele Familien müssen sicher zweimal darüber nachdenken, ob sie ihren Kindern ein Studium ermöglichen können", sagt Velić. An die Uni zu gehen könnte künftig wieder mehr zum Luxus werden.

Gleichzeitig bleibt die 23-Jährige optimistisch: In all den Krisen seien viele Junge politisch aktiv geworden. Die Welt zu einem besseren Ort zu machen sei für einige ein Antreiber. "Wo, wenn nicht an der Hochschule durch Forschung, Neugier und Austausch damit anfangen?", plädiert Velić. (Selina Thaler, 2.3.2023)