Ein großer Luftsack. Vier lange Pfeifen. Laute, schrille Töne, die durch Mark und Bein gehen. Der rauchige Geruch von Whiskey. Stramme Waden. Dichtgewebte Röcke in Karomuster. Und darunter ein Hauch von Nichts. Passend zum Internationalen Tag des Dudelsacks am 10. März ist das Klischee des perfekten Dudelsackspielers fertig. Aber so einfach ist es dann doch nicht. Das sieht zumindest Karl Wallner so. Er ist Gründer der ersten und einzigen Dudelsackschule Österreichs.

Besonderes Hobby

An einem kühlen Abend im März wartet der Dudelsacklehrer vor den Toren der Maria-Theresien-Kaserne im 13. Wiener Gemeindebezirk. Er trägt eine schwarze Hose und bequeme Sportschuhe. Immerhin ziert die Winterjacke ein Schottenmuster. Langsam trudeln auch die anderen Mitglieder der Austrian Piping Society Pipe Band ein. Insgesamt treffen sich heute neun Personen, um einem besonderen Hobby nachzugehen. Ihnen gemeinsam: Sie alle haben bei Wallner das Dudelsackspielen gelernt.

Die nächsten zwei Stunden musizieren sie gemeinsam. Die Truppe ist bunt durchgemischt, vom Familienvater mit haufenweise Schwimmnudeln im Auto bis hin zu Karl Wallner, den man sich mit seinem Man-Bun und der Holzkette um den Hals glatt Dudelsack spielend am Strand vorstellen kann.

Die Austrian Piping Society Pipe Band.
Foto: Austrian Piping Society

Langer Atem

Die einzelnen Gründe, die zum Dudelsackspielen geführt haben, sind so unterschiedlich wie die Gruppe. "Ich wollte alle zu meiner Hochzeit überraschen und selbst mit dem Dudelsack auftreten", erklärt eines der Mitglieder mit schottischen Wurzeln. Gedauert hat das ambitionierte Vorhaben gute zwei Jahre. "Ich habe ein Jahr lang beim Spielen fast keine Luft mehr bekommen, bis ich endlich draufgekommen bin, dass mein Dudelsack die ganze Zeit undicht war", erzählt Astrid lachend. Sie hat bereits in Schottland gelebt und musiziert mittlerweile mit einem funktionierenden Instrument. Man merkt schnell: Der Dudelsack ist ein Instrument für Menschen mit langem Atem, nicht nur beim Spielen. Es wird davon erzählt, dass die Lippen sich erst an das Mundstück gewöhnen müssen, damit keine Luft entweicht. Auch die Backen bekommen zwischendurch ordentlich Muskelkater.

Im Proberaum der Militärgarde herrscht hektisches Treiben. Dudelsack-Trolleys werden geöffnet und knallgelber Gehörschutz in die Ohren gestöpselt, denn "es kann schon ziemlich laut werden". Wird es auch. Betritt man den Saal, befindet sich das Dirigentenpult gleich bei der Eingangstür. Ähnlich einem Amphitheater führen dahinter im Halbkreis kleine Podeste nach oben. Auf den so gebildeten Rängen stehen Notenständer und Stühle. Aus langen Deckenflutern strömt gelbliches Licht. Auffällig ist der Boden, der wie ein Mosaik aus etwas größeren Holzstücken zusammengesetzt ist, die an einigen Stellen wackeln. Trotz Stolpergefahr strahlt das Musizierzimmer eine angenehme Mischung aus Ehrwürdigkeit und pragmatischem Bürosessel-Chic aus.

Komplexes Instrument

Der Dudelsack blickt auf eine lange Geschichte zurück. Bereits im Mittelalter gibt es Belege einer "Sackpfeife". Der Ursprung könnte sogar noch früher bei den Hethitern oder im Perserreich liegen. Auf Reliefs lassen sich Instrumente erkennen, die durchaus als dessen Vorgänger durchgehen könnten. Wenn man heute vom Dudelsack spricht, ist in den meisten Fällen die Great Highland Bagpipe gemeint. Die Bagpipe spielte vor allem in Schottland eine wichtige Rolle in der Militärmusik und gilt als Nationalinstrument, jährlich finden Dudelsack-Weltmeisterschaften statt. Das Erlernen des Instruments, das aus Bag, Drones, Chanter und Blowpipe besteht, kann schon einmal zwei Jahre dauern, bis es "anständig klingt". Viel hänge vom Talent und Übungseifer ab.

Ein Dudelsack aus Bag, Drones, Chanter und Blowpipe.
Foto: Austrian Piping Society

Während die anderen ihre Dudelsäcke aufbauen, berichtet Profi Wallner von seinen Musizieranfängen: "Damals gab es noch keine Kurse in Österreich, nur alle sechs Monate einen Workshop in Bad Goisern. Das heißt, ich musste Monate warten, um neue Instruktionen zu erhalten." In der übrigen Zeit wiederholte der damalige Dudelsackschüler die Übungen, die er bereits gelernt hatte, und experimentierte selbst mit dem Instrument. Youtube-Tutorials für Bagpipes existierten damals noch nicht.

Bevor man übrigens mit ganzer Ausrüstung musiziert, wird lange nur auf der Übungsflöte geprobt. Das Dudelsackspielen erfordert Geduld, Ausdauer und Geld. Für eine Einsteiger-Bagpipe legt man rund 500 Euro hin, anspruchsvollere Modelle kommen auf 2.000 Euro. Gitarrengeklimper am Lagerfeuer ist weniger aufwendig. Vielleicht sind diese Hindernisse aber auch das Geheimnis für die Begeisterung: Um in die Riege der Bagpiper aufgenommen zu werden, muss man ordentlich in Vorleistung gehen. Das schweißt zusammen.

Dudelsack-Start

Im Saal wird es still. Die Austrian Piping Society hat sich im Raum verteilt. Wallner steht vor ihnen, quasi als Dudelsackdirigent. Die meisten von ihnen tragen ein dunkelgraues Poloshirt mit dem Vereinslogo auf Brusthöhe. Der Kilt wird nur für Auftritte oder festliche Anlässe ausgepackt. Langsam beginnt der Dudelsacklehrer rhythmisch zu stampfen, die Augen der anderen sind konzentriert auf ihn gerichtet. Das dumpfe Echo seiner Schritte hallt durch den Raum. Die anderen stehen still. Auf einmal liegt archaisches Highland-Feeling in der Luft, jetzt fehlt nur der Whiskey. Dass Wallner sein Handy wenige Sekunden zuvor an jede Pipe gehalten hat, um das Instrument zu stimmen, wirkt auf einmal absurd modern.

"Wir starten den Dudelsack!", weist er an. Plötzlich blasen alle zeitgleich Luft in das Instrument, drücken mit dem Arm in den Luftsack und kippen die langen Drones der Pipe nach oben. Wie Schornsteine ragen die drei langen Flöten in die Höhe. Eine davon, die Great Drone, ist deutlich länger als die anderen. Bei dem Eifer, mit dem ab jetzt in das Instrument geblasen wird, könnte glatt Rauch aufsteigen. Der Kickstart des Dudelsacks passiert im Bruchteil einer Sekunde und kommt unerwartet. Das ist beinahe schade, denn der erste Moment der kollektiven Synchronität hat etwas Magisches. Spätestens jetzt wird klar, warum der Gehörschutz nicht fehlen darf.

Die Dezibelzahl im Proberaum ist deutlich gestiegen, wackelt da vor geballter Dudelsack-Akustik ein Notenständer? Die Klänge einer Bagpipe können bis zu 140 Dezibel betragen, das ist ungefähr so laut wie ein Düsenflugzeug in 30 Meter Entfernung. Die Töne hallen schrill durch den Raum und verlangen volle Aufmerksamkeit, dem Instrument kann man nicht nur mit einem Ohr zuhören. Neun Dudelsack spielende Menschen auf einem Fleck sorgen definitiv für mystisch-majestätische Stimmung. "Bagpipes stir the blood" heißt es in Schottland – in Anspielung darauf, dass der Klang der Pipes die Hörenden aufwühlt. Zur Freude seiner Schülerinnen und Schüler hat Wallner seine Bewunderung für das Instrument nie verloren: "Bei mir war es von Beginn an die volle Liebe zu diesem Sound. Man kann schwer beschreiben, was genau es ausmacht, aber für mich ist es einfach pure Faszination."

Kein Gedudel

Dudelsackspielen ist äußert komplex. Angestrengt wird da in das Mundstück hineingeblasen, die Finger fliegen über den Chanter, der Blick bleibt hochkonzentriert. Als nette Dudelei kann man das Ganze sicher nicht abtun, das Musizieren erfordert vollen Körpereinsatz. "Ich bevorzuge das Wort Highland-Pipe statt Dudelsack und würde mir wünschen, dass die Leute verstehen, dass es ein sehr ernstes und seriöses Instrument ist, kein Gedudel", bemerkt Wallner.

Die Frage, was Dudelsackspieler unter dem Kilt tragen, kann er nicht mehr hören. Für die neugierigen Nasen: Aus hygienischen Gründen wird empfohlen, Unterwäsche unter dem traditionellen Gewand zu tragen. Das wird in den meisten Fällen nämlich nur mehr ausgeborgt und nicht mehr gekauft. Die Austrian Piping Society tritt aber in ihren eigenen Kilts auf. Sogar der Tartan, also das Muster des traditionellen Rocks, haben sie im "Scottish Register of Tartans" eintragen lassen. Vor dem Gebäude ist vom Dudelsack nichts mehr zu hören, dafür bläst ein kalter Märzwind über das Kasernengelände. In den schottischen Highlands wäre das wohl ein milder Tag. (Elena Sterlini, 10.3.2023)