Wirtschaftswissenschafter Thomas Gehrig schreibt in seinem Gastkommentar, wie man künftig Banken krisensicherer machen könnte.

Nur 15 Jahre nach der großen Finanzkrise befinden sich die westlichen Bankensysteme wieder in erheblichen Turbulenzen. Während in den USA große Regionalbanken ins Wanken geraten sind, stehen in Europa insbesondere die Großbanken unter Druck. Wie konnte das geschehen? Diese Frage stellt sich insbesondere, da nach der großen Finanzkrise erhebliche Anstrengungen unternommen worden sind, künftig derartige Krisen zu vermeiden.

Die Schweizer Großbank UBS übernimmt die in arge Schwierigkeiten geratene Credit Suisse. Die Lage an den Finanzmärkten bleibt angespannt.
Foto: Reuters / Denis Balibouse

Damals wie heute sind die rasche Straffung der Geldpolitik und die damit verbundenen Zinserhöhungen Auslöser der Unruhe im Bankensystem. Dadurch gerieten sowohl die Silicon Valley Bank (SVB) als auch die Credit Suisse (CS) in arge Bedrängnis. Erstere, weil sie einen großen Anteil langfristiger Staatsanleihen in ihren Büchern hielt, und Letztere, weil sie circa 30 Prozent ihrer Aktiva in langfristigen Krediten angelegt hatte. Die gute Nachricht vorneweg: Die meisten anderen Großbanken halten deutlich weniger langfristige Anleihen in ihren Portfolios und sind somit viel weniger dem durch die Geldpolitik herbeigeführten Zinsänderungsrisiko ausgesetzt. Dies reduziert die unmittelbare Gefahr einer Wiederholung einer großen Bankenkrise.

Dennoch stellt sich die Frage, wieso insbesondere die Wertpapiere der europäischen Großbanken selbst nach der Rettung der CS durch die UBS so stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind und warum sie kurzfristig teils mehr als zehn Prozent ihrer Werte einbüßten. Schließlich fühlten sich selbst der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sowie diverse Aufsichtsbehörden genötigt, öffentlich zu versichern, dass die europäischen Großbanken gut aufgestellt und profitabel seien.

Adäquate Kapitalpuffer

Die Antwort liegt sicherlich darin, dass die Lehren aus der Finanzkrise von 2007 nicht vollständig umgesetzt worden sind und insbesondere nicht dort, wo sie am wichtigsten gewesen wären, nämlich bei den Großbanken. Während die US-Regierung im Nachgang der Finanzkrise bei sämtlichen Großbanken Eigenkapital aus Steuermitteln zugeschossen hat, wartet Europa immer noch auf eine solche Stärkung seiner Großbanken.

Die wenigen durchgeführten Rekapitalisierungen waren allein der unmittelbaren Notwendigkeit geschuldet. So wurden 2007 der insolvent gewordenen UBS Staatsanteile zugeführt, bevor sie mit neuem Geschäftsmodell wieder auf eigene Beine gestellt wurde und nun als Retter der CS zur Seite springen konnte. Aufgrund ihres guten Managements in der Finanzkrise genoss die CS offensichtlich das Wohlwollen der Finanzmarktaufsicht und konnte im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten ihre Eigenkapitalausstattung auf niedrigem Niveau halten und trotz abnehmender Profitabilität im hochriskanten Investmentbanking regelmäßig eigene Aktien zurückkaufen.

"Angemessene Kapitalpuffer sind letztlich Investitionen in die Vermeidung des Krisenfalls, und dieser wird für die Steuerzahlenden besonders teuer, wenn er bei den Großbanken eintritt."

Paradoxerweise ist nun aber genau die Bank in Schwierigkeiten geraten, die die Finanzkrise gut überstanden und im Nachgang durch Aktienrückkäufe ihre Kapitalisierung regelmäßig reduziert hat, wohingegen die andere Bank nun als Retter zur Seite steht, die zwangsweise neu mit Eigenkapital ausgestattet werden musste. Am aktuellen Beispiel von UBS und CS zeigt sich der Wert einer Investition in Krisenvermeidung nach erfolgtem Krisenfall.

Angemessene Kapitalpuffer sind letztlich Investitionen in die Vermeidung des Krisenfalls, und dieser wird für die Steuerzahlenden besonders teuer, wenn er bei den Großbanken eintritt. Insofern ist es erstaunlich, dass sich die europäische Aufsicht im Rahmen der Basel-III-Vereinbarungen vehement und letztlich erfolgreich für eine Milderung der Eigenkapitalvorschriften für Großinstitute eingesetzt hat.

Wenngleich in der Aufarbeitung der Finanzkrise unzweifelhaft Fortschritte in der Bankenregulierung gemacht wurden, sind diese vor allem bei den kleineren Aktien- und Regionalbanken festzustellen, weniger jedoch bei den Großbanken. Auch wenn die europäischen Großbanken wieder profitabel sind, haben sie längst nicht mehr die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Vorkrisenniveaus erzielt, wohingegen die rekapitalisierten US-Banken wieder ganz oben auf den internationalen Ranglisten nach Marktkapitalisierung zu finden sind.

Anhand der zeitlichen Entwicklung marktbasierter Maße für Systemrisiko kann man ablesen, dass die Krisenanfälligkeit der europäischen Großbanken seit 2008 deutlich gesunken ist, jedoch nicht auf das Niveau von 2004. Einen solchen Abbau des Systemsrisikos auf Vorkrisenniveau findet man in Europa nur bei der UBS und bei kleineren Großbanken.

Eine Win-win-Lösung

Angesichts der positiven Erfahrungen mit der Rekapitalisierung der UBS und der US-amerikanischen Großbanken und der aktuellen multiplen Krisenlage wäre es dringend geraten, die Krisenfestigkeit der europäischen Großbanken durch eine Festigung der Kapitalbasis zu erhöhen. Da nicht zu erwarten ist, dass Altaktionäre einer Verbreiterung der Kapitalbasis freiwillig zustimmen, ist auch eine Zwangskapitalisierung durch temporäre staatliche Anteilnahme überlegenswert.

Wenn durch frühzeitige Schutzmaßnahmen zur Krisenvermeidung künftig Steuermittel zur Bankenrettung eingespart werden können, hätte eine solche Politik den Charme einer Win-win-Lösung. Turbulenzen am Bankenmarkt könnten dann wieder Geschichte werden. Dagegen ist zu befürchten, dass die Genehmigung von Aktienrückkaufprogrammen durch die Finanzmarktaufsicht die Verstetigung der Turbulenzen fördert. (Thomas Gehrig, 13.4.2023)