"Klimaschutz und Naturschutz stehen in einer Spannung. Bei Projekten muss man auch harte Entscheidungen treffen", sagt Martina Berthold. Aber es gebe auch Tabuzonen.

Foto: Birgit Probst

Martina Berthold ist erst im September zur grünen Spitzenkandidatin für die Salzburger Landtagswahl am 23. April ernannt worden. Sie übernahm auch das Amt der Landesrätin, nachdem ihr Vorgänger Heinrich Schellhorn nach einem Pflegeskandal in einem Senecura-Altenheim zurückgetreten war. Die Situation damals sei falsch eingeschätzt worden, sagt Berthold im Gespräch mit dem STANDARD. Die Zusammenarbeit mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) kennt sie bereits aus der ersten Dreierkoalition.

STANDARD: Die Grünen sind seit zehn Jahren in der Landesregierung und seit fünf Jahren auch für den Energiebereich zuständig. Warum steht in Salzburg immer noch kein einziges Windrad?

Berthold: Wir haben einen Landeshauptmann, der vor einigen Jahren noch gesagt hat, Salzburg ist ohne Windräder komplett, ÖVP-Bürgermeister, die für einen Bezirk ein Windkraftmoratorium ausgerufen haben, und wir haben einen Salzburg-AG-Vorstand gehabt, der den Ausbau der erneuerbaren Energien gebremst hat. Wir sind jetzt da, um Druck zu machen. Der hat gefruchtet: Wir haben am Lehmberg im Flachgau die zweite Unterschrift, damit das Projekt starten kann. Wir erwarten beim Windsfeld im Pongau die UVP-Einreichung noch mit dem heurigen Jahr. Da geht jetzt einiges voran.

STANDARD: Der Landeshauptmann kritisiert, dass sich ausgerechnet die Grünen gegen einfache Verfahren für Anlagen zur Erzeugung für erneuerbare Energien gestemmt haben.

Berthold: Das ist inhaltlich nicht korrekt. Wir wollen schnellere Verfahren. Der Weg dahin ist unterschiedlich. Die ÖVP möchte das machen, indem sie den Naturschutz aushebelt und schwächt. Da gehen wir nicht mit. Wir haben einen Vierpunkteplan vorgestellt mit einem Salzburger Klimaschutzgesetz, einem starken amtlichen Sachverständigen, einer aktiven Energieraumplanung der Gemeinden, um Flächen für Windparkprojekte oder Photovoltaikanlagen zu reservieren, und mehr Beratung und Begleitung in der Planungsphase, abgestimmt mit dem Naturschutz.

STANDARD: Sind erneuerbare Energien und Naturschutz vereinbar?

Berthold: Ja, weil es Projekte gibt, wo man ganz klar über Ausgleichsmaßnahmen Entscheidungen vorantreiben kann. Klimaschutz und Naturschutz stehen in einer Spannung. Bei Projekten muss man beides abwägen und auch harte Entscheidungen treffen. Wie zum Beispiel beim Salzachkraftwerk Stegenwald, wo ich als Mitglied des Salzburg-AG-Aufsichtsrates dem Baubeschluss zugestimmt habe. Es gibt für mich auch Tabuzonen: Einen Windpark im Nationalpark spielt es mit uns nicht. Aber wir müssen, um unser Überleben zu sichern, die Energiewende schaffen, und da brauchen wir alle Energieformen. Das ist eine klare Aussage in Richtung FPÖ, die sagt, wir würden keine Windkraft brauchen.

"Meine Devise ist: Hart zur Sache und weich zur Person", sagt Martina Berthold zur Koalitionszusammenarbeit mit der ÖVP.
Foto: Birgit Probst

STANDARD: Der große Koalitionspartner ÖVP hat in den zwei Funktionsperioden nie mit Kritik an den Grünen gespart. Hat man aus politischer Sicht in der Dirndlkoalition verloren?

Berthold: Wir haben ein Resümee gezogen, welche Projekte wir durchgebracht haben. Die Liste ist lang. Es sind Projekte, wo die ÖVP vor der Sitzung in der ersten Periode gesagt hat: Das geht ganz sicher nicht. Zum Beispiel die Leerstandsabgabe, das Verbot der illegalen Zweitwohnsitze, auch das scharfe Raumordnungsgesetz. Das sind Projekte, die es ohne die Grünen nicht geben würde. Für Menschen mit Behinderungen und bei den Seniorenwohnhäusern sind wir weg von der Großunterbringung zu kleinen Wohngemeinschaften, und Salzburg ist das Pilotbundesland im Bereich der persönlichen Assistenz.

STANDARD: Wilfried Haslauer hält immer diese neue politische Kultur in Salzburg hoch. Und trotzdem hat man an Kritik nicht gespart.

Berthold: Die Politik ist keine Kuschelcouch. Meine Devise ist: Hart zur Sache und weich zur Person. Ich muss nicht die Personen angreifen, aber sehr wohl, wie Politik gemacht wird oder was inhaltlich umgesetzt wird. Um Gesetze umsetzen zu können, brauchst du Mehrheiten. Du musst dich natürlich auch selber bewegen.

STANDARD: Die ÖVP hat für die nächste Regierung Koalitionsbedingungen vorgelegt. Darunter auch die Europark-Erweiterung. Werden die Grünen da mitgehen?

Berthold: Wir wollen lebendige Ortskerne und Stadtteile haben. Das müssen wir schaffen. Daher ist eine Konzentration auf den Europark nicht der richtige Weg. Für die Ortskernbelebung müssen sich wieder Geschäfte ansiedeln, und es braucht einen Platz mit Aufenthaltsqualität, Schatten, Kaffeehäusern, dass Kinder spielen und ältere Menschen am Bankerl sitzen können.

STANDARD: Würden Sie mitgehen bei der Europark-Erweiterung, um in die Koalition zu kommen?

Berthold: Das Thema wird diskutiert werden. Wenn wir in Regierungsverhandlungen sind, werden wir einen gemeinsamen Weg finden.

STANDARD: Der Pflegeskandal im Senecura-Heim hat zwar ein politisches Erdbeben ausgelöst, aber rechtlich ist nicht viel übrig geblieben. Die Verfahren sind alle eingestellt worden. Hätte Heinrich Schellhorn gar nicht gehen müssen?

Berthold: Die Situation damals ist falsch eingeschätzt worden. Die Dringlichkeit und die Dynamik des Ganzen. Im Nachhinein ist man gescheiter. Es gibt einen Handlungsbedarf im Pflegebereich, aber die Kontrollmechanismen wie die Heimaufsicht, die Bewohnervertretung und die Volksanwaltschaft funktionieren. Wir sind in enger Abstimmung. Der Pflegebereich hat die höchste Priorität. Neben einem neuen Pflegegesetz habe ich die Erarbeitung eines neuen Tarifmodells und flexiblerer Ausbildungen in Auftrag gegeben. Wir haben 30 Millionen Euro mehr pro Jahr in der Langzeitpflege und 220 Millionen zusätzlich für den gesamten Pflegebereich in den nächsten fünf Jahren. (Stefanie Ruep, 14.4.2023)