Nur nicht zu spät kommen und hoffentlich alles eingepackt: Der erste Arbeitstag kann zur Nervenprobe werden.

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Wer kennt es nicht: Das Bewerbungsgespräch steht an, man ist schon Tage vorher angespannt, schreibt sich zahlreiche Fragen auf und hat vor allem eines: großen Respekt davor. Viele junge Menschen, die ihr erstes Bewerbungsverfahren durchlaufen, fürchten sich vor den vielen neuen Situationen.

Man möchte überzeugen, selbstbewusst wirken, freundlich ankommen, kluge Fragen stellen. Angst vor dem Versagen oder Panik vor Fettnäpfchen ist völlig normal, denn meistens weiß man nicht, was genau einen erwartet. Werden die Vorgesetzten nett sein? Meistere ich den ersten Eindruck souverän? Wirke ich überzeugend?

Abhilfe schaffen vor dem großen Tag bereits einige kleine Tricks, die jede und jeder umsetzen und immer wieder in anderen wichtigen Situationen anwenden kann.

Der Wiener Facharzt für Psychiatrie und Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien Georg Psota beschäftigt sich schon lange mit dem Thema Angst, die auch die häufigste psychische Diagnose ist. "Wenn wer bei einem großen Auftritt nicht einmal ein bisschen ins Schwitzen kommt, ist das sogar viel bedenklicher", sagt der Arzt. Eine gewisse Angst vor einer neuen Situation ist sogar hilfreich. Sie macht fokussierter, motivierter, treibt an und kann teilweise Leistungen verbessern.

Kurzfristig außer Kontrolle

Wer kurz vor einem Bewerbungsgespräch richtig in Panik gerät, spürt dies vermutlich körperlich: Blutdruck und Puls steigen, man zittert, schwitzt, und die Körpertemperatur steigt. Die Symptome können leicht, aber auch sehr schwer sein.

Selbst dann ist es möglich, sich zu beruhigen. Am besten kämpft man nicht dagegen an und versucht sie durch mehr Panik zu lindern. Meistens führt dies nur zu einer Verstärkung der Symptome. Besser ist, den Fokus auf eine andere Situation oder ein Objekt zu lenken und zu versuchen, die Panik hinzunehmen und zu akzeptieren.

Meistens aber tritt keine kurzfristige Panik, sondern eine Furcht auf, die schon etwas länger vor dem ersten Kennenlernen besteht. Gefürchtet werden dabei häufig die sogenannten Blackouts. Dabei handelt es sich laut Psota um eine Überaktivierung der Angst, die in dem Moment die Leistung blockiert. Vorbeugen kann man der Blockade mit guter Vorbereitung.

Wer zum Bewerbungsgespräch, zur Prüfung oder dem ersten Arbeitstag Schummelzettel mit Fragen und Aussagen im Falle des Blackouts mitnimmt, kann sich auch kurzfristig retten. Oft hilft auch schon das Wissen, dass ein Schummelzettel eingesteckt ist.

Sich auf das Geschehen konzentrieren

Die meisten Menschen können sich aber bereits längere Zeit vor einem wichtigen Ereignis so vorbereiten, dass es entspannt abläuft. Der Trainer für emotionale Intelligenz, Dalibor Ostojic, trainiert sowohl Leistungsportlerinnen und -sportler als auch Managerinnen und Berufseinsteiger mental.

Vor allem das richtige Handeln ist wichtig, um zu punkten, sagt Dalibor Ostojic, Trainer für emotionale Intelligenz.

"Man sollte sich voll und ganz auf das Handeln konzentrieren", empfiehlt Ostojic für ein Bewerbungsgespräch oder einen ersten Arbeitstag. Wer negatives Gedankenkreisen zulässt, vergesse schnell, was genau für ein erfolgreiches Gespräch wichtig ist. Dazu zählt etwa das Vorbereiten von Gesprächen oder auch das Planen des ganzen Tages und welche Szenarien beim Kennenlernen eintreten könnten.

Er empfiehlt seinen Klientinnen und Klienten, sich ihrer Rolle in dem Moment des Geschehens bewusst zu sein: Wie will ich ankommen, wie will ich gesehen werden? Dann gilt es, die Wunscheinstellung umzusetzen. Will man vor potenziellen Kolleginnen gelassen und kompetent wirken, sollte man die Rolle aktiv einnehmen und sich darauf konzentrieren. "Wer sich nur darauf fokussiert, was er oder sie nicht kann, wird auch keine gute Performance abliefern."

Die Stärken stärken

Apropos gute Performance, sich seine Stärken vor Augen zu führen ist laut Ostojic essenziell: In dem Moment des Gesprächs sei nicht mehr wichtig, welche Kompetenzen im Lebenslauf stehen und welche nicht. Oder welche Erfahrungen noch nicht gesammelt wurden.

Wichtig sei vor allem, mit welchen Kenntnissen man in dem Moment punkten kann – auch als Quereinsteigerin oder ohne Joberfahrung. Vielleicht passen genau die persönlichen Charaktereigenschaften zum neuen Job, oder es passt die große Lernwilligkeit genau in den Betrieb. Zu versuchen, als Neuling wie jemand zu wirken, der oder die 20 Jahre Erfahrung hat, sei hingegen nicht zielführend.

Sich bewusst machen, dass nicht beeinflusst werden kann, wie andere auf einen reagieren oder in welcher Gemütslage sie sind, kann auch gelassener machen. Deswegen, sagt Ostojic, ist es nicht gesund, den gesamten Selbstwert von externen Personen abhängig zu machen. Von sich selbst überzeugt zu sein sei ein besonderer Hebel.


Unternehmen, die den ersten Arbeitstag für Jobneulinge schön gestalten, haben mehr Chancen, dass sie bleiben.

Resilienz durch Widerstand

Erst wenn die Angst gehäuft wiederkehrt oder ein starkes Vermeidungsverhalten auftritt, kann es problematisch werden. "Wenn ich Angst habe und dann immer wieder die Situation vermeide, lerne ich nicht, mit ihr umzugehen", sagt Psota. "Die kurzfristige Lösung bestärkt das eigentliche Problem massiv."

Hilfreich wäre es, eine Situation, etwa ein Bewerbungsgespräch, öfters zu wiederholen, dann werde es auch immer leichter. Das empfiehlt auch Mentaltrainer Ostojic: "Wer einen Fünfer nach dem anderen schreibt, hat irgendwann keine Angst mehr vor Fünfern." Dann gelte nur noch herauszufinden, was etwas an der Situation ändern kann. "Resilienz entwickelt man nur durch Widerstände."

Wichtiger Impuls des Körpers

Für Studierende, die bald einen Job anfangen, sich bewerben oder Prüfungsangst entwickeln, gibt es auch an den Unis Möglichkeiten für Hilfe. Die ÖH Helpline gibt es seit 2012 und bietet durch speziell geschulte Mitarbeitende des Vereins für Psychotherapie eine erste anonyme Anlaufstelle – etwa bei Prüfungsangst oder auch bei Jobängsten. Mit dem Sozialfonds gibt es für Studierende auch eine finanzielle Hilfe für Therapieangebote.

Sara Velic, Vertreterin der ÖH, hat aber noch Verbesserungsvorschläge für das Angebot für junge Menschen. "Grundsätzlich gibt es noch nicht genügend Kassenplätze und vollfinanzierte Psychotherapieangebote in Österreich." Auch die psychologische Studierendenberatung müsse noch deutlich ausgebaut werden.

"Ich glaube, es ist ganz wichtig, jungen Leuten klarzumachen, dass es auch ein notwendiger Impuls ist, Angst zu haben", sagt der Facharzt Psota. Für manche Menschen ist auch das Hochblicken auf prominente Beispiele eine kleine Hilfe. Denn immerhin gibt es zahlreiche berühmte Personen, die trotz Angst oder Ängstlichkeit eine steile Karriere hinlegten.

Der Regisseur Steven Spielberg erzählte einmal, in seiner Kindheit ständige Angstzustände erlebt zu haben. Die Sängerin Adele gab zu, jedes Mal tausend Tode zu sterben, bevor sie eine Bühne betrete. Davon abgehalten, weltberühmt zu sein, hat die Angst die beiden nicht. Vielleicht hat sie sogar zu ihrem Erfolg beigetragen – denn bei gesunden Menschen kann Aufgeregtheit ja die Performance verbessern. (Melanie Raidl, 25.4.2023)