Zum Interview kommt Thomas Salzer nach Wien in die Räume der Redaktion. Er ist zu früh und wartet höflich. Neben Energiefragen treibt ihn auch die Zuwanderungsdebatte besonders um. Salzer ortet in der Politik quer durch alle Parteien ein Populismusproblem. Er fragt sich auch, ob die ÖVP heute noch eine Wirtschaftspartei ist.

STANDARD: Ihre Papierfabrik braucht besonders viel Energie. Der Gaspreis ist zuletzt deutlich gesunken. Können Sie wieder besser schlafen?

Salzer: Der Gaspreis ist immer noch mehr als doppelt so hoch wie früher. Es betrifft nicht uns, aber gewisse Magazine werden marginal kleiner, dadurch wird weniger Papier verbraucht. Man greift auf leichtere Papiere zurück, aber es wird auch weniger gedruckt und verarbeitet. In der Branche ist ein massiver Auftragsrückgang da. Das beschäftigt einen schon.

STANDARD: Sie machen Papiere für Bücher und Lebensmittelverpackungen. Wird bei Büchern auch gespart?

Salzer: Das Buch ist ein Markt, der relativ stabil ist. Aber wenn die Menschen Angst haben, dass die Energie ihr Geld auffrisst, und sie nicht wissen, wie sie die Rechnungen zahlen sollen, dann gibt es sofort eine Kaufzurückhaltung, die man bei Buch auch spürt.

STANDARD: Bücher sind wohl kein wachsender Markt. Zumal uns andere Dinge Zeit stehlen und Geld kosten.

Salzer: Heute kommt Konkurrenz wie Netflix, Disney+ oder Online-Gaming vor allem bei jungen Menschen dazu. Wenn man jetzt weniger Geld hat, überlegt man, kündige ich Netflix oder kaufe ich mir nur jeden zweiten Monat ein Buch. Buch ist traditionell ein schönes, relativ wertvolles Geschenk. Man hat heuer gemerkt, dass der Verkauf im Weihnachtsgeschäft deutlich unter den Vorjahren lag.

Hätte Österreich in Sachen russisches Gas nicht schon längst die Reißleine ziehen müssen? Das sei im Nachhinein immer leicht gesagt findet Salzer.
Christian Fischer

STANDARD: Sie haben im Oktober 2021 darüber nachgedacht, ob sie die Papiermaschine im Werk in St. Pölten abstellen, kurz oder auf Dauer. Ging es ums Überleben?

Salzer: Im Jahr 2020 war der Gaspreis für uns durchschnittlich bei ungefähr 14 Euro die Megawattstunde. Das ist über den Sommer auf 40 Euro und im Herbst auf 60, 70, 80 hinaufgeklettert. Wir haben Ende 2021 wirklich gedacht, es geht ums Überleben. Wenn Sie plötzlich statt zwei, drei Millionen Euro Energiekosten im Jahr 800.000 bis 900.000 Euro im Monat haben, dann müssen Sie das wieder irgendwie hereinbekommen.

STANDARD: Rettungsanker war, dass Sie die Kosten weitergeben konnten?

Salzer: Wenn Sie ausrechnen können, mit den Energiepreisen kann ich noch genau drei Monate produzieren, dann bin ich pleite, dann müssen Sie überlegen, sperre ich das Werk in der Phase vielleicht zu, um nicht zu verbluten. Oder schaffe ich es, die Preise zu erhöhen. Wir haben es geschafft, die Preise in die Höhe zu bringen und damit diese Phase halbwegs gut zu überstehen.

STANDARD: Dann ist in der Politik angekommen, dass man etwas tun muss. Für energieintensive Unternehmen wie die Papierindustrie macht der Staat bis zu 150 Millionen Euro je Unternehmen locker. Wird jetzt wieder wie in Corona-Zeiten überfördert?

Salzer: Diese Förderung sollte Unternehmen in einer Notlage helfen und auf der anderen Seite eine massive Ungleichheit im europäischen Markt verhindern.

STANDARD: Aber manche Unternehmen haben gute Gewinne gemacht und haben trotzdem Anspruch auf Hilfen.

Salzer: Man kann diskutieren, ob das notwendig ist. Ist es das nur dann, wenn die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist? Aber ich glaube, es haben die wenigsten Unternehmen tatsächlich genutzt, wenn sie Gewinne gemacht haben, weil ja eine Verknüpfung mit den Boni von Managern besteht. Viele haben gesagt, ich verzichte und schaue lieber, dass ich meine Boni und Gewinne normal ausschütten kann. Aber der Zuschuss war einfach zu langsam. Heute ist ein Großteil der Förderungen aus dem Energiekostenzuschuss Februar bis September 2022 noch nicht ausbezahlt.

STANDARD: Ganz kleine Unternehmen haben noch nicht einmal Aussicht auf Hilfe.

Salzer: Nein, die ganz kleinen wissen noch gar nichts. Wobei man da auch relativieren muss. Ist es sinnvoll, jedem ganz kleinen Unternehmen, das nicht energieintensiv ist und das auch seine Preise erhöhen kann, so zu fördern, dass man ihm ein Zuckerl dazugibt?

STANDARD: Sie sagen: Wir in der Industrie brauchen Hilfe, aber die anderen nicht. Schaut auch nicht gut aus.

Gasfracking in Österreich hält Salzer für eine überlegenswerte Alternative: Es sei effizienter und ökologischer, Gasreserven in Österreich und in Europa zu nutzen, "bevor wir Gas aus Katar, aus den USA, das dort über Fracking produziert wird, teuer verdichten, mit einem Schiff nach Europa bringen und hier wieder abladen.."
Christian Fischer

Salzer: Es gibt kleine Nichtindustriebetriebe, die es genauso brauchen. Aber es war auch in der Corona-Situation so: Unternehmen, die Verluste gemacht haben, haben einen Verlustersatz bekommen, die mit massiven Umsatzeinbrüchen hatten einen Umsatzersatz.

STANDARD: An den Hilfen gab es jede Menge Kritik. Aber zurück zur Energie: Das Worst-Case-Szenario – kein Gas – ist nicht eingetreten. Die Frage, ob es genug Energie gibt, hat alle umgetrieben. Sie befürworten Gas-Fracking im Weinviertel. Sie trauen sich etwas, Gas-Fracking hat einen furchtbar schlechten Ruf.

Salzer: Es hat in Österreich keinen guten Ruf, weil hier Bilder aus den nördlichen USA und Kanada gezeigt werden, wo Fracking im Bereich von 150 bis 200 Meter Tiefe gemacht wird. Dort wird tatsächlich das Grundwasser verseucht und sehr schmutzig gearbeitet. Aber wir müssen uns eine Grundfrage stellen: Selbst wenn wir alle Potenziale an Windkraft, Wasserkraft, Biogas und Photovoltaik ausbauen und alle Potenziale an Energieeinsparung nutzen, die es theoretisch gibt, haben wir immer noch das Problem, dass uns ungefähr ein Drittel Primärenergie fehlt, wenn wir von Fossilen wegwollen.

STANDARD: Sie sprachen sich auch gegen Denkverbote für Atomkraft aus. Wollen Sie "erster Seelenverkäufer" werden, wie ein Kritiker meint?

Salzer: Wenn man sich die Statistiken anschaut, dann sind durch das Verbrennen von Kohle weltweit wesentlich mehr Menschen gestorben, teilweise auch an den Folgen des Autoverkehrs durch das Verbrennen fossiler Energie, im Verhältnis zu dem, was durch Atomkraft passiert ist. Wenn wir CO2 sparen wollen, dann wird an Atomkraft langfristig kein Weg vorbeiführen. Das wird für die nächsten zwanzig, dreißig Jahren vielleicht noch die Kernspaltung sein und vielleicht danach die Kernfusion. Wir in Österreich tun uns immer wahnsinnig leicht mit den Dingen. Wir sagen, wir brauchen keine gescheite Landesverteidigung, wir sind eh von Nato-Staaten umgeben. Genauso sagen wir: Energie, das ist eh kein Problem, wir importieren halt, wenn wir zu wenig haben, aus Tschechien oder Deutschland, es kommt was rein. Wir putzen uns gerne ab.

STANDARD: Sie sind überhaupt gerne dafür, wenn vor allem Klimaschützer dagegen sind. Für den Ausbau der dritten Piste am Flughafen in Wien zum Beispiel. Bekommen Sie böse Briefe?

Gespart würde auch bei Büchern, deren Preise deutlich gestiegen seien. "Wenn die Menschen Angst haben, dass die Energie ihr Geld auffrisst, spürt man eine Kaufzurückhaltung."
Foto: Christian Fischer

Salzer: Nein, eigentlich nicht. Ich bekomme eher sogar positives Feedback von Menschen, die sagen: Endlich einmal jemand, der diese Dinge ehrlich anspricht.

STANDARD: Guter Punkt. Das trifft auch das Arbeitskräftethema. Niederösterreich hat jetzt eine schwarz-blaue Landesregierung, wo einige Vertreter der FPÖ offen rassistisch und ausländerfeindlich auftreten. Sie sind Niederösterreicher, erklären Sie uns das, warum viele so gewählt haben.

Salzer: Man muss darüber nachdenken, was wir alle in der Kommunikation sowohl in den Unternehmen als auch in der Politik falsch machen. Die Kommunikation in der Corona-Politik hat dazu geführt, dass die Leute nicht verstanden haben, was gemacht wird. Der Umgang mit dem Ausländerthema ist höchst problematisch. Wir wissen, wir werden in den nächsten zehn Jahren einige Hunderttausend Zuwanderer benötigen, damit wir Arbeitskräfte haben, damit die Pflege funktioniert, selbst damit wir die Medizin aufrechterhalten können. Gleichzeitig wird in diesem Land unter den Menschen eine Stimmung aufgebaut, dass die anderen böse sind und nicht in unsere Gesellschaft passen.

STANDARD: Wie sind wir denn nach Ihrer Einschätzung so weit gekommen?

Salzer: Das ist ein so altes Versäumnis, dass sich da keine der großen Parteien herausnehmen kann und sagen: Ich bin nicht schuld. Es gibt zu viele Politiker, die glauben, sie können mit dem Schüren von Ängsten vor dem Fremden Stimmen gewinnen. Versuchen Sie sich hineinzudenken in Menschen, die aus Notsituationen hierherkommen, teilweise anerkannte Flüchtlinge. Wie die bei uns in Ämtern immer noch behandelt werden, das ist der eigentliche Skandal. (Regina Bruckner, 23.4.2023)