Österreichische Literatur steht heuer im Leipziger Messeprogramm an der Spitze.

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Was wird in Österreich wirklich gelesen?

Österreich hat mit Elfriede Jelinek und Peter Handke zwei lebende Literaturnobelpreisträger, zu den hierzulande meistgelesenen Autoren gehören sie aber beide trotzdem nicht. Was wirklich und wie viel gelesen wird, lässt sich streng genommen nicht sagen. Zahlen gibt es nur zu abgesetzten Exemplaren. Was wird also gekauft?

Ja, auch Arno Geiger, Birgit Birnbacher oder internationale Autoren wie Michel Houellebecq schaffen es beim Erscheinen auf den Wochen- und Monatslisten nach vorne. Doch schaut man auf die Jahresrankings, können sie mit den Absatzraketen nicht mithalten.

Bester dieser Dauerläufer ist Thomas Stipsits. Der Kabarettist stellte vergangenes Jahr mit Eierkratz-Komplott in Österreich das meistverkaufte Belletristik-Hardcover. Man stehe aktuell bei 64.000 ausgelieferten Exemplaren, heißt es auf Anfrage vom Verlag. Mit Kopftuchmafia belegt Stipsits im Jahresranking 2022 zudem Platz acht. Ebenso auf den vorderen Plätzen: die Krimiautoren Bernhard Aichner, Sebastian Fitzeck und Donna Leon sowie die dank Tiktok zum Star gewordene Colleen Hoover. Wo bleibt die Belletristik? Wolf Haas, Monika Helfer und Ferdinand von Schirach vertreten sie in der Unterzahl.

Für 2021 sieht es im Verhältnis von U und E kaum anders aus. Stipsits war mit Kopftuchmafia übrigens schon 2020 ein Jahresbestseller. Auch bei Sachbüchern zeigt sich: Prominente Österreicher funktionieren am besten.

Doch wann ist ein Buch ein Bestseller? Generell lässt sich seit einigen Jahren sagen: Sechsstellige Zahlen sind für literarische Titel kaum mehr möglich. Das liegt daran, dass weniger Bücher gekauft werden und unter den gekauften immer mehr Käufe auf die Spitzengruppe entfallen. Zwischen Platz eins und zehn der Bestsellerliste klaffen so Täler.

Eine All-Time-Bestsellerliste? Ist schwer zu erstellen. In den letzten Jahren war sicher Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt (2005) ein Hit, auf längere Sicht gehört auch Josefine Mutzenbacher (1906) definitiv dazu. (wurm)

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Wo lernen heimische Schreibende ihr Handwerk?

Literarisches Schreiben studieren lässt sich in Österreich derweilen nur am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Dafür braucht es eine Aufnahmeprüfung. Die noch relativ neue Studienrichtung, der mittlerweile zwei Professorinnen vorstehen (Gerhild Steinbuch, Olga Grjasnowa), hat seit 2009 jede Menge erfolgreichen Literaturnachwuchs hervorgebracht. Das war nicht immer so. Dass Schreiben an Hochschulen gelehrt wird wie Malerei oder andere künstlerischen Disziplinen auch, blieb lange Zeit Creative-Writing-Klassen im angloamerikanischen Raum vorbehalten.

Eine bis heute sehr experimentelle Schule für Dichtung gab es in Wien jedoch ab 1991, die dortigen Aktivitäten haben auch zur Gründung des Sprachkunst-Instituts geführt. Sie wurde lange vom Lyriker Christian Ide Hintze geleitet, nach dessen Tod 2012 hat der Journalist, Autor und DJ Fritz Ostermayer übernommen. Die Kurse dort kosten aber Geld.

Weitere Möglichkeiten für Schreib- und Zahlwillige sind die vielen Schreibwerkstätten und Schreibworkshops. Renommiert sind dar unter die Leondinger Akademie für Literatur oder die Schreibwerkstatt Waldviertel. Mit Nachhilfe der dort unterrichtenden Autoren und Autorinnen haben schon manche in den Literaturbetrieb gefunden. (mia)

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Wie finanzieren sich heimische Schreibende?

Fakt ist, dass nur die wenigsten heimischen Autorinnen und Autoren ihren Lebensunterhalt durch Buchverkäufe und Lesungen bestreiten können. Wer nicht reich geboren ist oder einen Bestseller nach dem anderen schreibt, muss das Schreiben oft durch Nebenjobs querfinanzieren. Arbeits- oder Projektstipendien ermöglichen es Schreibenden, eine gewisse Zeit gezielt an einem Werk arbeiten zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass der Strom abgedreht wird. Sie sorgen auch dafür, dass Schreibende nicht nur nach Marktlogik produzieren müssen. Im Idealfall entsteht so eine facettenreiche, vielstimmige Literatur.

Dass das in Österreich der Fall ist, darf man wohl laut sagen. Und dass das Förderwesen hierzulande daran einen Anteil hat, wohl auch. Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren, der es im Vergleich zur Schweiz und Deutschland für "überproportional stark entwickelt" hält, tut es.

Das meiste Geld kommt vom Bund: 2021 hat das Kulturministerium mit rund 12,4 Millionen Euro die Sparte Literatur unterstützt, wobei hier Vereine, Veranstaltungen wie der Österreichische Buchpreis, Buchankäufe, diverse Stipendien für Autoren und Übersetzerinnen und Verlagsförderungen dazugehören. Auch die SKE (Sozialen und kulturellen Zwecken dienende Einrichtungen der Literar-Mechana) fördern, ebenso die einzelnen Länder, wobei Wien Spitzenreiter ist. 2021 wurde Literatur mit rund 3,2 Millionen Euro unterstützt, was 1,24 Prozent des Gesamtbudgets für Kultur und Wissenschaft ausmacht. (abs)

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Welches Thema lässt Österreichs Autoren nicht los?

Das Pathos des Wiederaufbaus war erloschen, der Sozialdemokrat Bruno Kreisky drängte nachdrücklich ins Kanzleramt. Nur in der Literatur waren die bäuerlichen Requisiten, von der Sense bis zum Kälberstrick, die alten geblieben. Bloß waren sie stumpf, mürbe und rostfleckig geworden, untauglich für die Wiedergabe der Wirklichkeit. Der ideologische Missbrauch des Heimatbegriffs fiel auf die Totengräber der Ersten Republik zurück: die Nazis, die Gefolgsleute des Ständestaates. Der literarische Kult um die bäuerliche Selbstbescheidung, mit wechselndem Erfolg von Peter Rosegger oder Karl Heinrich Waggerl betrieben, war hinfällig geworden.

Autoren wie Franz Innerhofer traten an, die Mär von den Schönen Tagen (1974), verbracht in der Leibeigenschaft unleidlicher Agrarverhältnisse, endgültig als Lüge zu enttarnen. Spätestens ab 1970 sprachen einige Dichter hierzulande Klartext. Gemeinsam überwand man die eigene Maulfaulheit, eingeimpft durch eine Obrigkeit, die sich klerikaler Unterstützung erfreute und die Arbeitsfron ihrer Schäfchen mit Weihwasser besprengte.

Beschrieben wurden von Innerhofer und Co zunächst eigene Leidensgeschichten. Bald stockten Gernot Wolfgruber, Hans Haid oder eben Innerhofer ihre innerösterreichischen Milieuberichte zu regelrechten Entwicklungsromanen auf. In den Blick geriet immer stärker das Motiv des Bildungshungers. Permanentes Lernen bildete den Schlüssel zu Landflucht und sozialem Aufstieg. Das Erstarken der Anti-Heimatliteratur geht ursprünglich auf Hans Lebert zurück (Die Wolfshaut, 1960). Über Zwischenstationen wie Gerhard Fritschs Fasching oder die Verfinsterungslitaneien eines Thomas Bernhard führte der steinige Weg zur Selbstvergewisserung Elfriede Jelineks: Ihr Opus Die Kinder der Toten (1995) enthält den wahnwitzigen Versuch, in den Tiefen des Heimatbodens nach Opfern zu suchen.

Gegen die umwälzende Dimension der Spracharchäologie nimmt sich die zeitgenössische (Anti-)Heimatliteratur pragmatisch aus. In den aktuellen Romanen von Karin Peschka oder Birgit Birnbacher blitzt der Empörungsreflex nur noch sporadisch auf. In den Kleinstädten der Provinz befällt die Zurückgelassenen ein vager Verdacht: Der neoliberale Kapitalismus könnte sie für unwichtig erkannt und aussortiert haben. Gefragt ist somit eine neue Art Heimatliteratur, am ehesten geeignet für die mentale Auskleidung von Ortsumfahrungen und Einkaufsmärkten. (poh, 23.4.2023)