Bekannt sind die Briten zumindest für zwei Dinge: ihren scharfsinnigen Humor und ihr schlechtes Essen. Selbstredend handelt es sich dabei lediglich um Klischees, die vermutlich auch das eine oder andere Körnchen Wahrheit enthalten. Darüber, wie groß der Anteil des Körnchens tatsächlich ist, soll hier aber gar nicht diskutiert werden. Auch geht es nicht darum, den einen oder anderen der zahlreichen blöden Witze nachzuerzählen, die über das britische Essen kursieren. Wie etwa jenen des ehemaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac, der einst meinte: Bei englischer Küche glaubt man zuerst, sie sei Schei... und bereut danach, dass sie es nicht ist. Nein, auf so ein Niveau werden wir uns keinesfalls begeben. Vielmehr sollen hier jene Fälle beleuchtet werden, in denen sich britischer Humor und britisches Essen ein Stelldichein geben. Und das kommt in der traditionellen Küche des Königreichs erstaunlich oft vor.

VIDEOVORSCHAU: Was für Charles' Krönung geplant ist.
DER STANDARD

Spotted Dick

Beim "Spotted Dick" handelt es sich um einen Biskuitkuchen mit Nierenfett und kandierten Früchten.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Beginnen wir mit einem der – zumindest vom Namen her – wohl unappetitlichsten Gerichte der britischen Küche: dem "Spotted Dick". Geradezu abstoßend wird es, wenn man den Begriff Dick in seinem übertragenen Sinn deutet, nämlich als männliches Geschlechtsorgan. Um das geht es hier aber zum Glück gar nicht, würde doch allein der Anblick eines gefleckten solchen wohl auch die steifste britische Oberlippe zum Beben bringen. Vielmehr nimmt man an, dass besagter "dick" sich von "puddick" ableitet, einer altenglischen Form des Begriffs Pudding. Im konkreten Fall geht es um einen Biskuitkuchen, der mit Nierenfett (!) und kandierten Früchten zubereitet wird. Bei Letztgenannten handelt es sich dann wohl um die "Flecken", denen der Dick das Adjektiv in seinem Namen verdankt.

Toad in the Hole

"Toad in the Hole" sind in Teig eingebettete Würste.
Foto: REUTERS/ Suzanne Plunkett

Auch nicht gerade als Appetitanreger eignet sich die "Kröte im Loch". Dabei handelt es sich um Würste, die eingebettet in Teig serviert werden. Der Ursprung des gleichermaßen bizarr wie ungustiös anmutenden Namens verliert sich in den finsteren Nebeln der britischen Küchengeschichte. Denn auch optisch haben die Würste so gut wie nichts mit der namensgebenden Amphibie zu tun, zumal sie in der Regel nicht einmal stehend, sondern liegend in den Teig gepackt werden. Dieser ist übrigens derselbe, aus dem der vergleichsweise öd benannte Yorkshire-Pudding besteht. Der wiederum ist nicht viel mehr als eine Art Teigling mit Mulde on top, die zum Aufnehmen der Gravy, also des eingebrannten, dickflüssig-braunen und allgegenwärtigen Bratensafts dient.

Stargazy Pie

Auch dieses höchstromantisch benannte Gericht, dessen Namen man mit Sterngucker-Pastete übersetzen könnte, ist in Britannien heutzutage alles andere als weitverbreitet. Was wohl daran liegt, dass hier im Unterschied zur "Toad in the Hole" tatsächlich die Köpfe von Tieren, im Regelfall Sardinen, aus dem Teigdeckel des Pies schauen; und die Mehrheit der Briten Fisch lieber als Filet frittiert und mit Pommes anstatt mit Kopf und Augen verspeist. Angeblich wurde das Gericht von einem mutigen Fischer in Cornwall erfunden, der trotz rauer See hinausfuhr, um sein Dorf vor Hunger zu bewahren. Niemand wollte dem Mann glauben, dass er, den widrigen Umständen zum Trotz, erfolgreich war, und so sollten die sichtbaren Sardinenköpfe belegen, dass sich unter dem Teigdeckel tatsächlich Fische befanden. Was allerdings noch nicht erklärt, wieso diese überhaupt in einer Teigpastete verarbeitet und nicht einfach so gegessen wurden.

Love in Disguise

Im Vergleich zum zuvor Genannten geht es bei der "Versteckten Liebe" um einen durchaus charmanten und auch zum Inhalt passenden Namen – steht er doch für ein Schweine-, Lamm- oder Kalbsherz mit Semmelfülle, das mit Nudeln bedeckt, im Rohr gebacken und mit der offenbar unausweichlichen Gravy serviert wird. Angesichts der Poesie, die Name und Gericht innewohnt, kommt man nicht umhin, an König Charles III. und die lange Zeit gleichfalls versteckt gehaltene Liebe zu seiner Camilla zu denken. Und natürlich daran, was die beiden nach der langersehnten offiziellen Thronbesteigung wohl für ein wunderbares und jedenfalls geschmackvolles britisches Abendessen erwartet.

Faggots

Fleischknödel aus Schweineinnereien, die "Faggots".
Foto: Getty Images/Lonely Planet RF

Ein Gericht, das mehr noch als alle anderen in dieser Liste Heerscharen von amerikanischen Besuchern des Königreichs zu schockieren vermag. Was zwar in erster Linie an seinem Namen liegt, der in amerikanischem Englisch ein übles Schimpfwort für schwule Männer ist. Aber es hat auch mit seinen Zutaten zu tun. Handelt es sich doch um eine Art Fleischknödel aus Schweineinnereien, darunter bisweilen auch Hoden, die faschiert, in ein Schweinsnetz gewickelt und im Rohr gebacken werden. Im ursprünglichen, altenglischen Sinn bedeutet der Name so viel wie "Holzbündel". Was ein solches mit den Knödeln zu tun hat, bleibt jedoch schleierhaft. Ein beliebter Produzent der Delikatesse in ihrer Tiefkühlvariante nennt sich tatsächlich Mr. Brain’s. Von der Marke gibt’s auch ein Fertiggericht, bei dem die Knödel mit Erdäpfelpüree und Erbsen kombiniert werden. Und dessen in der Tat durch und durch abstoßender Name dann "Mr. Brain’s faggots, mash and peas" lautet.

Angels on Horseback und Devils on Horseback

Bei den Engeln umhüllen Austern den Pferderücken und den Speckstreifen, im Fall der Teufel sind es getrocknete Früchte.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Sowohl die Engerln als auch die Teuferln dürfen im pferdeverliebten Königreich zur Vorspeise dahergaloppieren. Gemein haben sie außer den Pferderücken (gemeint sind kleine Spieße) auch noch die Speckstreifen, die im Fall der Teufel getrocknete Früchte wie Datteln oder Dörrzwetschgen, in jenem der Engel aber Austern umhüllen. Gegrillt werden sie allesamt. Während die Teufel sich allerdings ungebrochener Beliebtheit erfreuen, begegnet man den kulinarisch weitaus spannenderen, auf die Küche des Viktorianischen Zeitalters zurückgehenden Engeln heute leider nur noch sehr selten.

Bubble and Squeak

"Bubble und Squeak" ist eine unaufgeregte Restlverwertung aus Erdäpfeln und Gemüse.
Foto: Getty Images

Ein Speisenname, so geschmacks- und humorgeladen wie ein Sketch von Benny Hill. Der war bekanntlich einer der erfolgreichsten, wenngleich nicht gerade subtilsten unter den zahlreichen Komikern Großbritanniens und ein idealer Gegenbeweis zum Klischee der "Sophistication", das dem britischen Humor im Allgemeinen anhängt. Das Gericht selbst ist nicht viel mehr als eine Art unaufgeregte Restlverwertung aus Erdäpfeln und Gemüse – meistens eine Kohlart –, die in der Pfanne zerdrückt und vermengt werden. Wieso diese Mischung dabei Blasen ("bubbles") schlagen und gleichzeitig quietschen ("squeak") sollte, wie der Name unterstellt, ist so geheimnisumwoben wie die Atmosphäre in einem Roman von Edgar Wallace. (Georges Desrues, 4.5.2023)