Jetzt also "woke Tourismuswerbungen in Reimen, Windkraftelegien und FM4-kompatible Heimatbrunst"? Wer braucht das heute noch, fragt der Schriftsteller Richard Schuberth in seinem Gastkommentar und spricht sich gegen einen Relaunch von Landeshymnen aus.

Hymnen à la Stelzhamer – oder besser ein Trinklied?
Illustration: Fatih Aydogdu

Hoamatland, Hoamatland, han di so gean, wia a Veganer sei Blunzn, wia a Tiroler sei Wean.
Meine Neufassung der oberösterreichischen Landeshymne fiele bei der Neuausschreibung, welche die IG Autoren Autorinnen fordert, bestimmt durch. Sie wäre aber auch nicht im Sinne der kritischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

Zu Recht prangern diese die Ungeheuerlichkeit an, dass an drei der neun grässlichen Landeshymnen bekennende Nazis mitgearbeitet hatten. Dem oberösterreichischen Avantgardedichter Franz Stelzhamer aber, dem Autor der allergrässlichsten dieser Hymnen, die das Verhältnis von Mensch und Heimat völlig richtig als das zwischen Vierbeiner und deren Besitzer proklamiert, lässt sich aufgrund der Gnade der frühen Geburt – 1802 – zwar keine Mitgliedschaft bei der NSDAP nachweisen, aber als einer der ersten Antisemiten, die Juden mit Parasiten verglichen, zählte er sogar zur Avantgarde der Naziideologie.

Relaunch der Grässlichkeit

Allerdings wünscht sich die IG Autorinnen Autoren in ihrem offenen Brief an die vier Landeshauptleute Neufassungen, also nicht die Überwindung, sondern bloß den Relaunch der Grässlichkeit.

Das führt zu der paradoxen Situation, dass selbst der schwarz-blau versifften Landjugend die Sorge um den adäquaten lyrischen Ausdruck der Heimatliebe weniger wichtig sein dürfte als den progressiven Heimatschützern, gegen die sie die alten Landeshymnen aber mit Heugabeln und brummenden Toyotas verteidigen wird, sobald Udo Landbauer und Manfred Haimbuchner sie zum Volkssturm rufen.

"Bleibt doch bei Leonard Cohens 'Hallelujah', wenn euch nach gemeinsamem Jaulen und Feuerzeugschwenken zumute ist."

Wie gingen schnell noch mal die Hymnen der Grafschaft Lancashire und von Auvergne-Rhône-Alpes? Dass Bundesländer Hymnen brauchen und die affektive Aufladung von Verwaltungseinheiten ein uraltes Menschheitsbedürfnis ist, darüber scheinen sich Verteidiger wie Anfechter der inkriminierten Lieder einig zu sein. Wie viele Edelfedern des heimatlichen Schrifttums mögen schon in die Tastaturen hauen für ihre woken Tourismuswerbungen in Reimen, Windkraftelegien und FM4-kompatible Heimatbrunst, die nur durch Bundes- und Landesgrenzen in den lockend feuchten Mitten von Erlaufsee und March vor dem Fremdgehen bewahrt wird. Mein Vorschlag: Bleibt doch bei Leonard Cohens Hallelujah, wenn euch nach gemeinsamem Jaulen und Feuerzeugschwenken zumute ist, die Rieden, Flure und Klammen der Heimat werden’s euch danken.

Brauchen wir Hymnen, diese Restbestände des langen 19. Jahrhunderts, überhaupt, deren schwülstiges Pathos und manipulative Anrufungen Menschen unserer Zeit zu Recht als peinlich empfinden? Doch, doch, antworten rechte und linke Patrioten wie ein Grenzlandchor, das Bedürfnis nach Tradition, Gemeinschaft und Heimat müsse man ernst nehmen.

Hymnischer Heimatkitsch

Das genaue Gegenteil von Tradition ist der hymnische Heimatkitsch, vielmehr ihr Wechselbalg, den kleinbürgerliche fettscheitelige Gelehrte von der geistigen Reservebank seit ca. 1850 den Bauern als künstliches Bedürfnis in die Wiege legten. Ein äußerst erfolgreiches Produkt der Moderne ist diese antimoderne Traditionalität. Sie ist jünger als der Kunstdünger, stets ans nationale Herrschaftsmärchen gekoppelt, und selbst in ihren regional begrenzten und liebevollen Panegyriken auf Scholle, Schlucht und Pflügerschweiß schwingt bedrohlich stets der Zwang zum kulturellen Kollektiv und Verachtung gegen alles mit, was nicht verwurzelt sein will und kann. Der Antisemitismus ist immer ein Schnadahüpferl weit entfernt. Faschistische Triebe auf den Heimatbeeten sind kein Unkraut, das es nur zu jäten gälte, damit der gesunde Patriotismus besser gedeihe, sondern ihr natürlicher Bewuchs. Sie sprießen und sprossen am besten in diesem von der völkischen Romantik aufgeschütteten Garten, in dem heimatselige Bobos auch ihre Parzellen haben wollen.

Überkommenes Pathos

Am unverfänglichsten war das überkommene Pathos der Hymne immer dann, wenn nicht die falsche Freiheit des Österreichers, der Italienerin, des Ägypters durch deren Erlösung in der ethnisch eingehegten Schicksalsgemeinschaft besungen wurde, sondern nichts weniger als die Freiheit der Menschheit als Desiderat. So avancierte die blutrünstige "Marseillaise" europaweit zum Lied des Widerstandes gegen absolutistische und später auch faschistische Autokratien, die "Internationale" ermächtigte die Arbeiter und Arbeiterinnen der Welt, ihre Ketten zu brechen, ehe auch sie diktatorisch zweckentfremdet wurde. Selbst die jugoslawische Hymne setzte ein Symbol der Überwindung sowohl des Faschismus als auch der lokalen Nationalismen, wenngleich man mit ihrer Wahl ("Hej Sloveni – He, Slawen") erst recht wieder in die Requisite des alten Panslawismus griff und jugoslawischen Albanern, Wlachinnen und Roma das Gefühl vermittelte, nicht zur Party eingeladen zu sein.

"'Und wo zum Nachbar wird der Feind.'"

Je weiter man in diesen makro- und mikronationalen Erzählungen zurückschreitet zu ihren hoffnungsvollen Anfängen in der Romantik, desto mehr lockert sich der völkisch verkrustete Boden und verdichten sich die Gewächse, die sich ihrer Wurzeln gerade erst versichern, aber noch immer ihre Zweige neugierig und freundlich nach der Welt ausstrecken. Sofern man so etwas Hymnisches wie Hymnen überhaupt braucht, so hat Slowenien mit dem Trinklied Zdravljica des Dichters France Prešeren (1800–1849) bestimmt keine unsympathische Wahl getroffen, zumindest mit der vorletzten Strophe.

Ein Lebehoch den Völkern, / die sehnend nach dem Tage schauen / an welchem aus dem Weltall / verjaget wird der Zwietracht Grauen; / wo dem Feind Freiheit scheint / und wo zum Nachbar wird der Feind. So etwas singen Menschen nicht, die Fremde ankläffen oder Schlimmeres, um vom Hoamatland, das sie so liab han wia ihren Herrn, mit identitären Leckerlis belohnt zu werden. (Richard Schuberth, 7.5.2023)