Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger schreibt in ihrem Gastkommentar über Fluchtbewegungen, die der Klimawandel auslöst. Der Sachverständigenrat für Migration und Integration in Berlin, dessen Mitglied sie ist, präsentiert aktuell seine Empfehlungen für aufenthaltsrechtliche Vorkehrungen an die deutsche Bundesregierung.

Anstehen für einen Kanister Wasser: Die südlichen Weltregionen sind von den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen.
Foto: AP / Brian Inganga

Der rasant fortschreitende Klimawandel heizt auch das globale Migrationsgeschehen an. Neue Migration entsteht, bestehende Treiber von globaler, regionaler und lokaler Migration werden verstärkt. Wie viele Menschen welche Regionen verlassen werden müssen, darüber gehen die Prognosen weit auseinander. In Abhängigkeit davon, ob es der internationalen Zusammenarbeit gelingt, die Treibhausgasemissionen signifikant einzuschränken, rechnet der Weltklimarat damit, dass mit jeder zusätzlichen Erwärmung um ein Grad Celsius das Risiko einer Umsiedelung um etwa 50 Prozent zunimmt und dass allein die dürrebedingte Abwanderung um den Faktor fünf ansteigen wird.

Die Folgen des Klimawandels wie steigender Meeresspiegel, erodierende Küsten und wachsende Versteppung sind global äußerst ungleich verteilt. Südliche Regionen – die asiatischen Metropolen, die südpazifischen Inselstaaten und die afrikanischen Staaten – sind sowohl von Extremwetterereignissen als auch den Folgen fehlender Präventions- und Anpassungsmaßnahmen deutlich stärker betroffen als der einkommensstärkere Norden. So können etwa in Holland Küstenschutzprogramme noch Schlimmeres verhindern, die Menschen an den Küsten Ägyptens oder in Bangladesch verlieren bereits ihre Siedlungsgebiete.

Starke Binnenmigration

Auch wenn das Ausmaß der klimawandelinduzierten Migration nach Europa viel moderater prognostiziert ist als die Binnenmigration in den vom Klimawandel besonders betroffenen Ländern, wäre bereits jetzt politisches Handeln auch hier in Europa dringend angesagt. Staaten, die historisch und aktuell einen hohen CO2-Ausstoß haben und viele natürliche Ressourcen verbrauchen, tragen eine besondere Verpflichtung, den stärker betroffenen Ländern und Bevölkerungen zu helfen. Dazu zählen Finanzierungsinstrumente wie Fonds und Versicherungslösungen, in die die Verursacherstaaten den Hauptteil der Einzahlungen leisten müssen.

Auch ein Schuldenerlass ist im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels zu diskutieren: Statt auf Kreditrückzahlungen zu bestehen, könnten diese Gelder den Ländern zur Katastrophenbewältigung zur Verfügung gestellt werden.

Politisch-rechtlicher Rahmen

Neben diesen außen- und entwicklungspolitischen Ansätzen richtet der Sachverständigenrat für Migration und Integration (SVR) in Berlin in seinem eben erschienenen Jahresgutachten auch einige Empfehlungen für aufenthaltsrechtliche Vorkehrungen an die deutsche Bundesregierung: einen Klimapass, eine Klima-Card und ein Klima-Arbeitsvisum. Migration wird dabei nicht als Ziel – Menschen sollten ihre Heimat nicht verlassen müssen –, aber auch nicht als ein zu verhinderndes Problem verstanden, sondern als Perspektive und proaktive Anpassungsstrategie. Dafür könnte für die klimawandelbedingte Migration rechtzeitig ein politisch-rechtlicher Rahmen geschaffen und die ursächliche Verantwortung für die migrations- und flüchtlingspolitischen Maßnahmen der Bevölkerung ausreichend kommuniziert werden.

"Der Klimapass läuft auf den Anspruch auf unbefristete, bedingungslose Niederlassung in einem Verursacherland hinaus."

Für die Regulierung der klimawandelbedingten Abwanderung können flüchtlingspolitische Instrumente wie humanitäre Visa, (temporäre) Schutzgewährung oder die Aussetzung von Rückführungen in von Katastrophen betroffene Länder herangezogen werden. Ein bereits konkret diskutiertes flüchtlingspolitisches Instrument ist der Klimapass. Dieser würde in erster Linie Menschen von (Insel-)Staaten zugutekommen, die vor Ort in ihrem Überleben direkt bedroht sind. Der Klimapass läuft auf den Anspruch auf unbefristete, bedingungslose Niederlassung in einem Verursacherland hinaus, folglich ist rechtlich genau festzulegen, welche Personengruppe unter welchen Umständen anspruchsberechtigt ist.

Weniger weitreichende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen hätten die Klima-Card und das Klima-Arbeitsvisum. Bei der Klima-Card handelt es sich um ein humanitäres Aufnahmeprogramm, sie richtet sich an Personen aus Ländern, die vom Klimawandel erheblich, aber nicht existenziell betroffen sind. Die Klima-Card könnte auch der Unterstützung der Herkunftsländer dienen. Denn der Beitrag der Industrieländer sollte sich nicht darin erschöpfen, Personen aufzunehmen, sondern die Aufnahme mit der Errichtung von Anpassungsmaßnahmen in den betreffenden Ländern kombinieren.

Auf Österreich übertragbar

Das Klima-Arbeitsvisum schließlich versteht sich als Instrument der Erwerbsmigration und wird entsprechend den Bedürfnissen des aufnehmenden Arbeitsmarkts vergeben. So könnten Rücküberweisungen an Angehörige im Herkunftsland deren gesunkene Einkommen ausgleichen oder neue Investitionen ermöglichen, die die Abhängigkeit von Wetterereignissen verringern.

Diese drei Beispiele, die ohne Weiteres auf die österreichische Situation übertragen werden können, zeigen, dass migrationspolitische Maßnahmen in eine breite Gesamtstrategie zur Eindämmung des Klimawandels und seiner Folgen einzubetten sind. Notwendig wäre eine aufeinander abgestimmte Klimaaußenpolitik sowie eine Innenpolitik, die migrationspolitische Überlegungen aktiv mit einschließt, um so unserer Verantwortung lokal und global gerecht zu werden. Davon sind wir derzeit allerdings noch weit entfernt. (Sieglinde Rosenberger, 9.5.2023)