Beobachtet man die Bewegung der sichtbaren Materie im Weltraum, so kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es dort draußen deutlich mehr Masse geben muss, als sich direkt beobachten lässt. Das zeigt sich beispielsweise an der Geschwindigkeit, mit der Sterne auf ihren Bahnen um das Zentrum ihrer Heimatgalaxie kreisen. Um diese beträchtliche Lücke in der kosmischen Materiebilanz zu schließen, haben Astrophysikerinnen und Astrophysiker die sogenannte Dunkle Materie eingeführt, einen Stoff, über dessen Beschaffenheit sich Fachleute bisher weitgehend erfolglos die Köpfe zerbrechen.

Rätselhafte Antischwerkraft

Noch viel rätselhafter erscheint die ebenfalls nur theoretische Dunkle Energie, die wiederum ein anderes kosmologisches Problem lösen soll: Unser Universum dehnt sich nämlich nicht nur ungebremst aus, es tut das sogar mit immer größerer Geschwindigkeit. Die Natur dieser treibenden Kraft hinter der beschleunigten kosmischen Expansion ist immer noch unklar, doch völlig ahnungslos sind die Wissenschafter freilich nicht. Immerhin zeigen bisherige Berechnungen im Rahmen des aktuell gültigen kosmologischen Standardmodells, dass die Dunkle Energie mehr als 70 Prozent des Energiegehalts des Universums ausmacht.

Der Galaxienhaufen SMACS J0723.3-7327 im südlichen Bereich des Sternbilds Fliegender Fisch, aufgenommen vom James-Webb-Weltraumteleskop.
Foto: NASA, ESA, CSA, and STScI

Welche Bedeutung die Entdeckung der sich beschleunigende Ausdehnung hat, zeigt der 2011 verliehene Nobelpreis für Physik, den die US-Forscher Saul Perlmutter, Adam Riess und Brian P. Schmidt für ihre Entdeckung der immer schnelleren Expansion des Weltalls erhielten. Entsprechend groß sind die Anstrengungen, um hinter das Geheimnis der ominösen "Antischwerkraft" zu gelangen, die dafür sorgen soll, dass die Rechnungen im derzeitigen Verständnis der Physik wieder stimmen.

Haufenweise Galaxien

Nun hat ein internationales Forschungsteam die Ergebnisse einer ersten Untersuchung der Dunklen Energie mithilfe des Röntgenteleskops eRosita veröffentlicht. Im Zentrum des Projekts standen die großen Galaxienhaufen im Universum. Die von der Dunklen Energie möglicherweise verursachte Antigravitation drückt Materie auseinander und verhindert die Bildung großer kosmischer Objekte, die sich sonst aufgrund der anziehenden Wirkung der Gravitation bilden würden. Die Dunkle Energie würde daher auch Einfluss darauf haben, wo und wie die größten Materieansammlungen im Universum entstehen – Galaxienhaufen mit einer Gesamtmasse von 1013 bis 1015 Sonnenmassen.

"Wir können viel über die Natur der Dunklen Energie lernen, wenn wir die Anzahl der im Universum gebildeten Galaxienhaufen als Funktion der Zeit – oder in der Beobachtungswelt als Funktion der Rotverschiebung – zählen", sagt Matthias Klein von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Koautor der nun präsentierten Studie.

Mit eRosita der Dunklen Energie auf der Spur

So gewaltig sie auch sein mögen, von dieser Ecke des Kosmos aus sind derartige Galaxienhaufen schwer zu finden, außerdem sind sie ziemlich selten. Um erfolgreich zu sein, sind Durchmusterungen eines großen Teils des Himmels mit den empfindlichsten Teleskopen der Welt erforderlich. Zu diesem Zweck startete im Jahr 2019 das eRosita-Röntgenteleskop unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) in München. Seither grast das "extended Roentgen Survey with an Imaging Telescope Array" den Himmel auf der Suche nach Galaxienhaufen ab.

Gesamtaufnahme des Himmels im Röntgenlicht durch das Weltraumteleskop eRosita.
Foto: MPE/eRosita/Johannes Buchner

In der sogenannten eRosita Final Equatorial-Depth Survey (eFeds), einer Mini-Durchmusterung, die der Leistungsüberprüfung der folgenden All-Sky-Durchmusterung diente, wurden schon einmal rund 500 Galaxienhaufen nachgewiesen. Es ist eine der größten Stichproben massearmer Galaxienhaufen und deckt die letzten zehn Jahrmilliarden in der kosmischen Entwicklung ab. Das Team um I-Non Chiu von der National Cheng Kung University in Taiwan nutzte für seine Suche nach den Spuren der Dunklen Energie nicht nur eFeds-Daten, sondern griff auch auf einen Datensatz des sogenannten Hyper-Suprime-Cam Subaru Strategic Program zurück, das von Taiwan, Japan und der Princeton University geleitet wird.

Keine Ungleichverteilung über Raum und Zeit

Die in den "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die Dunkle Energie nach dem Vergleich zwischen den Daten und den theoretischen Vorhersagen tatsächlich etwa 76 Prozent der gesamten Energiedichte im Universum ausmacht. Außerdem ergaben die Berechnungen, dass die Energiedichte der Dunklen Energie gleichmäßig im Raum und konstant in der Zeit zu sein scheint.

"Unsere Ergebnisse stimmen gut mit anderen unabhängigen Ansätzen überein, wie zum Beispiel früheren Untersuchungen von Galaxienhaufen sowie solchen, die schwache Gravitationslinsen und den kosmischen Mikrowellenhintergrund verwenden", sagt Sebastian Bocquet von der LMU, Koautor der Studie. Bislang deuten alle Beobachtungsresultate, einschließlich der jüngsten Ergebnisse von eFeds, darauf hin, dass die Dunkle Energie tatsächlich durch eine einfache Konstante beschrieben werden kann, die gewöhnlich als "kosmologische Konstante" bezeichnet wird.

"Die derzeitigen Fehler bei der Bestimmung der Dunklen Energie sind zwar immer noch größer, als wir es uns wünschen würden, aber bislang nutzt unsere eFeds-Stichprobe auch nur einen Bereich von weniger als einem Prozent des gesamten Himmels", sagt Joe Mohr, Astrophysiker an der LMU. Die nun vorgestellte Analyse könnte somit eine gute Grundlage für künftige Studien der eRosita-Stichprobe für den gesamten Himmel sowie für andere Haufenproben darstellen. (tberg, red, 15.5.2023)