Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger wundert sich in ihrem Gastkommentar darüber, wie passiv die Politik beim Thema Arbeitsmigration bleibt. Es gebe ein ganzes Bündel an Instrumenten, die man einsetzen könnte.

Österreich hat die höchste Quote an offenen Stellen in der EU zu verzeichnen. Das ist unter anderem auf den bedeutsamen Tourismussektor zurückzuführen, in dem die Fluktuation hoch und die Arbeitsbedingungen herausfordernd sind – weshalb man dort schon seit langem auf ausländische Staatsangehörige setzt, ob als Stammpersonal oder Saisonniers. In der Vergangenheit konnte der Bedarf mit Arbeitskräften aus Osteuropa bedient werden, doch diese Quelle versiegt zusehends.

Nicht nur in der Gastronomie fehlt das Personal. Woher bekommt man neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
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Zuletzt hievte die Afrika-Reise des Bundeskanzlers das Thema Anwerbung auf die Agenda, wenn auch mit geringem Nachhall. Denn warum ausgerechnet Angola und nicht näher liegende Kandidaten dafür ausgewählt wurden und wie genau man qualifizierte Angolanerinnen und Angolaner für Österreich gewinnen will – Antworten auf all diese Fragen blieb man bisher schuldig. Generell drängt sich der Eindruck auf, dass zwar das Problem Arbeitskräftemangel erkannt wurde, breit angelegte Lösungsansätze aber auf sich warten lassen, vor allem im Bereich Migration.

Historisch gewachsene Xenophobie

Die Zahl der offenen Stellen, vielerorts bereits eingeschränkte Öffnungszeiten und lange Lieferfenster würden erwarten lassen, dass mittlerweile jede wahlwerbende Partei eine eigene Migrationsstrategie zur Sicherung des Wohlstands vorgelegt hat. Stattdessen ergeht man sich rechts der Mitte weiter in Abschottungsfantasien und Kampfrhetorik und lässt links der Mitte das Schreckgespenst des Lohndumpings auf- beziehungsweise den Schutz "unserer" Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hochleben.

So weit, so bekannt – nur wird man damit auf Dauer nicht weiterwursteln können. Denn der Wettbewerb um ausländische Kräfte hat längst begonnen; allein Deutschland braucht eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Personen. Österreich dagegen liegt als attraktives Zielland nur im unteren europäischen Mittelfeld, was auch seiner historisch gewachsenen Xenophobie, den strengen Einbürgerungsgesetzen und fehlender gesellschaftlicher Diversitätskompetenz geschuldet ist.

Angebot erweitern

Das alles wird selbst bei entsprechendem politischen Willen nicht über Nacht in eine Willkommenskultur für ausländische Fachkräfte umschlagen, rein regulatorisch gäbe es aber einige Stellschrauben, die man rasch drehen kann. Zwar wurde der Erhalt einer Rot-Weiß-Rot-Karte gesetzlich erleichtert, dennoch ist er für mittel- und niedrigqualifizierte Arbeits- und Ausbildungswillige, von Busfahrern bis zu Hilfskräften, immer noch zu hochschwellig und langwierig. Zuletzt wurden weitere Sprachen, darunter das in Westafrika verbreitete Französisch, ins Punktesystem aufgenommen, dennoch müssen noch immer Deutschkenntnisse nachgewiesen werden. Im Arbeitsalltag zahlreicher Unternehmen, von IT-Start-ups bis zu Hotelküchen, wird aber längst Englisch gesprochen.

Neben der Anpassung bestehender Instrumentarien lohnt sich auch eine Erweiterung des Angebots. Konzepte wie zirkuläre Migration, Ausbildungspartnerschaften, "komplementäre Pfade" zur Anwerbung in humanitären Krisengebieten – da gäbe es ganzes Bündel an Instrumenten, die auf die Ressourcen und Bedürfnisse von Ziel- und Herkunftsland, von Einreisenden und Unternehmen zugeschnitten werden können. Bis dato bringt Österreich nur einen Bruchteil davon zur Anwendung und überlässt die Umsetzung gern den Arbeitgebern. So werben einzelne Pflegeheimbetreiber bereits in Uganda und Kolumbien an, manche Bundesländer haben Pilotprogramme gestartet. Statt einer koordinierten, nationalen Strategie tut sich ein zunehmend unüberschaubarer Fleckerlteppich an (Privat-)Initiativen auf, der noch dazu zu einem innerstaatlichen Konkurrenzkampf motiviert.

Demografische Realität

Neben der Erarbeitung einer einheitlichen Migrationsstrategie, die auch das Regierungsprogramm vorsehen würde, muss auf kurz oder lang auch die politische Losung "Migration und Asyl trennen" hinterfragt werden. Erstens, weil auch die, die das fordern, es nicht durchgehend tun. Das verdeutlichte die Debatte über indische Arbeitsmigranten, die mangels Einreisealternativen auf die Asylschiene gedrängt wurden, genauso wie Österreichs Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens, um "irreguläre Migration zu bekämpfen".

Zweitens, und noch wesentlicher, weil wir es uns angesichts der demografischen Realität schlichtweg nicht mehr leisten können. Das bedeutet nicht, dass jede Asylwerberin und jeder Asylwerber sofort Arbeitsmarktzugang erhalten muss. Erleichtern könnte man jedoch den Umstieg auf einen regulären Aufenthaltstitel für jene, die in Mangelberufen tätig sind, denn das geht derzeit nur mit vorheriger Ausreise und Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte aus dem Ausland.

Dass ein leichterer Spurwechsel im Inland mehrheitsfähig wäre, zeigte schon die Allianz "Ausbildung statt Abschiebung" des damaligen oberösterreichischen Integrationslandesrats Rudolf Anschober, der sich zahlreiche Wirtschaftstreibende und Politiker sämtlicher Couleur angeschlossen haben.

Drohende Verluste

Fünf Jahre danach hat ihr Anliegen nur an Dringlichkeit gewonnen. Österreich braucht Migration (auch), um den Wohlstand zu sichern, andernfalls drohen Verluste oder eben ein höheres Pensionsantrittsalter. Mit Blick auf die kommenden Wahlen wäre es höchst an der Zeit, dass alle Parteien vorlegten, wie sie Migration nach Österreich gestalten wollen. Harte Rhetorik allein wird nicht mehr reichen. (Judith Kohlenberger, 17.5.2023)