Im Gastblog analysiert Rechtswissenschafter Klaus Schwaighofer die Erneuerung des Maßnahmenrechts und zeigt potenziell kritische Auswirkungen.

Unter Maßnahmenvollzug versteht man vor allem die Unterbringung von Tätern und Täterinnen mit einer schweren psychischen Erkrankung (früher: "geistig abnorme Rechtsbrecher"), die eine strafbare Handlung bestimmter Schwere begangen haben und bei denen zu befürchten ist, dass sie ohne Anstaltsunterbringung weiterhin Straftaten mit schweren Folgen begehen werden (Gefährlichkeitsprognose). Die vorbeugenden Maßnahmen wurden im Jahr 1975 (mit dem StGB) als sogenannte zweite Spur des strafrechtlichen Sanktionensystems neben Strafen eingeführt.

Die mit Abstand größte Bedeutung hatte die Unterbringung zurechnungsunfähiger und zurechnungsfähiger Straftäter in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 und Abs. 2 StGB: Die Unterbringung soll den Zustand der Untergebrachten durch entsprechende medizinische und psychologische Behandlung so weit bessern, dass von ihnen keine weiteren strafbaren Handlungen mehr zu erwarten sind und sie damit keine Gefahr mehr für die öffentliche Sicherheit darstellen.

Justizanstalt Göllersdorf, Eingang, mit Stacheldrahtzaunt
Justizanstalt Göllersdorf, eine für die Unterbringung geistig abnormer Rechtsbrecher vorgesehene Einrichtung.
Foto: HELMUT FOHRINGER / APA / picture

Die Zahl der Personen, die von den Gerichten nach § 21 Abs. 1 und 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurden, hat ständig, in den letzten Jahren sogar dramatisch zugenommen, obwohl die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen und eher rückläufig ist. Befanden sich im Jahr 2001 noch knapp 500 Personen im Maßnahmenvollzug, sind es aktuell etwa 1.500.

Der Rückstau entwickelte sich durch ständig steigende Zugänge bei gleichzeitig restriktiver Entlassungspraxis und damit verbundener längerer Anhaltungsdauer. Das liegt mit Sicherheit nicht an einer drastischen Zunahme von psychisch schwer gestörten Straftätern in Österreich, sondern an der größeren Vorsicht der Sachverständigen und Gerichte, möglichst kein Risiko einzugehen: Wenn nämlich eine Person eine schwerere Straftat begeht, bei der wegen mangelnder Gefährlichkeit von einer Einweisung Abstand genommen wurde (was nicht zu verhindern ist), gibt es unweigerlich einen medialen Aufschrei und massive Kritik an den Fehleinschätzungen des Sachverständigen und des Gerichts.

Reformbedarf

Einem großen Teil der Einweisungen nach § 21 Abs. 1 StGB liegt als Anlasstat eine gefährliche Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB, eine schwere Nötigung nach §§ 105, 106 StGB oder ein (versuchter) Widerstand gegen die Staatsgewalt nach § 269 StGB zugrunde: minderschwere Taten, die nach dem Gesetz zwar Anlass für eine Unterbringung sein können, weil sie mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, aber bei denen es doch diskussionswürdig ist, ob sie für eine unbefristete, im Extremfall lebenslange Unterbringung schwer genug sind. Die Unterbringung nach § 21 Abs. 2 StGB (für zurechnungsfähige, psychisch kranke Rechtsbrecher) wiederum hat sich im Lauf der Zeit zunehmend zu einer Art Sicherungsverwahrung vor allem für Sexualstraftäter und Sexualstraftäterinnen entwickelt.

Nach der ursprünglichen Konzeption sollten die freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen nur in speziellen Anstalten vollzogen werden. Aber die Kapazitäten in den für die Unterbringung geistig abnormer Rechtsbrecher vorgesehenen Einrichtungen (Justizanstalten Göllersdorf, Asten und Mittersteig) reich(t)en bei Weitem nicht aus. Viele Betroffene sind in besonderen Abteilungen von Strafvollzugsanstalten oder in forensischen Abteilungen öffentlicher Krankenanstalten untergebracht, was enorme Kosten (von bis zu 700 Euro pro Tag und Person) verursacht.

So wurde der Druck für eine Reform des Maßnahmenrechts in den letzten Jahren immer größer: Im Jahr 2015 legte eine "Arbeitsgruppe Maßnahmenvollzug" einen Bericht mit zahlreichen Reformvorschlägen vor. Ein Jahr später arbeitete das BMJ einen Gesetzesentwurf aus, der aber wegen vorzeitiger Beendigung der Legislaturperiode keinem Begutachtungsverfahren mehr unterzogen wurde. Seit diesen gescheiterten Reformversuchen ist das Maßnahmenrecht ein Dauerdiskussionsthema, bei dem ganz unterschiedliche (auch politische) Positionen aufeinanderprallen: Die eine Seite stellt das Sicherungsbedürfnis der Bevölkerung in den Vordergrund und verweist auf dramatische Fälle (Stichwort: Brunnenmarkt-Mord). Die andere Seite betont das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das gerade bei unbefristeten freiheitsentziehenden Maßnahmen besondere Beachtung finden muss.

Neue Rechtslage mit Wirkung?

Nach jahrelangen Diskussionen ist nun am 1. März dieses Jahres das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (BGBl I 2022/223) in Kraft getreten, das eine Reihe von Änderungen gebracht hat. Aber wird es auch zu einer spürbaren Entlastung des Maßnahmenvollzugs führen? Das neue Gesetz hat die Terminologie verbessert: Die bisherige Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher heißt nun "strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum". Statt von einer "geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad" spricht das Gesetz nun von einer "schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung".

An den grundlegenden Einweisungsvoraussetzungen hat sich allerdings nicht allzu viel verändert: Als Anlasstaten kommen weiterhin grundsätzlich alle Taten in Betracht, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Ausgenommen sind – ebenfalls wie schon bisher – alle Vermögensdelikte, es sei denn sie wurden mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen (wie etwa Raub oder räuberischer Diebstahl). Die vielfach von Experten und Expertinnen erhobene Forderung, die Schwelle auf Straftaten zu erhöhen, die mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, wurde nicht umgesetzt.

Hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose verlangt das Gesetz weiterhin die Befürchtung, dass die betreffende Person ohne Einweisung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Neu ist, dass das Gesetz ausdrücklich eine "hohe Wahrscheinlichkeit" der Begehung solcher Taten verlangt, und zwar "in absehbarer Zukunft" "unter dem maßgeblichen Einfluss der psychischen Störung".

Diese präziser formulierten Voraussetzungen sind jedenfalls positiv zu beurteilen. Aber es ist sehr zu bezweifeln, dass diese Änderungen große Auswirkungen auf die Einweisungspraxis der Gerichte haben werden: Eine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer strafbarer Handlungen mit schweren Folgen war nach der Rechtsprechung des OGH schon bisher notwendig (und wurde regelmäßig angenommen). Auch dass die psychische Störung die zu befürchtenden strafbaren Handlungen maßgeblich beeinflussen müssen, dürfte keine besonderen Auswirkungen haben. Ein maßgeblicher Einfluss ist zwar etwas mehr als der bislang geforderte bloße Einfluss, lässt sich aber schwer präzisieren und wird vom Gericht auf Basis der Ausführungen des Sachverständigen entsprechend festgestellt werden. Auch dass die zu befürchtenden Straftaten in absehbarer Zukunft begangen werden müssen, ist keine Hürde, die die Unterbringungszahlen signifikant wird senken können.

Keine Erhöhung der Strafdrohung

Wirklich größere Auswirkungen auf die Zuweisungszahlen hätte die Anhebung der Strafdrohung für die notwendige Anlasstat gehabt. Dazu ist es aber aufgrund zahlreicher Widerstände letztlich nicht gekommen. Damit kann weiterhin jede vorsätzliche schwere Körperverletzung nach § 84 StGB, jede schwere Nötigung (§§ 105, 106 StGB), jede schwere gefährliche Drohung (§ 107 Abs. 1 und 2 StGB) und auch jeder (versuchte) Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) zu einer Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum führen.

Auch die Gefährlichkeitsprognose muss sich grundsätzlich weiterhin auf eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen beziehen. Dieser Begriff wurde sehr weit verstanden: Es sollen darunter alle Auswirkungen einer Straftat in der Außenwelt verstanden werden. Hinsichtlich zu befürchtender Taten gegen Leib und Leben sieht der OGH schon die Gefahr einer Gesundheitsschädigung von mehr als 14 Tagen als schwere Folge an, obwohl das österreichische Strafgesetzbuch eine "schwere" Körperverletzung als eine Verletzung, die eine mehr als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit nach sich zieht oder an sich schwer ist. Auch eine zu befürchtende Drohung mit dem Tod oder einem schweren Übel (§ 107 Abs. 2 StGB) ist nach Ansicht des OGH eine Tat mit schweren Folgen.

Beschränkung bei gewissen Anlasstaten

Eine gewisse Beschränkung hat das neue Gesetz allerdings hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose doch gebracht: Wenn die Strafdrohung der Anlasstat drei Jahre nicht übersteigt, dann muss sich die Befürchtung (einer neuerlichen Begehung einer Straftat mit schweren Folgen) auf eine gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen (§ 21 Abs. 3 zweiter Satz StGB neue Fassung).

Das heißt konkret: Bei einer Anlasstat nach § 269 Abs. 1 erster Fall StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt) oder nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB (gefährliche Drohung, auch mit dem Tod) kann die Befürchtung, dass der Täter oder die Täterin mit hoher Wahrscheinlichkeit neuerlich eine solche Tat begehen wird, nicht mehr zu einer Unterbringung nach § 21 StGB führen. Denn § 269 StGB und § 107 StGB sind keine strafbare Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung.

Wenn allerdings der Sachverständige eine große Gefahr sieht, dass der Täter oder die Täterin in Zukunft (auch) eine schwere Körperverletzung nach § 84 StGB begeht, kommt eine Unterbringung weiterhin in Betracht, weil die schwere Körperverletzung nach § 84 StGB mit bis zu drei Jahren oder mit noch höherer Strafe bedroht ist. Im Übrigen ist eine schwere Körperverletzung nach § 84 Abs. 2 StGB auch schon eine leichte Körperverletzung eines Beamten oder einer Beamtin während einer Amtshandlung. Man könnte zwar durchaus in Zweifel ziehen, ob solch eine leichte Körperverletzung eine Tat mit schweren Folgen ist, was ja Grundvoraussetzung für eine Einweisung nach § 21 StGB ist; man wird wohl – im Sinne der bisherigen Judikatur des OGH – zumindest eine Körperverletzung mit einer Gesundschädigung von mehr als 14 Tagen verlangen müssen.

Aber nicht einmal das ist sicher, weil nach den Gesetzesmaterialien die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz StGB genannten strafbaren Handlungen (das sind alle Delikte gegen Leib und Leben, die mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, und alle Sexualdelikte, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind) "jedenfalls schwere Folgen nach sich ziehen" (Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 1789 BlgNR 27. GP, 11). Damit wäre jede noch so leichte Körperverletzung eines Beamten während der Ausübung seines Dienstes eine strafbare Handlung mit schweren Folgen! Und wenn die Strafdrohungen für Kinderpornographie wie geplant (siehe Gesetzesentwurf des BMJ vom 31.März 2023) angehoben werden, wäre womöglich auch das zu befürchtende weitere Surfen nach Kinderpornos im Internet (§ 207a Abs. 3a StGB) eine strafbare Handlung mit schweren Folgen!

Kritische Auswirkungen der Gesetzesänderung

Vielleicht kommt der OGH auch auf die Idee, die Begriffe "auf eine gegen Leib und Leben gerichtete" mit Strafe bedrohte Handlung gar nicht auf den ersten Abschnitt des StGB, sondern auf das Rechtsgut zu beziehen: Dann fielen auch zu befürchtende Freiheitsdelikte oder der Widerstand gegen die Staatsgewalt, die mit Gewalt gegen eine Person begangen werden, darunter.

Und noch eine weitere Überlegung: Wenn nach dem Sachverständigengutachten die Gefahr besteht, dass ein Täter in Zukunft Aggressionsdelikte (Körperverletzungsdelikte) begehen wird, so wird man vom Sachverständigen kaum erwarten können, dass er eine klare Aussage trifft, dass bloß leichte Körperverletzungen i. S. d. § 83 Abs. 1 StGB zu befürchten seien. Bei Aggressionsdelikten sind immer auch schwerere Folgen zu befürchten: Ob eine Misshandlung zu gar keinen, zu leichten oder zu schweren Folgen führt, ist Zufall. Der Eintritt einer schweren Verletzung führt aber zu einer Erhöhung der Strafdrohung auf bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe (§ 84 Abs. 1 StGB); und auch bei jedem gewaltsamen Widerstand gegen die Staatsgewalt besteht die Gefahr, dass ein Beamter oder eine Beamtin leichte Verletzungen erleidet, sodass eine Tat gegen Leib und Leben zu befürchten ist, die mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 84 Abs. 2 StGB).

Wenn bereits die Anlasstat mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (etwa eine schwere Nötigung nach §§ 105, 106 StGB), genügt für die zu befürchtende Tat (Prognosetat) jede strafbare Handlung mit schweren Folgen. Die Einschränkung auf Delikte gegen Leib und Leben und Sexualdelikte mit höherer Strafdrohung in § 21 Abs. 3 zweiter Satz StGB gilt dann nicht. Und weil davon auszugehen ist, dass der OGH seine Judikatur zu strafbaren Handlungen mit "schweren Folgen" nicht ändern und auch Drohungen mit dem Tod weiter darunter subsumieren wird, ist davon auszugehen, dass sich an der Einweisungspraxis nicht viel ändern wird.

Änderungen bei jungen Untergebrachten

Eine wirkliche große Änderung bringt das neue Gesetz hinsichtlich der Unterbringung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Personen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres): Die Einweisungskriterien wurden durch das neue Gesetz deutlich strenger gefasst: Die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 StGB kommt ab 1. September 2023 (Inkrafttreten der neuen Bestimmungen des JGG) nur mehr bei Anlasstaten in Betracht, die mit bis zu zehn oder mehr Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.

Außerdem sind nach der Übergangsbestimmung des neuen Gesetzes alle Untergebrachten, die nach der neuen Rechtslage nicht mehr untergebracht werden dürften, ohne eine Probezeit unbedingt zu entlassen. Das dürfte dazu führen, dass ab 1.September 2023 ein großer Teil der jungen Untergebrachten – man rechnet mit etwa 60 –  unbedingt entlassen werden müssen. Dabei stellt sich das Problem, dass die Entlassung mit therapeutischen Begleitmaßnahmen verknüpft werden sollte, die ohne Anordnung von Weisungen nicht sichergestellt sind.

Reduktion von Unterbringungen unwahrscheinlich

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich der Gesetzgeber gewiss bemüht hat, die Hürden für die Einweisung in forensisch-therapeutische Zentren zu erhöhen. Als großen Wurf kann man das neue Gesetz aber nicht bezeichnen, eine deutliche Reduktion der Unterbringungszahlen ist davon nicht zu erwarten. Dafür wären mutigere Schritte nötig gewesen, wie eine deutliche Erhöhung der Strafdrohung für Anlasstaten und die gesetzliche Festlegung, dass bloß zu befürchtende Drohungen keine Taten mit schweren Folgen sind, sondern nur deren Umsetzung. Leider war das politisch nicht durchsetzbar. Der zweite große Teil der Maßnahmenreform – die Reform des Maßnahmenvollzugs – steht überhaupt noch aus. (Klaus Schwaighofer, 26.5.2023)