Laura Leyser, Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, fordert in ihrem Gastkommentar ein schärferes Vorgehen der EU gegen Pushbacks ein.

Auf dem Westbalkan, an der belarussischen Grenze zu Lettland, Litauen und Polen, am Mittelmeer und in Italien sowie in Griechenland: In ganz Europa erleben die Teams von Ärzte ohne Grenzen immer wieder, wie Menschen auf der Flucht im Meer ertrinken, an den Grenzen abgefangen und zurückgedrängt werden, ihnen humanitäre Hilfe verweigert wird und sie in ihrer Hoffnung auf Schutz kriminalisiert werden. Anstatt ihrer internationalen Verantwortung gegenüber Flüchtenden und Schutzsuchenden nachzukommen, verfolgen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nach wie vor eine Strategie, die Menschenleben kostet. Dabei hat die EU in ihrem Umgang mit den Kriegsflüchtenden aus der Ukraine sehr wohl gezeigt, dass sie in der Lage ist, eine humane Migrationspolitik umzusetzen – es fehlt allerdings der politische Wille.

Flüchtende, die in Italien gelandet sind.
APA/AFP/ALESSANDRO SERRANO

Erst vergangene Woche hat ein Bericht in der "New York Times" zumindest kurzfristig für Empörung gesorgt: Videomaterial des Aktivisten Fayad Mulla zeigt, wie zwölf geflüchtete Menschen, darunter kleine Kinder, am 11. April auf Lesbos von maskierten Männern auf dem Meer ausgesetzt werden. Unser Team hatte am selben Tag einen Notruf erhalten, dass 103 Menschen neu auf der Insel angekommen seien. 91 Personen haben unsere Kolleginnen und Kollegen versorgt, zwölf konnten nicht gefunden werden. Immer wieder berichten Patientinnen und Patienten von ähnlichen traumatischen Erlebnissen. Sie sprechen davon, wie sie aufgehalten und zur Rückkehr gezwungen wurden – sowohl an Land als auch auf dem Wasser, manche erzählen von Gewalt durch Grenzbeamtinnen und Grenzbeamte oder Sicherheitspersonal. So hat ein Mann aus Somalia erst kürzlich berichtet, dass er bereits sechs Pushbacks erlebt hat. Beim letzten Mal sei er auf der Insel Lesbos von Männern mit Sturmhauben geschlagen, auf ein Schlauchboot verfrachtet und wieder zurück aufs Meer geschoben worden.

Aggressive Maßnahmen

Anstatt diese Gewalt zu untersuchen und zu stoppen, finden EU-Staatschefs sogar Gründe, um aggressive Maßnahmen zu rechtfertigen. In den letzten Jahren hat die Politik von Mitgliedsstaaten wie Griechenland, Polen, Ungarn und Litauen immer wieder zu gewaltsamen Pushbacks geführt. Anstatt in den Ausbau von Aufnahmezentren und die Verbesserung der Aufnahmebedingungen innerhalb der EU zu investieren, konzentrieren sich die Mitgliedsstaaten auf die Einschränkung von Einreisen und die Auslagerung ihrer internationalen Verantwortung an andere weniger sichere Länder. Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen haben wiederholt auf die schwerwiegenden Folgen der Gewalt an der Grenze für die physische und psychische Gesundheit der Menschen, denen wir helfen, hingewiesen. Die Gewalt an den EU-Außengrenzen muss ein Ende haben. Menschenleben dürfen nicht zum Spielball der Politik werden. (Laura Leyser, 25.5.2023)