Als langjährige rechte Hand eines Drei-Sterne-Kochs ist einem die Richtung auch in der Selbstständigkeit irgendwie vorgezeichnet. Insofern schien es logisch, dass Sören Herzig, nachdem er bei Juan Amador alles gelernt (und sich, eh nur kurzfristig, in der Food-Ecke von Martin Hos Unternehmenskonglomerat verirrt) hatte, selbst auch ein Fine-Dining-Restaurant aufmachte. Dass eine frühere Pfandhaus-Zweigstelle auf der Schmelz ein recht herausfordernder Ort dafür sein könnte, wollten nur Unkenrufer erkennen.

Restaurant Herzig
Das feine Restaurant Herzig in Wien-Fünfhaus gibt es jetzt auch um einiges legerer – aber immer nur Mittwoch und Donnerstag.
Gerhard Wasserbauer

Immerhin steht eine traditionsreiche Unternehmerfamilie hinter der Entwicklung des einstigen Dorotheum-Standorts, immerhin ist das Haus ein Art-déco-Bau samt Werbeagentur und anderen Kreativmenschen als Mieter, immerhin gibt es eine Dachterrasse mit abgehoben tollem Blick auf die Hauptstadt da unten. Und die soll schon bald auch für das Restaurant erschlossen werden: Mit Sommeranfang, also schon sehr bald, stellt Herzig einen langen Tisch samt Außenküche hin, dem noblen Al-fresco-Tafeln steht dann nichts entgegen. Angeblich werden sich auch spontane Freunde des Sundowning, Stichwort Rooftop-Bar, ohne Reservierung an der Pracht des Blicks erbauen dürfen.

Vorerst muss es aber noch Sommer werden. Bis dahin versucht Herzig, sich den – in der Vorstadt noch unmissverständlicher manifesten – neuen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens im Allgemeinen und des Wirtseins im Besonderen anzunähern. Und die sind nun einmal: Runter mit den Preisen, schließlich sitzt der Euro auch bei jenen, die sich Essengehen noch leisten können, nicht mehr so locker wie vergangenes Jahr. Einstweilen sind es die vergleichsweise weniger nachgefragten Tage Mittwoch und Donnerstag, an denen Herzig deshalb neben den Menüs um 170 und 155 Euro auch eine gar nicht so kleine À-la-carte-Auswahl anbietet. Und die ist richtig zivilisiert ausgefallen, nicht zuletzt in puncto Preisgestaltung.

Rote-Rüben-Carpaccio, in funkelndem Rubinrot, wird mit einer fantastischen Wacholder-Vinaigrette und eingelegten Maiwipfeln zur knackigen, intensiv aromatischen Vorspeise – und um 9,50 Euro geradezu diskontmäßig günstig zum Gourmeterlebnis. Auch das Ceviche von der Lachsforelle kann’s: fruchtig saure Tigermilch, in der die Würfel vom Zuchtfisch schon ein bissl angezogen haben, dazu reichlich Spargel, Schalotte und einen ganzen Schüppel Grünzeug aus Rucola, Schafgarbe, Brunnenkresse und anderem mehr, der im Restaurantfachhandel als Wildkräutersalat in der Liste steht; zähmt die Derbheit des ursprünglich lateinamerikanischen Gerichts sehr gekonnt, lässt die Wurzeln unter der seidigen Oberfläche aber noch durchscheinen.

Bulgurbällchen mit Granatapfelmelasse entpuppen sich als Verbeugung vor den türkischen Kollegen Herzigs in der Nachbarschaft, in der Art von Cigköfte sehr lebhaft gewürzte, geknetete Happen, die auf Salatblättern gereicht und mit den Fingern gegessen werden: auch wieder mit sehr gefälligem Säurespiel, abermals mit der schon bekannten Grünzeug-Deko.

Smoke gets on your steak

Beefsteak
Das Steak kann nicht überzeugen, ist um 22,50 Euro aber eine Kampfansage.
Gerhard Wasserbauer

Die spielt auch beim Beefsteak mit Pesto-ähnlicher Gremolata (siehe Bild) eine tragende Nebenrolle, wieder als Nest in Grün, das auf und neben dem Fleisch angerichtet wird. Das Steak selbst, offensichtlich sous-vide gegart und danach auf dem Rost mit extrem präsentem Raucharoma versehen, kann nicht überzeugen: Es wirkt trotz Rauchattacke kraftlos, ohne Biss und wird, wie meist bei im Vakuum vorgegarten Edelteilen, beim Kauen immer mehr im Mund. Immerhin: 22,50 Euro für ein Steak sind eine ziemliche Kampfansage.

Was als Paprikahuhn auf der Karte steht, darf man sich nicht als Version des klassisch wienerischen Gerichts vorstellen: Zu Tisch kommt eine Ballotine vom Perlhuhn mit Semmelfülle, auf fruchtigem Paprikaschaum, dazu ein ganz hervorragendes, knackiges Paprikakraut: sehr gut, ausgesprochen französisch inspiriert.

Noch ist sich Herzig nicht sicher, ob er die Bistro-Linie mit aufs Dach holen wird, es lohnt sich also, schnell zu sein! (RONDO, Severin Corti, 26.5.2023)