Den SPÖ-Parteitag am Wochenende verließ Andreas Babler als Verlierer. Nun hat sich das Blatt überraschend gewendet.
Heribert Corn

Die Sozialdemokraten sind aus den vergangenen Monaten einiges an Überraschungen gewöhnt, doch diese Wendung stellt alles bisher Erlebte in den Schatten. Was seit zwei Tagen als Gewissheit galt, ist plötzlich obsolet: Der neue SPÖ-Chef heißt nicht Hans Peter Doskozil, sondern Andreas Babler.

Die – gelinde gesagt – undankbare Aufgabe, das Schlamassel zu erklären, fiel Michaela Grubesa zu. Bei der Übertragung der ausgezählten Stimmen in eine Excel-Tabelle beim Parteitag am Samstag sei etwas schiefgelaufen, räumte die Leiterin der Wahlkommission in der SPÖ bei einer für Montagnachmittag eilig einberufenen Pressekonferenz zerknirscht ein. Statt des burgenländischen Landeshauptmanns lag in Wahrheit der Traiskirchener Bürgermeister um 37 Stimmen vorn: Er vereinte 317 Delegierte hinter sich, Doskozil 280. In Prozentsätzen ausgedrückt lautet das Ergebnis 52,7 zu 46,5.

VIDEO: Grubesas Erklärung: Babler doch SPÖ Chef
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Zufällig entdeckter Irrtum

Dass der Irrtum überhaupt aufkam, ist dem ORF-Journalisten Martin Thür zu verdanken. Ihm war aufgefallen, dass in dem den beiden Kandidaten am Parteitag zugewiesenen Resultat eine gültige Stimme fehlte. Um das Mysterium aufzuklären, sei sie in die Parteizentrale Wien gefahren, berichtete Grubesa. Bei der Neuauszählung sei aber nicht nur die verlorene (ungültige) Stimme ans Licht gekommen, sondern auch jener folgenschwerere Fehler, der die Vorsitzendenwahl auf den Kopf stellte.

Die Wahlkommission habe die Stimmen völlig korrekt ausgezählt, betonte Grubesa. Passiert sei der Irrtum vielmehr einem Mitarbeiter, als die Listen aus den Wahlurnen zusammen­geführt und in das System eingespeist wurden. Die Kommission habe das Resultat allerdings nicht überprüft, ergänzt Grubesa: Kein Mitglied, auch sie selbst nicht, habe das verlangt. Sie bitte dafür um Entschuldigung, so die steirische Landtagsabgeordnete – besonders bei Hans Peter Doskozil.

Ist das neue Ergebnis nun verbindlich? Oder braucht es doch wieder einen weiteren Parteitag mit einer neuerlichen Wahl? Grubesa verneint: "Aus meiner Sicht ist der ganze Prozess belegbar." Und diesmal, fügt sie an, seien die Zahlen überprüft worden.

Versöhnliche Worte des Verlierers

Im Burgenland waren Gerüchte über Unregelmäßigkeiten am Montagvormittag aufgetaucht. Als sich die Hiobsbotschaft verdichtete, sagte Doskozil kurzerhand Termine, darunter ein Interview mit dem STANDARD, ab und bestellte seinen Vertrauensanwalt in sein Büro im Sitz der Landesregierung ein. Kurz vor 17 Uhr stellte sich der Doch-nicht-Parteichef schließlich der Öffentlichkeit. Er habe heute Morgen nicht damit gerechnet, was da auf ihn zukomme, hob er an: "Das ist sicher ein Tiefpunkt für die österreichische Sozialdemokratie."

Trotz allem jedoch, setzte Doskozil fort, handle es sich um das Ergebnis einer Parteitagswahl, das er "unbestritten" zur Kenntnis nehmen wolle: "Daran gibt es nichts zu rütteln." Obwohl dieser Tag für die SPÖ und natürlich auch ihn selbst nicht angenehm sei, wolle er Andreas Babler zur Wahl zum Parteivorsitzenden "recht herzlich gratulieren".

"Das ist sicher ein Tiefpunkt für die österreichische Sozialdemokratie", befand Hans Peter Doskozil. Das Kapitel Bundespolitik sei für ihn nun "ein für alle Mal abgeschlossen".
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Wichtig sei ihm überdies, in dieser "schwierigen Stunde" nicht auf einzelne Personen mit dem Finger zu zeigen. Genauso sollten es trotz aller Enttäuschung all jene halten, die ihn bei der Bewerbung um den Parteivorsitz unterstützt haben. Auch für seine Anhängerschaft sei der Ausgang zu akzeptieren, die Genossinnen und Genossen müssten endlich wieder gemeinsam an einem Strang ziehen, appellierte Doskozil. "Spott und Häme" werde es vonseiten der politischen Konkurrenz ohnehin genug geben: "Das müssen wir uns gefallen lassen. Aber es wird wieder schönere Zeiten für die Sozialdemokratie geben."

Doskozil entsagt Bundespolitik

Geht es nach den Worten des Landeshauptmanns, dann muss Babler nicht fürchten, dass Doskozil in Zukunft einen neuen Anlauf für den Sprung an die Spitze nimmt. Er versichert: "Für mich ist das Kapitel Bundespolitik ein für alle Mal abgeschlossen."

Gewonnen hat damit jener Kandidat, der im ursprünglichen Dreikampf, in dem noch Pamela Rendi-Wagner mitmischte, als Außenseiter galt. Vor allem beim Parteitag sprach die Papierform klar für Doskozil: Immerhin hatten sich sieben von neun Landesparteichefs offiziell für den Ex-Polizisten ausgesprochen. Doch die Delegierten – Bürgermeister, Mandatare, Funktionäre – leben mittlerweile offenbar mehr Eigenständigkeit aus, als das in der durchaus hierarchischen SPÖ lange üblich war. Ausschlag gegeben hat möglicherweise Bablers engagierter Auftritt am Tag X: Seine Rede fiel weitaus feuriger aus als jene Doskozils.

Doch mehr Herz als Hirn

Verlockend klang Bablers Versprechen, der SPÖ wieder Stolz und Würde zurückzugeben. Frei nach der Abgeordneten Julia Herr, einer wichtigen Mitstreiterin des Neo-Parteichefs, haben die Sozialdemokratinnen und Sozial­demokraten mehrheitlich damit doch auf "Bauch und Herz" statt auf das "Hirn" gehört. Doskozils strategisches Kernargument, wonach nur er die für eine alternative Mehrheit zu Schwarz-Blau nötigen Stimmen rechts der Mitte fischen könne, verfing nicht genug, um ihn an die Parteispitze zu hieven. Eine Hypothek war hingegen der zur Amtszeit Rendi-Wagners erworbene Ruf des Quertreibers.

Der Einigungsversuch, den Doskozil diese Woche in Angriff nehmen wollte, dürfte Babler leichter fallen: Die geschundene sozialdemokratische Seele zu streicheln zählt zu den Kernkompetenzen des leger und boden­ständig auftretenden 50-Jährigen, der als Ortschef in Traiskirchen mit einer Mehrheit von 72 Prozent regiert. Schwieriger könnte die Übung werden, wenn sich Babler nach der nächsten Nationalratswahl einen Koalitionspartner suchen muss. Abgesehen von den Grünen lässt sich sein Linkskurs mit allen ­anderen (derzeitigen) Parlamentsparteien schwer vereinbaren; sofern die SPÖ nach den Vorfällen, die den ohnehin schon eingehandelten Ruf der Chaostruppe zu verfestigen droht, überhaupt in die Verlegenheit einer Regierungsbildung kommt.

Babler will weitere Überprüfung

So weit greift Babler aber noch lange nicht vor. Mit ernster Miene, ohne jeden Anflug von Triumphalismus, trat er am späten Montagnachmittag vor die Medien, um die sensationelle Wendung zu kommentieren. Dem Happy End schien er noch nicht ganz zu trauen. Vielmehr verlangte der Überraschungssieger von der Wahlkommission, eine weitere Überprüfung des Ergebnisses vorzunehmen. Für die Zukunft dürfe "kein Fragezeichen" zurückbleiben. Die Wahlkommission wird dazu am Dienstagvormittag zusammentreten.

Der Rest klang ähnlich wie eine Dreiviertelstunde zuvor beim unterlegenen Rivalen Doskozil. Auch Babler sprach von einer schwarzen Stunde für die SPÖ. Was passiert ist, sei "durch nichts zu tolerieren und zu rechtfertigen. Ich möchte mich für das Bild, das Teile unseres Apparats in den vergangenen Wochen abgegeben haben, aus tiefstem Herzen entschuldigen". Sollte sich sein Sieg letztlich aber als unumstößlich herausstellen, wolle er sich mit aller Kraft für ein Ziel einsetzen: ein Comeback der Sozialdemokratie.

Und dann tat der sonst so redselige Politiker etwas, das – weil ungewöhnlich – zum Anlass passte: Er bat um Verständnis, dass er keine Fragen mehr beantworten werde.

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) nahm am Montagabend Stellung zur Posse rund um die Wahl des neuen SPÖ-Chefs Andreas Babler.
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Kaiser: "Einer der schlimmsten Tage für Sozialdemokratie"

Das tat dafür Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) in der "ZiB 2" am Montagabend. Er nannte die Geschehnisse rund um die Stimmenauszählung unglaublich. "Es ist einer der schlimmsten Tage für die Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten", so Kaiser. Das Auszählungsergebnis müsse nun überprüft werden. "Wir brauchen ein definitives Ergebnis, das gesichert ist" – gegebenenfalls mit einer zusätzlichen Aufsicht. Einen neuerlichen Parteitag hielt er für nicht nötig, wenn das Ergebnis bestätigt wird. Mittlerweile schließe er aber nichts mehr aus. (Gerald John, 5.6.2023)