Sie werden immer mehr, die neuen Wiener Gemeindewohnungen: Vor wenigen Tagen übergab Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) die tausendste neue Wohneinheit. Sie befindet sich in Floridsdorf, genauer gesagt in der Ottilie-Bondy-Promenade. Dort wurden von der Wigeba, der gemeinsamen Gesellschaft von Gesiba und Wiener Wohnen, in den vergangenen zwei Jahren 74 Wohneinheiten gebaut. Die 74. davon war genau die tausendste insgesamt, seit im Jahr 2015 das Gemeindewohnbauprogramm wiederaufgenommen wurde. Eine Punktlandung, die per Aussendung gefeiert wurde.

Der jüngste Wiener Gemeindebau in der Ottilie-Bondy-Promenade in Floridsdorf.
PID/Alexandra Kromus

Davon abgesehen ist aktuell im Wiener Wohnbau aber niemandem zum Feiern zumute. Hinter den Kulissen ist viel eher Krisenstimmung angesagt. Denn wenn sich an den derzeitigen Rahmenbedingungen nichts ändert, wird die Wohnbauproduktion in Wien ab 2024 massiv zurückgehen.

Einbruch ab 2024

Von den Wiener Gemeinnützigen wurden zwar im Vorjahr laut der vor wenigen Wochen präsentierten Bilanz ihres Bundesverbands (GBV) rund 4.500 Wohneinheiten fertiggestellt, das waren etwas mehr als 2021. Und für heuer wird noch eine ähnlich hohe Bauleistung erwartet.

Doch dass es danach zu einem Einbruch kommen wird, ist einerseits schon an den Zahlen über die Baubewilligungen ablesbar, die zuletzt Anfang des Jahres bundesweit um rund ein Viertel zurückgingen. Zum anderen bedeutet auch eine erteilte Baubewilligung aktuell nicht, dass kurz danach wirklich gebaut werden kann. Denn hohe Baukosten und hohe Finanzierungskosten sorgen dafür, dass derzeit kaum ein neues Projekt gestartet wird.

"Wir stehen eigentlich schon seit zwei Jahren", sagt Andreas Weikhart, Obmann der Genossenschaft Wien Süd, dem STANDARD. Außer der Anlage im Stadterweiterungsgebiet Berresgasse in der Donaustadt mit 165 geförderten Mietwohnungen wurde von seinem Unternehmen in dieser Zeit kein Projekt mehr zu bauen begonnen. "Spätestens ab der zweiten Jahreshälfte werden wir ein Loch haben", sagt Weikhart.

Politik wird zum Handeln aufgefordert

Führende Vertreter des gemeinnützigen Sektors warnten die Politik bereits wiederholt davor, dass es bald an Sozialwohnungen fehlen wird. Michael Gehbauer, Obmann des Bauträgers WBV-GPA, Vorsitzender der Wiener Landesgruppe der Gemeinnützigen und Obmann des Vereins für Wohnbauförderung, der Organisation der SPÖ-nahen Gemeinnützigen, wurde im Büro der Wiener Wohnbaustadträtin bereits vorstellig und hat dort "Wünsche deponiert", wie er sagt: "Mehr Wohnbaufördermittel, höhere Annuitätenzuschüsse oder höhere nichtrückzahlbare Zuschüsse." Dafür müsste die Stadt Geld in die Hand nehmen, "aber es wäre auch aus baukonjunktureller Sicht gut, wenn die Gemeinnützigen die Lücke füllen könnten, die die Gewerblichen hinterlassen." Denn auch Letztere hadern derzeit stark mit den schwierigen Rahmenbedingungen.

Die Anlage in der Berresgasse ist die letzte, die von Wien Süd begonnen wurde.
schreinerkastler

Auch Wien-Süd-Chef Weikhart sieht die Politik in der Pflicht: "Bundeshaftungen für Kredite würden uns immens helfen bei der Finanzierung." Ein Prozentpunkt auf oder ab bei den Zinsen wirkt sich auf die Monatsmiete pro Quadratmeter mit einem Euro aus, so lautet die Faustformel der Gemeinnützigen. Und Weikhart plädiert dafür, rasch Entscheidungen zu treffen. "Denn was jetzt zu bauen begonnen wird, wird erst in zwei Jahren fertig."

"4.000 bis 7.000 Wohnungen nötig"

Zwischen 4.000 und 7.000 geförderte Wohneinheiten bräuchte Wien nach Ansicht Gehbauers jedes Jahr; wird nichts unternommen, wird die Untergrenze 2024 bestimmt weit unterschritten. Denn das Gemeindewohnbauprogramm ist mit seinen tausend Wohnungen in vier Jahren bisher ohnehin quantitativ nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die 1.000 Einheiten verteilen sich auf acht Projekte; zwei mit insgesamt 150 Einheiten wurden heuer fertiggestellt. Ob es in diesem Jahr noch weitere Fertigstellungen geben wird, ist unsicher.

Bauträgerwettbewerbe finden in Wien aktuell keine statt, erst im Herbst dürften wieder welche gestartet werden. "Es ist wahnsinnig schwierig, unter den derzeitigen Bedingungen etwas in Bau zu bekommen", sagt Gehbauer. Er ist gerade "hart am Verhandeln", um das Projekt Sophienspital kostenmäßig auf den Boden zu bringen. 190 Wohneinheiten sind dort geplant; 160 von WBV-GPA und Sozialbau, 30 als neue Gemeindewohnungen.

Doch die Probleme betreffen natürlich nicht nur Wien. Auch in der Steiermark hängen zahlreiche geförderte Projekte in der Warteschleife, und in Niederösterreich wird derzeit keine Wohnbauförderung im mehrgeschoßigen Segment vergeben. Die erste Vergabesitzung nach der Bildung der neuen Landesregierung wird zwar kommende Woche stattfinden, dabei werden aber nur Sanierungsförderungen vergeben werden.

Laut Manfred Damberger, Vorstand der Waldviertler Genossenschaft WAV und Landesobmann der niederösterreichischen Gemeinnützigen, wird gemeinsam mit dem Land gerade "intensiv" an der Neuausrichtung der Neubauförderung gearbeitet. "Die Zinsentwicklung und die Teuerung machen eine Evaluierung erforderlich", sagt Damberger, der auch niederösterreichischer Obmann der Arge Eigenheim ist, der Organisation der ÖVP-nahen Gemeinnützigenvertreter.

Verbandstag diese Woche in Salzburg

Die Bundesspitze der Arge Eigenheim will am Dienstag ebenfalls Vorschläge für eine "Neuordnung der Wohnbaufinanzierung" präsentieren. Und auch am Mittwoch und Donnerstag wird zweifellos über alle diese Dinge ausgiebig diskutiert werden, wenn sich die Vertreterinnen und Vertreter der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in Salzburg zu ihrem jährlichen Verbandstag treffen. "Im Fokus der Veranstaltung steht die preisdämpfende Wirkung des gemeinnützigen Wohnbaus in Österreich und vor welchen Herausforderungen die gemeinnützige Wohnungswirtschaft steht", heißt es in der Ankündigung.

Zumindest in einer Hinsicht gab es zuletzt ein Aufatmen unter den Gemeinnützigen, konkret unter den SPÖ-nahen – nämlich an der Parteichef-Front. Schon im Vorfeld der jüngsten Mitgliederbefragung in der SPÖ über den Vorsitz der Partei hatte der Verein für Wohnbauförderung jeweils fünf Fragen an Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil und Andreas Babler gestellt.

Babler ist "auf Linie" der Gemeinnützigen ...

Doskozil hat, wie berichtet, als burgenländischer Landeshauptmann dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) den Kampf angesagt und mittlerweile die Wohnbauförderung in seinem Bundesland so umgebaut, dass die dortigen Gemeinnützigen künftig kaum noch mit Förderung werden bauen können. Er setzt auf "leistbares Eigentum" außerhalb des WGG, was große Teile der restlichen SPÖ, insbesondere der Wiener, eher ratlos zurücklässt.

Von Doskozil kamen dann allerdings gar keine Antworten auf die fünf Fragen des Vereins für Wohnbauförderung. Von Rendi-Wagner und Babler hingegen schon, und insbesondere die Antworten des neuen SPÖ-Chefs Babler fielen ganz im Sinne des Vereins aus. "Der gemeinnützige Wohnbau ist ein zentrales Instrument, um den Mietsektor in wesentlichen Teilen der privaten Profitwirtschaft zu entziehen", schrieb er. "Ein größeres Angebot an leistbaren Mietwohnungen ist in meinen Augen die zentrale Aufgabe für den gemeinnützigen Sektor." Neu errichtete Wohnungen müssten dauerhaft an die Gemeinnützigkeit gebunden bleiben, "um eine Nutzung als 'Anlegerwohnung' dauerhaft zu verunmöglichen".

... und für strenge Mietendeckel

Neben der "Nutzung ordnungspolitischer Instrumente zur Regulierung von Bodenpreisen und -verbrauch" sprach sich Babler auch für Mietpreisregulierungen "im gesamten Immobiliensektor" aus, also auch bei privaten Mietwohnungen. "In der Teuerungskrise zeigt sich gerade im privaten Mietsektor, wie verheerend es ist, wenn die öffentliche Hand im Wohnbereich nicht wirksam ordnend eingreift. Die Regulierung der privaten Mieten, der Bodenpreise und des Bodenverbrauchs muss aber Hand in Hand gehen mit der Stärkung des gemeinnützigen Wohnbaus." Babler schloss sich auch der Forderung nach einer schrittweisen Anhebung der Wohnbaufördermittel von derzeit 0,4 auf ein Prozent des BIP an. Diese Forderung erheben die roten Gemeinnützigenvertreter schon seit einiger Zeit.

Zumindest die Zweckwidmung der Wohnbaufördergelder dürfte nun bald wieder beschlossen werden. Die Bundes-ÖVP will das Thema "leistbares Wohnen" am Montag mit Expertinnen und Experten beraten. Dabei wird es laut APA auch um die Wiedereinführung der 2008 abgeschafften Zweckwidmung gehen, außerdem um Erleichterungen beim Erwerb des ersten Eigenheims. (Martin Putschögl, 12.6.2023)