Unter dem Motto "Es reicht" fand im März 2022 eine öffentliche Betriebsversammlung der Beschäftigten der elementaren Bildungs- und Betreuungseinrichtungen und Horte statt.
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Es waren eigentlich gute Neuigkeiten, die Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) vor wenigen Wochen verkündete: Rund 2.500 Menschen hätten sich auf die von vielen Lehrkräften kritisierte Kampagne "Klasse Job" hin gemeldet und als Quereinsteiger ihr Interesse am Lehrerjob bekundet. Mit Beginn des nächsten Schuljahres wären 800 schon einsatzbereit. Das ist keine unbedeutende Menge an Lehrpersonen in spe, gilt der Personalmangel als eines der drängendsten Probleme im Bildungssystem Österreichs.

Doch es ist bei weitem nicht das einzige: Gewachsene Arbeitslast, bürokratischer Mehraufwand, Probleme von Schülern aller Art, eine Zersplitterung der Zuständigkeiten: All diese Punkte setzen den Lehrkräften zu – und befördern letztlich die Personalnot. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.

Multiple Krisen an Schulen

Angesichts dieser Umstände spricht die unabhängige Lehrergewerkschaft der Öli-UG mittlerweile von der "schwersten Bildungskrise der Nachkriegsgeschichte". Nicht nur würde der Mangel auf ein segregiertes, sozial ungerechtes Bildungssystem treffen. Auch fehle es an dringend benötigten Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagoginnen und auch "school nurses", sagte der Öli-UG-Vorsitzende Hannes Grünbichler am Montag bei einem Pressegespräch.

Die Krisenfolgen seien bereits jetzt sichtbar: "Viele beklagen, dass sie aufgrund der Überlastung den Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen können." Der Personalvertreter Danny Noack ergänzt: Es ist zwar nicht so, dass – analog zur Gesundheitskrise – Schulen geschlossen werden müssten, die Pädagoginnen würden aber vielfach in andere Berufe wechseln. "Ein professionelles Konfliktmanagement gibt es nicht", kritisiert er.

Großes Protestbündnis

Warum die Gewerkschaft ausgerechnet am Montag zum Gespräch geladen hat, hat einen Grund: Am Donnerstag findet der große "Aktionstag Bildung" statt, zu dem ein großes Bündnis aus Gewerkschaften und Organisationen aufgerufen hat, siehe Infobox unten. Mit dabei sind auch die Freizeitpädagoginnen, die sogar den ganzen Tag streiken werden – der ÖGB hat diesen eine Streikzusage erteilt.

Der Hintergrund: Um den Ausbau der Ganztagesschule österreichweit zu beschleunigen, sollte die Freizeitpädagogik künftig bundeseinheitlich geregelt werden. Doch das würde nach aktuellem Gesetzesentwurf ein Gehaltsminus und zusätzliche schulische Aufgaben für die Freizeitpädagogen bedeuten, die künftig "Assistenzpädagogen" heißen sollen. Die Freizeitpädagogen sehen daher rot. 

Schwierigere Arbeitslage

An Claudia Astner, ebenfalls Vorsitzende der Öli-UG, wenden sich derzeit viele junge Kolleginnen, die mit der Situation an der Schule überfordert sind. "Von den Studierenden wird erwartet, dass sie unterrichten und dann auch noch fertigstudieren", sagt sie. Dazu kämen die Probleme, die Schüler mitbrächten: Immer mehr Jugendliche würden ein selbstverletzendes Verhalten an den Tag legen. "Weder die Mitschüler noch die Lehrerinnen sind aber geschult, wie man mit solchen Situationen umgeht", so Astner.

Es sei nur ein Beispiel, das veranschaulicht, warum es sich ohne multiprofessionelle Teams nicht ausgehe. Etwas, das auch Elisabeth Potzmann, die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands, unterstreicht. Etwa 20 Prozent der Schüler und Schülerinnen geben an, an einer lang andauernden Erkrankung oder Belastung zu leiden, sagt sie. "Es reicht also nicht mehr, an Schulen Lehrer und einen Schulwart zu haben. Es braucht ein Team, um die Probleme an den Schulen angehen zu können."

Neben der Verankerung dieser multiprofessionellen Teams an Schulen fordern die Anwenden ein Sondervermögen Bildung in der Höhe von mindestens 2,5 Milliarden Euro, eine Ausbildungsoffensive für Lehrerinnen und einen "echten Bildungsgipfel auf Augenhöhe". Der Protest am Donnerstag sei jedenfalls erst der Beginn, zeigen sich die Anwesenden überzeugt. (Elisa Tomaselli, Selina Thaler, Anna Wiesinger, 12.6.2023)