Die Liebe der Wiener SPÖ zur Basisdemokratie währte nur zwei Wochen lang. In der (falschen) Annahme, den verhassten Hans Peter Doskozil nicht anders verhindern zu können, hatte Stadtparteichef Michael Ludwig nach der roten Mitgliederbefragung urplötzlich eine zweite Runde in Form einer Stichwahl verlangt. Nun sind derartige Ideen wieder passé. Anders als vom neuen SPÖ-Chef Andreas Babler für die Bundesebene geplant, will die Wiener Chefetage ihre eigene Führung künftig nicht von den Mitgliedern küren lassen.

Michael Ludwig
SPÖ und Basisdemokratie? Der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig ist davon mittlerweile wieder weniger begeistert.
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Grundsätzlich ist ein Widerspruch wie dieser legitim. Die neun Landesparteien sind nicht verpflichtet, Vorgaben eines Bundeschefs kritiklos nachzuhüpfen. Sonst könnte man die regionalen Organisationen gleich zugunsten einer zentralen Kommandostruktur auflösen. Zur innerparteilichen Demokratie gehört auch die Pflicht der Bundesparteispitze, die politische Linie mit den anderen Akteuren auszuhandeln.

In der Sache wären Ludwig und Co allerdings gut beraten, Lehren aus den vergangenen Wochen zu ziehen. Denn bei allen chaotischen Zuständen hat die Mitgliederbefragung Ermutigendes gezeigt: Mit einem passenden Angebot lassen sich selbst junge Menschen ködern, die für klassische Parteien schon verloren schienen. Echte Mitbestimmung ist Voraussetzung für Erneuerung von unten – und die beste Versicherung gegen ein Schicksal als verknöcherte Pensionistenpartei. (Gerald John, 12.6.2023)