Im November 2021 war die Welt für Omega noch in Ordnung. Man durfte eine Jubelmeldung verkünden: "Verkaufspreis der Speedmaster CK2915-1 bricht neuen Rekord: Eine perfekt gealterte Omega Speedmaster wurde im Auktionshaus Phillips in Genf für einen Weltrekordpreis von 3.115.500 Schweizer Franken (rund 3,2 Mio. Euro) verkauft." So fasste es die Pressemitteilung des drittgrößten Schweizer Uhrenherstellers, der zu Swatch Group gehört, vom 5. November 2021 zusammen.

Nicht schlecht für einen Zeitmesser, für den ursprünglich ein geschätzter Auktionspreis von 80.000 bis 120.000 Franken aufgerufen worden war. Das Dreißigfache war erzielt worden, rund achtmal so viel, wie je für eine Speedmaster bezahlt wurde. Solche Millionenbeträge erlösen sonst nur rare Stücke von Rolex oder Patek Philippe. Nun durfte Omega also auch in dieser Liga mitspielen. Kein Wunder, dass diese Tatsache für Aufsehen in der gesamten Uhrenwelt sorgte.

Der Jubel über den erzielten Rekordpreis für die seltene Speedmaster währte nicht lange.
Der Jubel über den erzielten Rekordpreis für die seltene Speedmaster währte nicht lange.
Phillips

Was ist das Besondere an dieser Uhr? Der Zeitmesser gehörte zur ersten "Omega Speedmaster"-Serie, die 1957 als Teil der "Professional"-Trilogie herausgebracht wurde, zu der auch die Seamaster 300 und die Railmaster gehören. (Die Speedmaster sollte später als erste Uhr auf dem Mond Kultstatus erlangen.)

Omega-Uhren mit der Referenz CK2915 wurden nur von 1957 bis 1959 und lediglich in drei unterschiedlichen Ausführungen hergestellt, was die CK2915-1-Modelle zu den begehrtesten Sammlerstücken unter den Speedmaster-Uhren macht. Zu den Hauptunterschieden im Vergleich mit den späteren Modellen zählen die breiten "Broad Arrow"-Minuten- und Stundenzeiger, die Metall-Lünette und das Zifferblatt-Design, das sich durch das ovale "O" des Omega-Schriftzugs auszeichnet. Bei Sammlern gilt das Modell der ersten Generation mit der Referenz CK 2915 als "heiliger Gral". Es war der erste Chronograf, dessen Tachymeterskala auf der Lünette statt dem Zifferblatt angebracht war, und die erste Speedmaster, die vom Kaliber 321 angetrieben wurde.

Hohe Anziehungskraft

Auffälligstes Merkmal der "Millionenuhr" war aber ihr Zifferblatt. Ursprünglich schwarz, hatte es sich im Laufe der Jahrzehnte unter Einwirkung des Sonnenlichts braun verfärbt. Eigentlich ein Materialfehler, aber für Aficionados haben Uhren mit einem solchen "tropischen" Zifferblatt eine besondere Anziehungskraft. Sammler wollen letztendlich immer eine Uhr, die dem Originalzustand möglichst nahe kommt.

Ein Indiz, dass dieser Zustand bei der nämlichen Uhr gewahrt wurde, war augenscheinlich auch der Reifegrad der Leuchtmassen auf dem Zifferblatt und an den Zeigern. Deren Gleichmäßigkeit im Farbton bestätige, dass die Uhr keiner belastenden Wartung unterzogen wurde, hieß es dazu vonseiten des Herstellers. Und: "Zusätzlich zur Uhr erhielt der stolze neue Besitzer einen 'Auszug aus den Omega-Archiven', der die Herstellung der Uhr am 22. November 1957 bestätigt, sowie zusätzliche Original-Produktunterlagen." Diese Tatsache wird noch eine unrühmliche Rolle spielen. Denn die Erfolgsstory sollte sich als veritabler Kriminalfall, als "Inside-Job", entpuppen.

Experten fanden heraus, dass einige Angaben zur Uhr nicht stimmen konnten.
Experten fanden heraus, dass einige Angaben zur Uhr nicht stimmen konnten.
Phillips

Denn die Uhren-Community, eine nicht zu unterschätzende Größe, machte sich bereits Gedanken: Einigen kam die Uhr irgendwie bekannt vor. Es kursierten hochauflösende Fotos der Rekord-Speedmaster im Netz, die heftig diskutiert wurden. Erste Gerüchte kamen auf. Am 9. April 2023 schließlich veröffentlichte Jose Perez, ein Experte für Vintage-Uhren, auf seiner Website "Perezcope" einen umfassenden Beitrag zur Causa. Akribisch und nicht ohne ironischen Unterton verglich er die Rekorduhr mit einer anderen Speedmaster (Ref. 2915-2, Seriennummer 16.648.641) und stellte frappierende Ähnlichkeiten fest: Kratzer an der gleichen Stelle auf dem Zifferblatt und der Lünette, Indexe, die identische Alterungsspuren aufweisen, etc. Sein Fazit: Es handelt sich um ein und dieselbe Uhr, nur war die Rekorduhr noch zusätzlich aufgehübscht worden.

Den Zeitmesser hatte offenbar ein Berner Uhrensammler und -händler schon einmal, vergeblich, zum Verkauf angeboten, wie die "Neue Zürcher Zeitung" in einem Artikel vom 1. Juni berichtete. Dort hatte man bereits monatelang zum Werdegang der Rekorduhr recherchiert. Man kam zu dem gleichen Ergebnis wie Jose Perez: "Anhand von Fotos [...] lässt es sich nachweisen, dass es sich um ein und dieselbe Uhr handelt, zumindest was Zifferblatt, Gehäuse und Teile des Werkes anbelangt." In der Folge dröselte die Autorin des Artikels, Andrea Martel, den Fall auf. Sie schildert, wie diese "Frankenstein"-Uhr, so nennt man Zeitmesser, die aus verschiedenen Teilen neu zusammengebaut werden, entstanden ist. Offenbar war hier ein ganzes Netzwerk an Personen mit krimineller Energie und enormem Fachwissen zugange. 

Gewünscht radioaktiv

Was sich zum Beispiel anhand des Uhrwerks zeigt. Denn dieses wurde eindeutig später als 1957/58 produziert. Es musste also ein neues Werk her. Oder eine neue Seriennummer. "Diese zu ändern, das ist grundsätzlich machbar – aber nur, wenn man weiß, welche Nummern überhaupt zu den Jahren 1957/58 passen", schreibt die NZZ. "Ohne Zugang zu den Omega-Archiven ist dies praktisch unmöglich." Doch offenbar gab es jemanden bei Omega, der die passende Seriennummer parat hatte, in diesem Fall: 15.500.066. Die musste dann "nur" noch auf die entsprechende Stelle im Werk gelangen. "Das ist sorgfältige Handarbeit, die gut und gerne tausend Franken kostet", schreibt Martel weiter. Auch ein neuer Sekundenstoppzeiger musste her und eine andere Leuchtmasse. Radium musste es sein, ein radioaktives Element, das man vor Jahrzehnten verwendete, um die Zeiger nachts zum Leuchten zu bringen. Heute verboten, ist es für Sammlerinnen und Sammler ein Indiz für das Alter der Uhr. Auch das schafften die handelnden Personen mit den entsprechenden Kontakten: Die Frankenstein-Uhr strahlte wie gewünscht leicht radioaktiv.

Um den Zeitmesser für die Auktion in die gewünschte Form zu bringen, wurde von den Betrügern ein enormer Aufwand getrieben.
Um den Zeitmesser für die Auktion in die gewünschte Form zu bringen, wurde von den Betrügern ein enormer Aufwand getrieben.
Phillips

Und war bereit für ihren Gang zum Auktionshaus Phillips in Genf, wo sie als Los Nummer 53 im Katalog Eingang fand. Phillips, immerhin der größte Player in diesem Geschäft, ist dafür bekannt, bei seinen Versteigerungen Millionen zu erzielen. Berühmt wurde es unter anderem für die Versteigerung einer Rolex Daytona aus dem Besitz des Hollywoodstars Paul Newman, die für sagenhafte 17 Millionen US-Dollar unter den Hammer kam. Der höchste Preis, der bis dahin je für eine Armbanduhr bezahlt worden war. Mit solchen Summen vor Augen, kann man sich auch als Laie gut vorstellen, warum jemand in Versuchung gerät, einen solchen Coup durchzuziehen.

Bittere Erkenntnis

Zunächst war nicht klar, wer die Uhr ersteigert hatte. Kurz nach Veröffentlichung der NZZ-Recherchen meldete sich Omega, wo sich die Euphorie über die Rekorduhr mittlerweile deutlich abgekühlt hatte und man bereits interne Ermittlungen durchführte, und teilte mit, die Uhr für das hauseigene Museum angekauft zu haben. Das ist ein durchaus üblicher Vorgang bei Uhrenherstellern, auch wenn dies oft im Geheimen geschieht. 

In einem dem STANDARD vorliegenden Statement des Herstellers heißt es dazu: "Bei der von Phillips veranstalteten Auktion arbeitete der Leiter des Omega Museums und Brand Heritage mit Vermittlern zusammen, um die Uhr für das Omega Museum zu erwerben. Er argumentierte, dass es sich um einen seltenen und außergewöhnlichen Zeitmesser handele, der ein absolutes Muss für die Schausammlungen von Omega sei und daher unbedingt in dieser Auktion erworben werden sollte." Kurz: Man war auf einen Betrüger in den eigenen Reihen hereingefallen. Eine bittere Erkenntnis. Man fragt sich, was mehr schmerzt: das angekratzte Image, die verlorenen Millionen oder das verlorene Vertrauen.

Bei Omega ist man nun bemüht, den Fall restlos aufzuklären. Fest steht, dass Mitarbeiter daran beteiligt waren.
Bei Omega ist man nun bemüht, den Fall restlos aufzuklären. Fest steht, dass Mitarbeiter daran beteiligt waren.
Phillips

Denn bei den internen Ermittlungen gerieten noch weitere ehemalige Mitarbeiter ins Visier. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen hätten diese, darunter eben der ehemalige Leiter des Omega-Museums, den Betrug bereits zugegeben, als sie mit den Vorwürfen konfrontiert wurden, heißt es weiter. Der Zeitmesser selbst ist jetzt ein wichtiges Beweisstück. Bei Omega hofft man, auch den Verkäufer der Uhr, über den noch nichts bekannt ist, dingfest zu machen. Ebenso dessen Helfer, die den Preis augenscheinlich künstlich in die Höhe getrieben haben, um den Gewinn zu kassieren und untereinander aufzuteilen. Omega, ebenso wie Phillips, sieht sich als Opfer krimineller Machenschaften. "Omega hat gegen alle Beteiligten Strafanzeige erstattet", endet das Statement. Der Fall und dessen Aufarbeitung sind allerdings noch lange nicht abgeschlossen. (Markus Böhm. 13.6.2023)