Aktionstag Bildung Protest Schule
Angie Weikmann und Michael Doblmair wollen die Baustellen in der Bildungspolitik aufzeigen.
Regine Hendrich

Der Seminarraum im Zentrum für Lehrerinnenbildung im neunten Wiener Gemeindebezirk ist aufgeheizt. Die Gemüter der rund 15 anwesenden Lehrerinnen und Lehrer, die dort den "Aktionstag Bildung" vorbereiten, sind es auch. Es dürfte nicht der einzige Ort sein, an dem sich Pädagoginnen und Pädagogen mobilisieren. Insgesamt 67 Bildungsinitiativen und Gewerkschaftsfraktionen sind an dem Aktionstag beteiligt, Demonstrationen und Kundgebungen sind in fast allen Landeshauptstädten geplant. Seit zwei Monaten wird an den Aktionen gearbeitet, man wolle damit ein deutliches Zeichen setzen und die vielen "Versäumnisse, Fehlentwicklungen, Missstände und Baustellen" in der Bildungspolitik aufzeigen. DER STANDARD hat mit den Wiener Mitorganisatoren Angie Weikmann und Michael Doblmair gesprochen.

STANDARD: Was unterscheidet den "Aktionstag Bildung" von anderen Protesten?

Doblmair: Es ist ein historischer Moment, den wir gerade schreiben. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern und Bildungsinitiativen mit unterschiedlichen ideologischen Ansprüchen kommen zusammen und gehen für eine inklusive Bildung, die niemanden ausgrenzt oder zurücklässt, und bessere Arbeits- und Lernbedingungen auf die Straße. Wir sind gerade dabei, die Fragmentierung im Bildungssystem zu überwinden.

Weikmann: Die Gewerkschaftsfraktionen im Pflichtschulbereich haben zum Beispiel nicht die gleichen Positionen. Trotzdem haben sie gemeinsam zu diesem Aktionstag aufgerufen und sich auf drei Forderungen geeinigt. Das ist ein Riesenschritt. Es war auch nicht leicht, die Gewerkschaften ins Boot zu holen.

Im Zentrum für Lehrerinnenbildung in Wien wird der Aktionstag vorbereitet.
Regine Hendrich

STANDARD: Wieso war es nicht einfach, die Gewerkschaften für den Aktionstag zu gewinnen?

Weikmann: Die ganze Bildungsdiskussion in Österreich ist sehr stark parteipolitisch und ideologisch aufgeheizt. Das regt mich als Parteilose und Mama irrsinnig auf. Leider spielen die Gewerkschaften dieses Spiel auch mit. Letztes Jahr konnten sich die Gewerkschaften der städtischen und privaten Kindergärten zum Beispiel nicht auf einen gemeinsamen Streiktag einigen. Wenn sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich vertreten würden, dann würden sie diese Farbenspiele auch einmal beiseitelassen.

Doblmair: In ihrer Logik verstehen sich die Gewerkschaften in Österreich auch mehr in der Sozialpartnerschaft und setzen auf Verhandlungen. Dass nun Menschen beginnen, sich selbst und die eigenen Interessen zu vertreten, stößt wahrscheinlich auf Irritationen. Das erste Treffen mit den Gewerkschaftsvertretern war angespannt, aber sie sind geblieben. Das ist sehr wichtig.

Bei den Slogans werden die Lehrerinnen und Lehrer kreativ. Auf einem anderen Schild steht etwa: "Jetzt hat es sich ausgebildet".
Regine Hendrich

STANDARD: Welche Forderung wird auf Ihren Schildern stehen?

Doblmair: Ich stelle mich hinter die Forderungen, die wir für den Aktionstag aufgestellt haben. Eine inklusive Schule und bessere Arbeits- und Lernbedingungen sind die wichtigsten Punkte für mich.

Weikmann: Die 2,7 Prozent Deckelung von Ressourcen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf kann man leider auf kein Schild schreiben. Ich habe selbst lange gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es sich dabei um einen fiktiven Prozentsatz handelt. Eigentlich sind es doppelt so viele Kinder, die einfach mehr Ressourcen brauchen, damit sie weiterkommen. Wahrscheinlich wird auf meinem Schild stehen: Kein Kind zurücklassen.

STANDARD: Warum aber ein Aktionstag am Nachmittag und keine radikaleren Maßnahmen?

Weikmann: Der Aktionstag zeigt: Ich bin keine Einzelkämpferin, sondern eingebunden in ein solidarisches Ganzes. Ich bin nicht verrückt, wenn ich mich überfordert fühle, und es in Ordnung, dass ich Dinge einfordere. Und ich hoffe, dass der Tag Wellen schlägt und zu etwas Größerem wird. Es ist nur der Startschuss.

Doblmair: Es muss auch nicht gleich ein Generalstreik sein, bei dem alle Schulen fünf Wochen schließen. Wir wollen anders streiken und mit der Logik der Gewerkschaften brechen, die vorsieht, einen Streik von oben auszurufen und zu beenden, wenn es für die Verhandlungen günstig erscheint. Schulen könnten einzeln bestreikt werden, etwa bei drohenden Zwangsversetzungen der Lehrkräfte. Oder die administrativen Aufgaben, die Lehrkräfte übernehmen, werden einfach nicht mehr gemacht. Wie schnell kommt es dann zum Chaos?

Aktionstag Bildung Protest Schule
Die Pädagoginnen und Pädagogen sind streikbereit – und wollen das auch zeigen.
Regine Hendrich

STANDARD: Braucht es in Österreich mehr Protestkultur?

Doblmair: Auf jeden Fall. Es ist dringend notwendig, dass wir lernen, uns zu wehren. Das gilt übrigens nicht nur für Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch für den Pflegebereich.

Weikmann: Wenn sich etwas tut, dann sind es Rückschritte. Da muss man einfach laut sein. Mir würde es auch schon helfen, wenn jemand in der Politik Verantwortung übernimmt und sagt: "Wir haben das verkackt." Der Lehrkräftemangel wird derzeit oft als Grund angeführt, warum so vieles im Bildungssystem schiefläuft. Aber der Mangel ist ein Symptom, eine Auswirkung von jahrelangem Kaputtsparen und Überforderung.

STANDARD: Welche Länder sind in ihrer Protestkultur im internationalen Vergleich Vorbilder?

Doblmair: Ich war vor zwei Wochen in Chicago und habe mich dort auch mit Lehrkräften getroffen. Laut einer dort ansässigen Gewerkschafterin versammeln sich einmal pro Monat ein bis zwei Delegierte aus jeder Schule der Stadt in riesengroßen Sälen, um über Missstände zu sprechen und nächste Schritte zu planen. Wenn man bedenkt, wie viele Einwohner Chicago hat, ist das grandios. Die Gewerkschaft dort ist auch tatsächlich in der Community verankert.

Weikmann: Die Streiks der Lehrerinnen und Lehrer wurden in den USA zivilgesellschaftlich stark aufgenommen. Daher freut es mich, dass der Arbeitskampf auch bei uns nicht mehr nur einzelnen Interessenvertretungen überlassen wird. Es ist mittlerweile ein großer zivilgesellschaftlicher Prozess. (Anna Wiesinger, 15.6.2023)