Der frischgebackene SPÖ-Chef auf einer Pressekonferenz.
REUTERS

Andreas Babler steht auf der Bühne, er spricht weniger, als dass er schreit. Wort für Wort presst er Richtung Publikum. Seine Rede trägt er wie eine Anklage vor – gegen die Regierung, gegen die Superreichen, die "ein Stück zurückgeben" sollen. Die Menschen seien keine "Bittstellerinnen und Bittsteller", ruft Bab­ler immer und immer wieder.

"Ich werde diese Frage zurückweisen, die uns sofort gestellt wird", sagt er bestimmt. Er meint: die Frage nach der Finanzierung sozialdemokratischer Forderungen. Diese Frage sei "unmoralisch", brüllt Babler, sie sei nie gestellt worden "bei den 40 Milliarden an Corona-Subventionen" und "den steuerpolitischen Geschenken" für Unternehmer. "Kein Mensch hat uns gefragt. Zahlen tun es eh wir", ruft er – ohne zu erklären, wen er mit "uns" und "wir" genau meint. "Und jedes Mal, wenn wir etwas machen wollen – für ein warmes Essen für Kinder, für Mindestpensionisten, für jede schlaflose Nacht weniger –, dann fragen sie uns, wer das zahlen soll."

Ist das schon Populismus? Oder doch nur eine glühende Ansprache eines beseelten Linken, eines Sozialdemokraten, der seine Genossinnen und Genossen auf dem Entscheidungsparteitag der SPÖ von sich überzeugen wollte?

"Programmierende" Eliten

Szenenwechsel in die Jahnturnhalle im oberösterreichischen Ried, 22. Februar. FPÖ-Chef Herbert Kickl hält seine "Aschermittwochsrede". Die Regierung habe "jahrelang nichts anderes getan, als es der eigenen Bevölkerung so schwer wie möglich zu machen", ruft er. Doch die Bevölkerung werde der Politik "eine Rechnung ausstellen", und "das wird eine saftige Rechnung sein, die die Herren da zu begleichen haben". Denn die FPÖ sei nicht zu stoppen. Sie sei die Partei "für die einfachen Leute", die seien aber nicht dumm, "wie die Großkopferten in Wien immer glauben". Eine "Elite" versuche, "die normalen Menschen neu zu programmieren", poltert Kickl. Die FPÖ aber stehe "auf der Seite der Verwurzelten, nicht der Umprogrammierer".

Kaum jemand hegt Zweifel, dass Herbert Kickl ein Rechtspopulist, ein extremer Rechter ist. Aber was unterscheidet Linkspopulismus von Rechtspopulismus?_Und wie erkennt man Populisten überhaupt?

Das "reine Volk"

Es gebe in der Politikwissenschaft keine einheitliche Definition von Populismus, erklärt der deutsche Politologe und Demokratieforscher Wolfgang Merkel. Was aber alle Populisten eine, seien die Vereinfachung komplexer Themen sowie eine "Zweiteilung der Gesellschaft": hier unten "das reine Volk", dort oben die "korrupte Elite". Linken und rechten Populismus unterscheide, dass rechte Demagogen "exkludieren": Es geht ihnen um den Ausschluss anderer ethnischer oder religiöser Gruppen – sie wettern gegen Ausländer, Juden, Muslime. "Der Linkspopulismus will hingegen inkludieren", sagt Merkel. Soll heißen: Linke Populisten machen auf Menschen am Rand der Gesellschaft aufmerksam – wollen marginalisierte Gruppen in die Mitte holen.

Für einige Politikerinnen und politische Beobachter war das Urteil schnell gefällt: Babler ist ein Linkspopulist. Von "sozialistischem Populismus" spricht Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Babler steuere "mit Vollgas zurück in die 1970er-Jahre", urteilt die Tageszeitung Die Presse. Der neue SPÖ-Chef setze auf einen "Linkspopulismus, der zwar bei Wahlen funktionieren kann, in der Realität aber versagt".

Andreas Babler beim Aktionstag Bildung.
IMAGO/SEPA.Media

Merkels Meinung

Merkel ist in Bezug auf Babler weniger streng: "Ich sehe bei ihm ein klassisches linkes Profil, das die nach Positionen suchende SPÖ klar auf das linke Spektrum des Parteiensystems holt", sagt er. Ein Linkspopulist ist Babler deshalb in Merkels Augen noch nicht.

Vor einigen Jahren polterte Babler in einem Podcast gegen die EU. Sie sei das "aggressivste außenpolitische militärische Bündnis", sagte er damals. Diese Äußerung sei nicht nur inhaltlich falsch, sondern durchaus als populistisch zu bewerten, befindet Merkel. Doch auch eine "populistische Formulierung" in der Vergangenheit mache Babler noch nicht zum Linkspopulisten.

Österreich habe wenig Erfahrung mit Linkspopulismus und linksextremistischen Positionen, sagt auch der österreichische Politologe Anton Pelinka – "ganz anders als Frankreich, Spanien oder Griechenland". Er führt das auf die historisch "ungewöhnlich starke" SPÖ zurück, die links neben sich zumeist wenig Platz ließ. Jüngste starke Wahlergebnisse der Kommunisten in Salzburg und Graz zeigten aber: "Das kann sich ändern."

"sozialdemokratischer Pragmatiker"

Bei Babler erkennt Pelinka "ein Mehr an Populismus im Sinne des politischen Stils". Bablers erste Schritte als Parteichef hätten aber gezeigt, dass er ebenso ein "sozialdemokratischer Pragmatiker" sein könne. Rote Schlüsselpositionen hat Bab­ler mit Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher parteiinterner Flügel besetzt – nicht nur mit seinen Anhängern.

"Babler ist auch ein Populist, aber nicht nur ein Populist", sagt Pelinka. "Nicht-populistische Politiker dürfen aber nicht nur Forderungen aufstellen, sondern müssen auch erklären können, wie man sie umsetzt."

Populismus ist auch legitim

Doch ist Populismus – egal ob von links oder rechts eingesetzt – manchmal legitim? Ja, sagen Pelinka wie auch Merkel. In vielen westlichen Gesellschaften sei ein gutes Drittel der Bevölkerung für die Politik kaum noch ansprechbar – Populisten könnten diese Menschen wieder erreichen. Entscheidend sei, sagt Merkel, dass Populisten "die systemischen Grenzen der Demokratie nicht verlassen wollen" – was bei Rechtspopulisten in Europa oft nicht der Fall sei. "Aber ein demokratiegetreuer mobilisierender populistischer Zungenschlag kann ein wichtiges politisches Instrument sein."

Der nächste Wahlkampf könnte in Österreich die maximale Zuspitzung zwischen dem linken und dem rechten Lager bringen – ein Kanzlerduell Babler gegen Kickl. Vielleicht sei das aber auch für die ÖVP gar nicht schlecht, glaubt Pelinka. "Die Volkspartei müsste sich dann populistisch als die nichtpopulistische gemäßigte Mitte verkaufen. Auch das könnte funktionieren." (Katharina Mittelstaedt, 17.6.2023)