Die Youtuberin Kayla Shyx bleibt in der Causa Rammstein unbeirrbar.
Die Youtuberin Kayla Shyx bleibt bei ihrer Geschichte über ihre Erlebnisse backstage bei Rammstein.
Screenshot Youtube

Mittlerweile scheint in der Causa Rammstein alles entglitten zu sein. Im Fernsehen treffen überforderte Musikbusiness-Veteranen auf übersteuerte Aktivistinnen und reden am Thema und den Moderatoren vorbei. Populisten fordern Konzertabsagen, andere sagen, Groupies gab es immer schon. Dass das kein Argument ist, wird den einen ebenso wenig entgegnet wie bei den Populisten nachgefragt, wie sie sich Konzertabsagen vorstellen. Wer wird da unschuldig in den ökonomischen Abgrund gerissen? Rammstein nicht. Wer soll die Ausfälle bezahlen? Die Steuerzahler? Wird künftig jeder im Land auftretende Künstler ein Leumundszeugnis brauchen?

In der Presse gab die grüne Frauensprecherin Meri Disoski schließlich zu, sie wisse nicht, wie die Wien-Konzerte abzusagen seien. Moralische Entrüstung, so gerecht sie sein möge, ist kein Grund, der vor Gericht bestehen würde.

Im deutschen Fernsehen wurde derweil von einem ehemaligen Musikmanager über die Manneskraft Lindemanns spekuliert. Ob es ihm überhaupt möglich sei, sich während eines Konzerts sexuell zu betätigen. Grundgütiger.

Billiger Aktionismus

Die einen geißeln den Konjunktiv in der Berichterstattung; sie haben ihr Urteil längst gefällt, möchten endlich zur Exekution schreiten. Das bringt Likes in der Blase. Die Plattenfirma Universal Music reagierte und stellte die Promotion für Rammstein ein. Das ist billig. Noch nie gab es so viel Aufmerksamkeit für die 1994 gegründete deutsche Band. Laut Wirtschaftswoche verdient sie an dem Skandal sogar, die Zugriffe auf ihre Musik steigen. Dazu passen zehntausende scheinbar ungerührte Fans, die jede Woche die stets ausverkauften Konzerte besuchen.

Entstanden ist eine Mischung aus Ohnmacht und Ignoranz, aus Vorwürfen und Drohungen. Ein Dilemma, das Graubereichen oft anhängt und in dem, je nach Position, verschiedene Schlaglichter aufblitzen. Erhellend ist kaum eines. Statt den betroffenen Frauen zuzuhören, werden Insider aus dem letzten Jahrtausend als Experten gehört, Kunst und Kriminal vermengt.

Was wirklich bei Rammstein Afterpartys passiert
Kayla Shyx

Krank und elend

Am Sonntag ist es ein Monat her. Damals postete die Irin Shelby Lynn Fotos ihres Oberkörpers auf Twitter. Zu sehen waren Blessuren, die sie sich nicht erklären konnte. Sie mutmaßte, ihr seien auf einer Backstageparty beim Rammstein-Konzert in Vilnius K.-o.-Tropfen verabreicht worden. Sänger Till Lindemann soll an dem Abend von ihr Sex gewollt haben, sie habe sich verweigert, er sei wütend geworden. Es folgte ein Blackout, am nächsten Tag habe sie sich krank und elend gefühlt.

Danach meldeten sich immer mehr Frauen, denen Ähnliches widerfahren sein soll. Ein Rekrutierungssystem für junge Frauen wurde aufgezeigt, das darauf ausgerichtet zu sein schien, Lindemann mit Frauen zu versorgen – sexuell zu versorgen. Vielleicht sogar mit Hilfsmitteln aus dem Giftschrank, so lauten die Vorwürfe. Medienrecherchen förderten weitere, sich ähnelnde Berichte zutage. Frauen gaben eidesstattliche Erklärungen ab, legten Chatverläufe mit Alena Makeeva als Belege vor. Makeeva ist eine Russin aus dem Rammstein-Umfeld. Sie agierte mit dem offenbar selbst verliehenen Titel "Casting Director", was ihrer Tätigkeit eine perfide Autorität verlieh, mit der sie das Vertrauen der Fans erschlich und missbrauchte.

Die deutsche Kayla Shyx hatte Kontakt mit Makeeva und war bei so einer Party. Sie spricht in einem Youtube-Video über ihre Backstage-Erfahrungen und verlieh diesen Stimmen ein Gesicht. Rammstein weist all diese Vorwürfe zurück, es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Nachwirkung der Rammstein Problematik
Kayla Shyx

Sittenbild

Die Diskussion ist verfahren. Sie steckt in einem Sumpf aus Moral und Recht, aus möglicherweise erzwungenem Sex und einvernehmlichem Groupietum. Stars scheinen ihre Macht und die Ergebenheit ihrer Fans missbraucht zu haben. "Schlampenparade" sollen die von Makeeva rekrutierten Frauen im Rammstein-Umfeld genannt worden sein, das Wort "Resteficken" fiel. Eine derartige Wortwahl ist wohl als Teil eines Sittenbilds zu lesen.

Die Causa Rammstein bedeutet auf jeden Fall eine Zäsur. Jeder und jede wird sich künftig zweimal überlegen, wie und was er oder sie im Backstagebereich dieser oder einer anderen Band tut – oder eben nicht. Am Ende könnte die Sache mehr Bewusstseinsbildung gebracht haben, als dutzende Awareness-Teams in ihren Leuchtwesten zu gewährleisten imstande sind. Denn selbst wenn es angesichts der Vorwürfe unangenehm ist, das hinzuschreiben: Es hat etwas Gutes.

Till Lindemann schickt die Anwälte ins Gefecht.
Till Lindemann schickt die Anwälte ins Gefecht.
imago images/STAR-MEDIA

Zwar ist unklar, ob sich die Anschuldigungen je beweisen lassen, doch die Reaktion vonseiten der Gruppe bekräftigen sie nachgerade. Denn die Klagedrohungen gegen Medien und vor allem gegen die Frauen, die den Mut fassten, sich mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu wagen, zeigt eines: Rammstein setzt weiterhin auf dieses Machtgefälle. Mittlerweile sollen Frauen mit Unterlassungsaufforderungen vonseiten der Rammstein-Anwälte bedacht worden sein.

Einschüchterung als Geschäft

Auf der einen Seite die berühmte Band mit teuren Advokaten, auf der anderen junge Frauen, die aus dem Wohnzimmer heraus via Youtube unbeirrt an ihrer Wahrheit festhalten. Und sie lassen sich nicht mundtot machen. Das hätte Rammstein auffallen können, nachdem die Frauen an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Einschüchterungen mögen das Geschäft mancher Anwälte sein, Glaubwürdigkeit oder Vertrauen stellen Rammstein damit nicht her. Den spärlich geposteten Statements der Band, dass sie wolle, dass sich ihre Fans vor und hinter der Bühne sicher fühlen können, folgten bis jetzt keine Taten. Anders bei den betroffenen Frauen.

Unterstützer sammeln für sie Geld, sollten sie es für rechtlichen Beistand benötigen. Das ist gut und wichtig. Es zeigt, sie sind als David in diesem Kampf gegen Goliath nicht allein. Und wie jener Kampf ausging, dürfte bekannt sein. (Karl Fluch, 25.6.2023)