Weltmuseum Wien Benin bronzen Kolonialismus
Kolonial belastet und derzeit in vielen Ländern weltweit Gegenstand von Rückgabediskussionen: Bronzen aus dem ehemaligen Königreich Benin, die der Nachfolgestaat Nigeria heute einfordert.
KHM-Verband

Das, was vor 25 Jahren für die Opfer des Nationalsozialismus eingerichtet wurde, dürfte nun auch für Nachfahren ehemals Kolonisierter Realität werden: ein verbindlicher rechtlicher Rahmen, in dem potenzielle Rückgaben entwendeter Kulturgüter geregelt werden. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) nahm am Dienstag entsprechende Empfehlungen einer von ihr eingerichteten Kommission in Empfang, die die Regierung nun in ein Gesetz gießen will.

Knapp eineinhalb Jahre lang hat sich ein international besetztes Beratungsgremium unter dem Vorsitz des Weltmuseum-Direktors Jonathan Fine dem Thema gewidmet. Mit dabei waren unter anderen Anna Schmid, Direktorin des Museums der Kulturen in Basel; Henrietta Lidchi vom Nationaal Museum van Wereldculturen in Rotterdam (die Niederlande gelten als juristische Vorreiter); Walter Sauer, Professor für Kolonialgeschichte an der Uni Wien; Emmanuel Kasarhérou, seit 2020 Direktor des Pariser Völkerkundemuseums Musée du Quai-Branly und selbst aus Neukaledonien stammend, sowie Golda Ha-Eiros, Kuratorin am Nationalmuseum Namibia.

20 Empfehlungen für Rückgaben

Herausgekommen ist ein 24-seitiges Papier, in dem der Bundesregierung 20 Empfehlungen zum Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten gemacht werden. Zusammenfassend lassen sich drei wichtige Erkenntnisse daraus ableiten:

  • Die Republik Österreich soll die Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten ermöglichen, wenn diese gegen den ausdrücklichen Willen der früheren Eigentümer in heimische Sammlungen gelangt sind, auch dann, wenn beispielsweise koloniales Beutegut am freien Markt erworben wurde. Letzteres ist im Falle Österreichs häufig passiert, etwa bei den in der Debatte seit einigen Jahren zum Symbol gewordenen Benin-Bronzen. Von den in einem britischen Kolonialkrieg gegen das Königreich Benin (heute Nigeria) erbeuteten Objekten, die heute über Museen im ganzen globalen Norden verteilt sind, besitzt auch das Wiener Weltmuseum 180 Stück.
  • Objekte sollen nur dann für eine Restitution infrage kommen, wenn ein kolonialer Unrechtskontext durch die Forschung klar nachgewiesen werden kann. Bewusst habe man dabei keine detaillierte Empfehlung zur Beschaffenheit dieser Nachweise (schriftliche Quellen et cetera) abgegeben, präzisiert Fine auf STANDARD-Nachfrage. Es soll also möglich sein, von Fall zu Fall je nach Quellenlage flexibel zu entscheiden. Schriftliche Quellen sind bei der bis ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Kolonialzeit häufig Mangelware. Die Restitutionsforschung in den Museen soll durch eine Verdoppelung der Mittel auf 320.000 Euro jährlich gestärkt werden, auch wenn die Republik von sich aus proaktiv keine Rückgaben anstoßen wird – ein Unterschied zum NS-Restitutionsgesetz, in dem proakives Tätigwerden sehr wohl verankert ist.
  • Im Kolonialkontext, eine wegen der langen Zeitspanne schwer zu erforschende Materie, soll vielmehr ein Prozess vorausgehen, bei dem zuerst ein aufnahmebereiter Staat eine offizielle Rückgabeanfrage an die Republik stellen muss. Daraufhin soll ein ständig tagender, mit internationalen Fachleuten besetzter Beirat zu einer Empfehlung ans Kulturministerium kommen, das letztlich entscheidet.

2024 soll Gesetz fertig sein

Andrea Mayer, die sich wie Fine eine Verbesserung der Beziehungen zu ehemals kolonisierten Weltregionen erwartet und einer lange überfälligen Aufarbeitung der Kolonialverbrechen das Wort redet, will die Empfehlungen noch in dieser Legislaturperiode in ein Gesetz überführen. Im ersten Quartal 2024 soll ein entsprechender Entwurf fertig sein.

Anders als in Deutschland, wo die etwas überhastet veranlasste Rückgabe von Benin-Bronzen aktuell zu einem Streit darüber führt, wem diese im Aufnahmeland Nigeria nun gehören sollen (der Allgemeinheit oder dem früheren Herrscherhaus, das etwa selbst vom Sklavenhandel profitierte), hat Österreich nun den Vorteil, nach einem strukturierten, gesetzlichen Prozess vorzugehen. Empfehlungen, was nach einer Rückgabe mit den Objekten in dem jeweiligen Land passieren soll, gibt es zwar auch hierzulande nicht, Jonathan Fine plädierte aber dafür, dass man dieses Thema im Vorfeld zumindest anspricht und in die Entscheidung über das Zustandekommen einer Restitution mit einfließen lässt. (Stefan Weiss, 20.6.2023)