Illustration: Fatih Aydogdu

Die jihadistische Gefahr war jahrelang eines der beherrschenden Sicherheitsthemen in Europa, vor allem durch den sogenannten "Islamischen Staat". Auf seinem Höhepunkt 2014 kontrollierte er ein Gebiet so groß wie Großbritannien, 2019 galt die Terrormiliz in Syrien und im Irak dann als militärisch besiegt. Der Jihadismus verlor zwar an Strahlkraft, aber nur bedingt. Als mittlerweile stärkster Ableger der IS-Terrororganisation gilt der "Islamische Staat in der Provinz Kohorsan" (ISKP), der in Zentral- und Südasien aktiv ist und dort viele Terroranschläge für sich reklamiert. Die Chatgruppe, in der die angeblichen Terrorpläne rund um die Pride besprochen wurden, bezog sich direkt auf den ISKP.

In Österreich brodelte in den vergangenen Jahren eine Szene vor sich hin, die einst noch zu jung war, um in der Hochphase des "Kalifats" nach Syrien auszureisen. Vor allem im 23. Wiener Bezirk rund um die Wohnblöcke Alterlaas, aber auch in St. Pölten bewegte sich ein Milieu radikaler Burschen.
Mittendrin war der Attentäter, der später am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt zuschlug und vier Personen ermordete. Dessen Umfeld "wurde durch die Ermittlungen nach dem Anschlag teilweise zerschlagen", heißt es vom Verein Derad, der zumeist auf Weisung der Justiz mit islamistischen Härtefällen inner- und außerhalb des Gefängnisses arbeitet. "Einige hat die Erfahrung der Haft gebrochen oder abgeschreckt, ein paar tragen sie aber nach wie vor rotzfrech als Heldenstatus vor sich her." So soll ein früherer mutmaßlicher Kontaktmann des Wiener Attentäters trotz Fußfessel längst wieder an konspirativen Treffen mit Gleichgesinnten teilnehmen, erzählen Verfassungsschützer.

Illustration: Fatih Aydogdu

Im Bann des Terrors

Schon zur Hochzeit des IS in Syrien fiel Österreich, gemessen an seiner Gesamtbevölkerung, mit einer besonders hohen Zahl an Auslandskämpfern auf. Darunter waren damals vor allem Tschetschenen. Das Land brachte auch wirkungsmächtige IS-Kader hervor. Etwa Mohammed Mahmoud, der unter anderem für die IS-Propaganda im Westen verantwortlich gewesen war. Oder einen der einst führenden Hassprediger im deutschsprachigen Raum, Mirsad O. alias Ebu Tejma, der zahlreiche Jugendliche hierzulande radikalisiert und deshalb eine 20-jährige Haftstrafe ausgefasst hatte. Seine Predigten kursieren bis heute unter IS-Sympathisanten.

Mittlerweile gibt es aber eine neue Generation, die durch den Wiener Anschlag nicht verschreckt, sondern überhaupt erst in den Bann des Terrors gezogen wurde. Die Beispiele reichen von einem IS-Graffiti-Sprayer in St. Pölten über IS-Kader mit Kampferfahrung, die als Migranten nach Österreich kamen, bis hin zu einem sonderbaren Milieuwechsel. Mitte Mai ging ein Fall zweier Jugendlicher durch die Medien, die aus einem Mehrparteienhaus in Wien-Favoriten mit einem Luftdruckgewehr wahllos aus dem Fenster schossen. Ein Mann wurde von einem Projektil getroffen und leicht verletzt, er rief die Polizei. Bisher nicht bekannt war, dass die beiden 17-Jährigen als radikale Jihadisten gelten. Zunächst waren die beiden auf freiem Fuß angezeigt worden; erst nach einer Reihe weiterer Auffälligkeiten – sie sollen etwa eine Machete mit sich geführt haben – wurden sie nach Anzeigen von Außenstehenden mittlerweile in Untersuchungshaft genommen. Gegen sie läuft ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Einer der beiden komme ursprünglich aus dem rechtsextremen Spektrum und sei konvertiert, wird in Sicherheitskreisen erzählt. Jener Mann dürfte seit dem Anschlag vom 2. November 2020 in Wien Gefallen am Jihadismus gefunden haben. Die beiden Jugendlichen sollen sogar am damaligen Tatort in einer Tarnuniform auf- und abmarschiert sein.

Experten sagen, dass die problematischen Fälle hierzulande zahlenmäßig nicht zwingend mehr geworden seien, die DSN spricht von aktuell rund 50 Gefährdern. Auffallend sei, dass die Klientel ideologisch immer primitiver werde. "Man hört da immer plumpere Parolen, gepaart mit menschenverachtenden Gewaltfantasien wie etwa, Menschen zu versklaven oder zu unterwerfen", erklärt Derad.
Früher seien die Klienten durch bekannte salafistische Prediger in Wien religiös durchaus geschult gewesen. Heute habe das Niveau eher einen kindischen Meme-Charakter. Social-Media-Inhalte seien zwar ein Treiber für Radikalisierung, für echte Anschlagspläne benötige es laut Experten allerdings in der Regel auch eine direkte Bestärkung durch andere. Das kann offline passieren oder sich über Ländergrenzen hinweg in kleinen Chatgruppen abspielen. (Thomas Hoisl, Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 23.6.2023)