Die wenigsten Franzosen dürften es wissen: Die Banlieue-Zonen feiern diese Woche gerade das größte islamische Fest des Jahres, das Opferfest. Mittendrin platzte am Dienstag ein katastrophaler Schuss: Ein behelmter Motorradpolizist erschoss in einem Auto einen 17-Jährigen mit Vornamen Nahel. Weil dieser dem Profil des aus dem Maghreb stammenden Banlieue-Kids entspricht? Das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein in einer Republik, die doch die "égalité" (Gleichheit) in ihrer Devise führt, steht am Ursprung der meisten Banlieue-Krawalle. So war es schon bei den "historischen" Unruhen von 2005, als zwei Primarschüler in Clichy-sous-Bois bei ihrer Flucht vor der Polizei umkamen.

In Paris kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei.
APA/AFP/ALAIN JOCARD

Erschwerend kommt heute dazu, dass im Unterschied zu 2005 ein Video zirkuliert, das kaum Zweifel zulässt. Sein emotioneller Impakt ist in den französischen Banlieue-Vierteln so groß wie das Video vom Tod George Floyds, das in den USA 2020 zur Bewegung Black Lives Matter führte. Und von den leidenschaftlichen Emotionen bis zum Volksaufruhr ist es in Frankreich, dessen republikanisches Fundament die ebenfalls in den Straßen ausgetragene Revolution von 1789 bildet, kein weiter Weg. Präsident Macron schickt jeden Abend mehr Einsatzpolizisten in die Vorstädte. Die Aussichten sind nicht gut. Vielleicht entdecken die Banlieue-Kids, von denen viele gar nicht die Mittel für Ferienreisen haben, gerade eine neue Betätigung für laue Sommerabende. (Stefan Brändle, 29.6.2023)