Euclid ist vom Space Launch Complex 40 der Cape Canaveral Space Force Station in Florida gestartet. Nun hat das Teleskop eine etwa 30-tägige Reise vor sich, bis es sein Ziel am Lagrange-Punkt 2 erreicht hat.
Screenshot: Esa Web TV

Die Mission des europäischen Weltraumteleskops Euclid hat begonnen. Wie geplant hob das zwei Tonnen schwere Forschungsgerät der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) am Samstag um 17:12 Uhr MESZ an Bord einer Falcon-9-Rakete der US-Firma Space X von Cape Canaveral, Florida, ab. Kurz vor 18 Uhr schickte das Teleskop erste Signale zur Erde, nun steht eine mehrwöchige Reise bevor, ehe die wissenschaftlichen Messungen beginnen können. Euclid soll Milliarden von Galaxien beobachten und in eine Entfernung von bis zu zehn Milliarden Lichtjahren blicken – um zwei ganz großen kosmologischen Rätseln auf die Spur zu kommen: Woraus besteht der unsichtbare Teil des Universums, und weshalb dehnt sich der Kosmos immer schneller aus?

Das Weltraumteleskop soll mindestens sechs Jahre lang den Mysterien des "Dunklen" Universums hinterherspüren, jenen Kräften und Stoffen, die sich zwar durch ihren Einfluss auf Raum und Materie deutlich zu erkennen geben, selbst aber im Verborgenen bleiben. Der Aufwand, den Euclid dafür betreibt, ist enorm: Von seiner Endposition am Lagrange-Punkt 2, einem von fünf Gleichgewichtspunkten im Sonne-Erde-System in rund 1,5 Millionen Kilometern Entfernung zur Erde, soll das Teleskop mehr als ein Drittel des gesamten Himmels kartieren.

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Das Weltraumteleskop Euclid soll Milliarden von Galaxien beobachten, um Hinweise auf die Dunkle Materie und die Dunkle Energie zu finden.
ESA/C. Carreau

Zwei Dunkle Entitäten

Konkret geht es den Forschern um zwei Dunkle Entitäten: Die Dunkle Materie wurde von Physikerinnen und Physikern in die Welt gerufen, weil sich zahlreiche Beobachtungen ohne sie kaum erklären lassen. Viele Galaxien beispielsweise müssten eigentlich auseinanderdriften, würden sie nur aus den sichtbaren Sternen bestehen. Es fehlt also eklatant an Masse – und diese Lücke füllten die Forschenden mit der theoretischen Dunklen Materie. Wie sie sich im All verteilt, vor allem aber, woraus sie besteht, blieb bisher ein Rätsel.

Noch deutlich merkwürdiger ist die Sache mit der Dunklen Energie. Sie steht für eine unerklärliche Kraft, die das Universum immer schneller auseinanderfliegen lässt. Pro 3,26 Millionen Lichtjahre beschleunigt sich das Aufblähen des Weltalls um rund 70 Kilometer pro Sekunde – und repräsentiert damit ein großes Fragezeichen im kosmologischen Standardmodell. Immerhin zeigen bisherige Berechnungen, dass diese Dunkle Energie fast drei Viertel des Energiegehalts des Universums ausmacht.

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Am 27. Juni verschwand das Esa-Weltraumteleskop Euclid hinter der Verkleidung einer Space-X-Falcon-9-Rakete.
Foto: SpaceX

Die Instrumente

Um sozusagen Licht in die dunklen Ecken des Kosmos zu bringen, ist Euclid mit einem Teleskop von 1,2 Meter Durchmesser und zwei wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattet: Die VIS-Kamera (VISible-wavelength camera) soll die genaue Position und Form von Galaxien im sichtbaren Licht bei Wellenlängen zwischen 550 und 900 Nanometer erfassen. Die Kamera basiert auf einem Mosaik von 36 lichtempfindlichen CCD-Sensoren mit einer Auflösung von jeweils 4.000 x 4.000 Pixel.

Die NISP-Kamera (Near-Infrared Spectrometer and Photometer), deren Hauptdetektor von der Nasa stammt, misst vor allem die Helligkeit und Intensität von Galaxien im nahen Infrarotbereich des Spektrums (900 bis 2.000 Nanometer), was Rückschlüsse auf die jeweiligen Entfernungen zulässt. Das Instrument besitzt 16 CCD-Sensoren mit je 2.000 x 2.000 Pixel Auflösung. Dieses Gerät verfügt über das größte Infrarot-Gesichtsfeld aller bisherigen Weltraummissionen.

Verzerrte Galaxien

Anhand dieser Daten können Wissenschafterinnen und Wissenschafter die bislang umfangreichste und genaueste 3D-Karte zur Verteilung von Galaxien und Dunkler Materie bis in eine Distanz von zehn Milliarden Lichtjahren kreieren. Die Dunkle Materie sollte sich in den Aufnahmen durch visuelle Besonderheiten bemerkbar machen: Beim sogenannten Gravitationslinseneffekt verändern große Massen die Laufrichtung von Lichtstrahlen, was sich in verzerrten Abbildern ferner Galaxien niederschlägt. Hat man eine Vorstellung von den großräumige Strukturen und ihrer Entwicklung im Laufe der Zeit, lässt sich daraus auch auf die Rolle der Dunkler Energie schließen.

Bis es so weit ist, wird es allerdings noch eine Weile dauern: Vier Wochen währt die Reise zum 1,5 Millionen Kilometer entfernten Operationsgebiet von Euclid, dem Lagrange-Punkt 2 (L2) auf der sonnenabgewandten Seite der Erde. Hat das Weltraumteleskop erst einmal in einen Orbit um L2 eingeschwenkt, beginnt eine ein- bis dreimonatige Phase der Einrichtung und Aktivierung. Nach zahlreichen Tests und der Prüfung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit von Euclid kann es spätestens im Oktober mit der Durchmusterung losgehen.

Video: Euclid soll helfen, einige der größten Fragen der Astrophysik zu beantworten.
European Space Agency, ESA

Riesiger Datenschatz

Die Aufnahmen der Raumsonde werden von Bodenstationen auf der ganzen Welt empfangen und zum Europäischen Raumflugkontrollzentrum (Esoc) der Esa in Deutschland weitergeleitet. Nach der Verarbeitung der Rohdaten durch das Science Ground Segment des Euclid-Konsortiums landen die kalibrierten Bilder, Spektren, Kataloge wissenschaftlicher Messungen und Dokumentationen beim Science Operations Centre der Esa (Esac) in Spanien. Das Ergebnis: ein gewaltiger Datenschatz über mehr als ein Drittel des Himmels mit Milliarden von Galaxien und Sternen.

Die Mission Euclid, deren Kosten sich auf rund 1,4 Milliarden Euro belaufen, ist das zweite große Wissenschaftsprojekt der Esa, das in diesem Jahr gestartet ist. Seit April ist die Mission Juice in Richtung Jupiter unterwegs, um die Eismonde des größten Planeten im Sonnensystem zu erforschen. (tberg, dare, 1.7.2023)