Anton Widauer
Anton Widauer als Franz Ferdinand Trotta ist eine Wucht.
Lalo Jodlbauer

In der Schlacht von Solferino hat Joseph Trotta einst dem jungen Kaiser Franz Joseph das Leben gerettet, dafür wird er geadelt, dem raketenhaften sozialen Aufstieg folgt ein Generationen dauernder Fall, davon erzählte Joseph Roth 1932 in Radetzkymarsch. In der wenige Jahre später erschienenen Kapuzinergruft setzte Roth die Saga fort. Franz Ferdinand Trotta, Enkel aus der nicht geadelten Familienlinie, ist nun Hauptfigur. Er lebt als wohlhabender junger Mann in Wien, als der Erste Weltkrieg ausbricht und er für den Kaiser, dem sein Verwandter das Leben gerettet hatte, an die Front zieht. Mit funzeligen Laternen und dräuenden Sounds gelingen hierzu in Reichenau nach einer Stunde Spielzeit intensive Eindrücke von der Not der Soldaten auf dem Schlachtfeld. Simpel, wirkungsvoll.

Für die Festspiele hat Nicolaus Hagg den Roman dramatisiert, der Burgtheaterschauspieler Philipp Hauß führt Regie. Der Boden (Bühne: Ezio Toffolutti) im Neuen Spielraum ist ausgelegt mit einem Stadtplan von Wien. Familien seien gemacht, sich fortzupflanzen, und Geschlechter, um unterzugehen, sinniert der junge Trotta im Finstern vor Kriegsausbruch vor sich hin. Anton Widauer ist als Hauptfigur auch Moderator der Szenen, liefert Vorgeschichten, schiebt Kommentare ein. Das gibt Dynamik, der Abend tanzt.

Spitze Kommandos

Wenn Wolfgang Hübsch als Diener sich anfangs schnaufend plagt, ein paar Stühle hereinzutragen? Führt das auf eine falsche Fährte. Ja, Roth veröffentlichte den Roman 1939 im Pariser Exil, in Sorge vor den Nazis und in idealisierender Sehnsucht auf das einstige Vielvölker-Habsburgerreich zurückblickend. Doch: Das Durchschnittsalter im Ensemble ist Mitte 20. Die Freunde Trottas sind früh im Jahr 1914 noch überschwänglich (Simon Schofeld), feiern den Cousin aus Slowenien (Nils Hausotte) als frischen Wind und ziehen – grundsympathisch – Champagner im Sacher im Zweifel dem Tod beim Duell vor (Simon Löcker und Claudius von Stolzmann).

Herrlich leicht gerät das, schwer wiegt vorerst nur die Gegenwart der Erwachsenen. Denn entweder sind sie seit dem Tod des Gatten lebensmüde wie Julia Stemberger als Mutter, die mit spitzen Kommandos den Haushalt rund um Nachspeisen organisiert, oder abgeklärt geschäftstüchtig wie Daniel Jesch als Hut­fabrikant und Vater von Elisabeth (Lenya Marie Gramß), die der junge Trotta vor dem Einzug in den Krieg überhapps heiratet. So zart und neckisch ist die Liebe bei den beiden!

Unter einen Hut

Das junge Ensemble ist fantastisch. Festivalleiterin Maria Happel hat es aus Burgtheater, Josefstadt und dem Max-Reinhardt-Seminar rekrutiert. An Ersterem spielt sie selbst auch, Letzteres leitete sie bis vor kurzem, als Studierende sich öffentlich gegen ihren Führungsstil stemmten. An der Burg ist Hauß Happels Ensemblekollege. Seit 2006 führt er hin und wieder Regie, länger zurück liegen Arbeiten von ihm im Burg-Vestibül, in der Garage X (2011) und am Landestheater Niederösterreich (2014, Radetzkymarsch).

Neuere sucht man vergeblich, er empfiehlt sich dafür aber dringend. Denn Hauß liefert nicht bloß ein starkes ästhetisches Konzept aus reduzierter Ausstattung, flotter Erzählung und schnörkellosem Spiel ab. Er bringt es als Schauspieler­regisseur auch mit den Darstellern unter einen Hut. Ihre Gesten sind durchdacht, bunt und individuell, ihr Ton überzeugt mit Natürlichkeit.

Humpeln und Zerfall

So vergehen die beiden Stunden im Flug. Nach Kriegsende kann sich Trotta nach Hause durchschlagen, dort hat seine Familie alles bis aufs Haus verloren. Elisabeth ist Künstlerin und lesbisch geworden, die Mutter gebückt am Stock (Stemberger ist toll!), die Freunde von früher humpeln. Schnell rückt die Handlung (orientiert an Johannes Schaafs Film Trotta von 1970) bis 1938 vor. Der private, gesellschaftliche und politische Zerfall nimmt Fahrt auf. Der klaren, ohne Kitsch rührenden Produktion aber stehen triumphale Wochen bevor. (Michael Wurmitzer, 7.7.2023)