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Fühlen sich in der Stadt schon gut aufgehoben: der Deutsche Ralph Gleis (links) und der Amerikaner Jonathan Fine.
Regine Hendrich

Sie kennen einander aus der Direktorenkonferenz der Berliner Museen: Ralph Gleis und Jonathan Fine werden als designierte Direktoren von Albertina und KHM die Bande in Zukunft noch enger knüpfen. Beide übernehmen Anfang 2025 Museen, die mit großen strukturellen Herausforderungen zu kämpfen haben – und das in einer Zeit, in der die Rolle von Museen stark hinterfragt wird. Mit welcher Einstellung blicken die beiden Museumsmacher auf die Kunststadt Wien und auf ihre neuen Aufgaben?

STANDARD: In den vergangenen Jahrzehnten war die Wiener Museumslandschaft von viel Konkurrenzdenken geprägt. Ein Doppelinterview wie dieses wäre nahezu undenkbar gewesen. Ist das ein neuer Stil, den Sie leben wollen?

Gleis: Jonathan und ich sind uns völlig einig, zumindest in unseren Bereichen stärker auf Kooperation zu setzen: nicht nur international, sondern eben auch hier in Wien. Wenn wir uns konstruktiv begegnen und vielleicht auch einmal ein Projekt gemeinsam machen, kann daraus viel für Wien entstehen.

STANDARD: Konkurrenz belebt auch das Geschäft. Auch das hat man beobachten können.

Fine: Ja, aber wenn man auf die Wiener Museen blickt, dann sieht man überall zueinander passende, einander ergänzende Sammlungen. In ihrer Tiefe und Breite übertreffen diese Sammlungen diejenigen fast aller anderen Städte der Welt. Die Wiener Museumslandschaft stellt für mich eine einzigartige enzyklopädische Sammlung dar. In der Vergangenheit hat man sich mit gegenseitigen Leihgaben stark unterstützt und mit gemeinsamen Forschungsprojekten. Auf diesem Sockel können wir aufbauen.

STANDARD: Ist das der kulturpolitische Auftrag an Sie? Mehr Kooperation und Vertiefung, weniger Tempo, nicht nur schneller, höher, weiter?

Fine: Wir leben in einem Zeitalter, in dem Nachhaltigkeit unumgehbar ist. Da müssen wir natürlich auch in der Ausstellungspraxis darauf achten. Dafür braucht es keinen Auftrag, das ist einfach Realität.

Gleis: Es ist ein Gebot der Zeit, dass wir ökologisch und ökonomisch nachhaltig arbeiten. Wenn wir mehr kooperieren, hilft uns das. Aber natürlich werden wir nicht im Klein-Klein eines dörflichen Lokalpatriotismus verschwinden. Wir werden weiterhin den Austausch mit Museen in aller Welt suchen.

STANDARD: Sie wollen beide stärker mit den eigenen Sammlungen arbeiten. Sind die nicht schon gut durchdekliniert?

Fine: Ich glaube, es gibt einen großen Hunger danach, die Sammlungen mit den Themen der Gegenwart zu verschränken. Das heißt, man kann mit einem neuen Ansatz an bekannte Werke herangehen. Man kann beispielsweise anhand des Porträts von Marie Antoinette von Élisabeth Vigée-Lebrun fragen: Wie projiziert sich Weiblichkeit? Hat eine weibliche Künstlerin einen anderen Blick auf eine Königin als ein Mann? Wie stehen diese Repräsentationsbilder im Verhältnis zu anderen Frauendarstellungen? Glänzen werden die Objekte dann, wenn man die richtigen Fragen stellt.

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Staatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) bestellt Ralph Gleis zum Generaldirektor der Albertina.
APA/georg hochmuth

STANDARD: Geht’s auch mehr in Richtung kulturgeschichtliche Ausstellungen? Sie haben beide neben Kunstgeschichte auch andere Fächer studiert: Soziologie, Ethnologie, Geschichte.

Fine: Ich würde sagen, die Kunstgeschichte ist nicht mehr dieselbe wie vor 100 Jahren: Es geht nicht mehr nur um Schubladen wie Epochen, Regionen und Schulen. Heute haben wir breitere Ansätze und wollen immer die gesellschaftlichen Fragen mitdenken.

STANDARD: Sie müssen aber nicht nur wissenschaftlich ansprechende, sondern auch finanziell erfolgreiche Ausstellungen machen. Albertina und KHM hatten zuletzt jeweils über eine Million Besucher jährlich. Können Sie das Niveau halten? Braucht es nicht doch Blockbuster?

Gleis: Ich habe ein Problem mit dem Begriff Blockbuster, weil er immer suggeriert, solche Ausstellungen hätten überhaupt keinen Tiefgang. Das stimmt aber nicht. Ich spreche lieber von Highlights-Ausstellungen. Hohe Attraktivität und Tiefgang müssen sich nicht ausschließen. Das habe ich in Berlin mit der Ausstellung Paul Gauguin – Why Are You Angry? gezeigt: Da haben wir nicht auf die schiere Masse an Leihgaben gesetzt, sondern auf thematische Vertiefung. Trotzdem war die Ausstellung sehr publikumswirksam.

Fine: Wir wollen keinesfalls Publikum aus dem Ausland abschrecken, aber wir können schon in Zukunft stärker darauf setzen, dem lokalen Publikum etwas zu bieten.

Gleis: In der Albertina haben wir 40 Prozent österreichisches Publikum, das ist auch international kein schlechter Wert. Aber natürlich wollen wir noch stärker ein Museum für alle werden. Eine Ausstellung wie jene zu Jean-Michel Basquiat hat gezeigt, dass eine zeitgemäße Themensetzung schlagartig ein jüngeres und diverseres Publikum ins Museum bringt.

STANDARD: Als Nichtösterreicher bringen Sie beide eine Außenperspektive mit. Die amerikanischen Museen sind hauptsächlich von privaten Geldgebern finanziert, in Deutschland gibt es viele Stiftungen, hierzulande dominiert die öffentliche Hand: Wie viel privates Engagement wünschen Sie sich?

Fine: Die Tradition ist eine andere. In Österreich haben wir es mit höfischen Museumsgründungen von oben zu tun, in den USA wurden Museen als bürgerliche Initiativen von unten aufgebaut. Ich bin ein Verfechter der Idee, dass Museen "bottom up" zu denken sind. Gerade bei Ausbauten kann uns privates Engagement sehr helfen.

STANDARD: Die Albertina wurde von Klaus Albrecht Schröder mit der Dauerleihgabe Batliner und der Sammlung Essl bereits stark mit privatem Engagement ausgebaut. Gibt es da auch die Gefahr von Abhängigkeit?

Gleis: Diese Sammlungen sind sehr wesentlich für uns, weil wir seither Dauerausstellungen anbieten können, die ein großes Publikum begeistern. Schenkungen statt Ankäufe setzen zudem potenziell auch Mittel frei, die wir wiederum beim Programm und in der Forschung aufwenden können. Aus meiner Sicht ist es aber wichtig, Leihgaben sehr langfristig ans Haus zu binden und auch Schenkungen anzuregen. Wir würden auch keine Leihgaben nehmen von Leuten, die eben schnell einmal etwas im Museum platzieren wollen. Es geht um sinnvolle, strategische Erweiterungen der eigenen Sammlungen.

STANDARD: Wie blicken Sie generell auf die Kunststadt Wien?

Fine: Wien ist in seiner kulturellen Breite auch abseits der bildenden Kunst unübertroffen. Es gibt hier Möglichkeiten für Innovation, die woanders nicht so möglich sind. Die öffentliche Hand stützt avantgardistische Impulse, die in den USA vielleicht nicht reüssieren würden. Man kann in Wien relativ experimentell agieren. Das finde ich wichtig.

Gleis: Wien hat es immer gut geschafft, Avantgarde und Übergang als Tradition zu verschleiern, und das meine ich als Kompliment. Wien sprüht vor Energie und verharrt nicht im Imperialen. Und das sage ich als jemand, der Berlin gut kennt, dem man das Avantgardistische so gerne zuschreibt. Wien darf sich nur nicht selbst genügen, denn dann bliebe es stehen.

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Jonathan Fine durfte eine Woche früher den Handschlag zur Ernennung zum KHM-Generaldirektor entgegen nehmen.
APA/ROLAND SCHLAGER

STANDARD: Nun beerben Sie als Deutscher und Amerikaner zwei österreichische Museumsdirektoren. Der Anteil ausländischer Kulturmanager ist aktuell recht hoch. Sind Sie auf Anfeindungen vorbereitet?

Gleis: Also ich habe hier ja bereits acht Jahre als "Piefke" gut gelebt. Außerdem haben wir uns ja nicht selbst besetzt, sondern wurden unter vielen Bewerbenden als Bestgeeignete ausgewählt.

Fine: Wenn wir dazu beitragen können, den Diskurs darüber zu beleben, wer als Österreicher zählt und was Österreich ist, freut mich das. Und als jemand, dessen Verwandtschaft zum Teil aus ehemaligen Gebieten der k. u. k. Monarchie stammt, fühle ich mich hier sehr gut aufgehoben.

STANDARD: Klaus Albrecht Schröder und andere sind als Museumschefs sehr gerne auch als Person stark im medialen Fokus gestanden. Ist Ihnen das fremd? Wollen Sie stiller agieren?

Gleis: Hier muss jeder seinen eigenen Stil definieren. Repräsentation des Hauses ist natürlich wichtig für Museumsleiter, das gehört mit dazu. Im Vordergrund steht aber immer die Kunst.

Fine: Es ist auch wichtig, den vielen exzellenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Kuratierenden und Forschenden eine Bühne zu geben. Sie sind das Herzblut des Museums. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, Stefan Weiss, 8.7.2023)