Die drei
Die drei "Präsidentinnen" Grete (Johanna Arrouas), Mariedl (Therese Affolter) und Erna (Maria Happel) in Reichenau.
Lalo Jodlbauer

Zum Einstand wird die Bühne mit Weihwasser gesprengt, Maria Happel holt das Kännchen aus der Einbauschrankwand und wedelt spritzend drauflos. Es steht auch tatsächlich kein guter Stern über dem Stück: Vor eineinhalb Wochen musste die Intendantin kurzfristig eine der drei Frauenrollen in Werner Schwabs Die Präsidentinnen übernehmen. Die Besetzungsänderung gleich zweier Rollen sei "aus persönlichen Gründen notwendig geworden", hieß es in einer Aussendung. Mit dem Textbuch noch auf dem Tisch sitzt Happel nun als Erna bei der Premiere da, muss aber kaum hineinschauen. Dafür lugen ihre nackten Knie zwischen den blickdichten Stützstrümpfen und der Kittelschürze hervor.

Die Phrase "Man gönnt sich ja nichts" ist wie auf Erna zugeschnitten. Die Pelzmütze auf dem Kopf hat sie von der Müllhalde, und weil sie zu ehrlich und zu gut ist, als dass sie irgendetwas an sich nähme, das jemand anderem gehört, hat sie sie erst gewaschen und dann zum Fundbüro gebracht. Ein Jahr später ist sie nun die ihre. Auf dem kleinen, gebraucht erstandenen Fernseher schaut sie sich Filme mit einem "guten Sinn" an. Man hört aus Happels Spiel aber bei jedem Wort die Verurteilung und Selbstgerechtigkeit der Erna heraus.

Instanzen ohne Reich

Der Autor Schwab hat sie genial hineingelegt. Seine Präsidentinnen gebieten zwar über kein Reich, jede ist aber ihre eigene höchste Instanz. Und so meint Erna, sich den Anspruch auf Galle mit dem Kreuz, das sie zu tragen hat, verdient zu haben: Sie hat noch keine Enkelkinder. Dabei hat sie auf der Einbauschrankwand Plätze für deren Fotos freigehalten. Doch der Hermann, ihr "leibeigener" Sohn, wie Schwab und Happel wo wunderbar artikulieren, vermeidet "den Verkehr", wo er nur kann. Zumindest sagt er das und schreibt er ihr das auf Postkarten. Doch dass er säuft, mag dem Erfolg bei Frauen abträglich sein.

Wiewohl die Grete (Johanna Arrouas), Ernas Freundin auf der anderen Seite des Tisches, den Hermann schon nehmen würde, denn die Grete hat ihre eigenen Nöte. Einerseits geht es auch ihr mit der Tochter schlecht, andererseits hat sie, mit breit auseinanderfallenden Beinen dasitzend, mit einem immensen erotischen Energieüberschuss zu kämpfen. Zu ihrem Unglück ist das Einzige, das der Region nahekommt, aber nur die Handtasche, die sie umkrallt und an sich presst. Formidabel trägt Arrouas den Mangel auch im Blick.

Missgunst, Geiz und Schuldgefühle

Schwabs Präsidentinnen für die gediegenen Reichenauer Festspiele auszuwählen scheint ungewöhnlich, wurde vom Premierenpublikum am Freitag aber mit lautem Jubel belohnt. 1990 uraufgeführt und zum Skandal geworden, greift das Stück so wie die Mariedl (auch Therese Affolter sprang kurzfristig und großartig ein) als die Dritte im Bunde in den Dreck aus Rassismus, Nazis, Bigotterie, Fäkalausdrücken, Missgunst, Geiz und Schuldgefühlen. Heute schaut das Stück zwar ein bisschen aus wie ein Klischeemuseum, aber in seiner Wucht und entwaffnenden Sprache hat es die ethnologische Äquivalenzgüte eines Kunsthistorischen Museums, ist es Zeitkapsel, Spira-Alltagsgeschichte, kurz: ein Klassiker.

So toll das Enge und Gequälte der Verhältnisse aus Bühnenbild und Kostümen von Christof Cremer quillt (ein Herrgottswinkel über dem Herd, ein Ave Maria aus dem alten Küchenradio), so gut geölt fantasieren sich die drei hinein in ihre jeweiligen Ekstasen aus Blasmusiksex und Selchfleischbrot. Regisseurin Cornelia Maria Rainer inszeniert perfekte Zahnräder und lustvollstes Theater für drei. Es obliegt nach 90 Minuten der von Affolter hochnervös in ihre eigene Welt entrückten Mariedl, als Aufdeckerin die Wahrheit zu sagen, genauso wie sie auch "ohne" Scheu und Gummihandschuhe in die Klos greift, um dort Verstopfungen zu lösen. Ein Abend, der ganz so schön "hüpft wie ein Gummiball". (Michael Wurmitzer, 9.7.2023)