Wolodymyr Selenskyj kam tief enttäuscht zum Nato-Gipfel in Vilnius. Der ukrainische Präsident wusste von Anfang an, dass sein Wunsch nach einem raschen Beitritt seines Landes nicht in Erfüllung gehen wird.

Nicht einmal eine schwammige Einladung dazu wollten die 31 Staats- und Regierungschefs ihrem Gast aussprechen. Die hatten zunächst sogar Mühe, ihren türkischen Partner Recep Tayyip Erdoğan davon zu überzeugen, dass er den Weg für Schweden freimachen müsse. Und Schweden erfüllte im Vergleich zur kriegführenden Ukraine alle Voraussetzungen.

Als der ukrainische Präsident 24 Stunden später das Treffen wieder verließ, schien sich seine Stimmung um 180 Grad gedreht zu haben. Er sprach plötzlich von "wichtigen Erfolgen" und ermunternden "Signalen" – vor allem an die Menschen in seiner Heimat. Was war der Grund dafür, dass sich die Einschätzung Selenskyjs über Nacht so geändert hat?

Wolodymyr Selenskyj mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg
Sprach von „wichtigen Erfolgen“: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
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Zieht man die Emotionen ab, gibt es dafür eine relativ rationale Erklärung: Die Ukraine hat von der Nato, vor allem aber von den Großmächten G7, den sieben wichtigsten Industriestaaten der Welt, mehr bekommen, als zu erwarten war.

Die Irritation über den verweigerten Nato-Beitritt ist müßig. Der Fehler, dabei zu lange zu zaudern, wurde bereits im Jahr 2008 gemacht, als die USA die Ukraine zum Beitritt einladen wollten. Deutschland und Frankreich lehnten das jedoch ab, weil sie sich die Geschäfte mit Russland nicht verhageln, Putin nicht reizen wollten. Das lässt sich nicht rückgängig machen. Ein Land im Kriegszustand kann nicht Nato-Mitglied werden, das würde sofort den Bündnisbeistandsfall auslösen.

Weil das so ist, hat sich der Nato-Gipfel für die zweitbeste Lösung entschieden. Die Allianz bzw. ihre Mitgliedsstaaten auf bilateraler Ebene legen bei der militärischen Hilfe für die Ukraine einen Zahn zu. Die Erklärung von Vilnius bringt so stark wie nie zum Ausdruck, dass die Nato nicht hinnehmen wird, dass Russland das Land zerstört und einkassiert.

Deshalb werden Trainings für die ukrainische Armee ausgebaut, bis hin zur Ausbildung von Piloten für F-16-Kampfflugzeuge. Es wird deutlich mehr Luftabwehrsysteme geben, mehr Panzer. Und vieles mehr. Diese Ankündigungen haben vor allem einen Zweck: Sie sollen dem Kreml nahebringen, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann. Ob und wann Putin und seine Generäle das einsehen, ist offen. Aber es könnte die Bereitschaft, über Frieden zu reden, zumindest erhöhen. (Thomas Mayer, 12.7.2023)