Der freie Publizist und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felber plädiert im Gastkommentar für eine "Vollgeldreform", bei der privates Geld durch öffentliches Geld ersetzt wird.

Ein Schiff aus Papiergeld
Dem Euro soll künftig ein digitaler Euro zur Seite gestellt werden.
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Derzeit arbeiten 115 Staaten an "digitalem Zentralbankgeld" (CBDC) als neues Zahlungsmittel, elf haben bereits Prototypen eingeführt, darunter Nigeria, Jamaika und China ("e-CNY"). Auch die EU forciert die Umsetzung. Fabio Panetta (EZB) und Valdis Dombrovskis (EU-Kommission) warben an dieser Stelle ("Warum Europa einen digitalen Euro braucht", 28. 6.) für einen "digitalen Euro".

In ihrem Gastkommentar erwecken sie kurioserweise den Eindruck, dass es um die Einführung von elektronischem Geld in Ergänzung zum Bargeld gehe. Sie weichen auffällig der entscheidenden Diskussion aus, warum elektronisches Zentralbankgeld eine nötige/bessere Alternative zum bestehenden elektronischen Bankengeld (Giralgeld) wäre. Stattdessen fokussieren sie auf die Vorteile einer "Central Bank Digital Currency" (CBDC).

Da geht es zum einen um Ausfallsicherheit, denn Girokontoguthaben sind keine gesetzlichen Zahlungsmittel, sondern Forderungen der Kunden an die Bank, die im Fall einer Insolvenz gefährdet sind (vorbehaltlich Spareinlagensicherung). Gesetzliche Zahlungsmittel sind derzeit nur Euromünzen und -scheine, also Bargeld – ein gesetzliches elektronisches Zahlungsmittel gibt es derzeit nicht. Auch mit Resilienz wird argumentiert: In Krisen aller Art könnten ausländische oder private Konto- oder Zahlungsdienste-Anbieter den Dienst versagen, dann wäre "öffentliches Geld" eine Alternative.

Geopolitische Perspektive

Aus einer geopolitischen Perspektive bringt es zweifellos mehr Autonomie, für EZB-Experten Panetta ist CBDC "eine Frage der Souveränität". Auch mit finanzieller Inklusion wird für den digitalen Euro geworben, und kostenlos soll die "elektronische Geldbörse" auch noch sein. Als Generalargument bleibt, dass öffentliches Geld besser ist als privates. Dann stellt sich aber die Frage, warum dann nicht gleich Letzteres durch Ersteres ersetzen – das wäre eine "Vollgeldreform", die seit Jahren von Vordenkern der Geldtheorie vorgeschlagen wird.

Eine "Salamitaktik" über eine Phase der Koexistenz führt eher zu Verwirrung: Warum soll ausgerechnet der Staat "den Wettbewerb beflügeln"? Für Stirnrunzeln sorgen auch Halteobergrenzen, die massive Abflüsse von Girokonten zu Zentralbankgeldkonten verhindern und so für Finanzstabilität sorgen sollen. Letztere könnten laut der EZB mit 3000 Euro begrenzt, nach einem Kauf aber sofort nachgefüllt werden ("Wasserfall-Mechanismus").

Die Optik, dass dem gesetzlichen Zahlungsmittel (CBDC) eine Beschränkung auferlegt werden soll, dem nichtgesetzlichen (Giralgeld) hingegen keine, bleibt schief. Denkt man weiter, dass gesetzliche Zahlungsmittel einem Annahmezwang unterliegen, würde dies konsequent dazu führen, dass alle Marktanbieter zusätzlich ein CBCD-Konto anlegen müssen, was die "Rutsche" für eine allmähliche Verdrängung von Bankengiralgeld durch Zentralbankengeld (Vollgeld) legen würde.

Eine Alternative ist eine Komplettumstellung auf Vollgeld – öffentliches digitales und bares Geld. Dann gelten nicht nur alle oben angeführten Vorteile, sondern weitere. In der modernen Variante der Vollgeldreform, die im deutschen Sprachraum vom Soziologen Joseph Huber geprägt wird (Englisch: "positive money"), kommt alles Geld von der Zentralbank: sowohl Bargeld (das ist heute schon als Ergebnis einer langen Vorgeschichte der Fall) als auch digitales Geld (dieses ist heute noch zu 100 Prozent privates Geschäftsbankengeld). Zentralbankgeld ist im Unterschied zu Giralgeld der Geschäftsbanken im Besitz des Kunden (wie Bargeld), das aber von der Bank verwaltet werden kann – gleich wie Giralgeld heute. Für die Kunden ändert sich deshalb augenscheinlich nichts, ein CBDC-Konto funktioniert wie ein Onlinekonto. Jedoch enthalten die Bankbilanzen keine Girokonten mehr: Zentralbankgeld ist in Krisen "außen vor", und Bankenrettungen zum Erhalt von Girokonten würden sich in einem Vollgeld-Regime erübrigen. Im aktuellen Giralgeld-System kann eine Geschäftsbank Kredite vergeben, indem sie auf der Aktivseite "aus dem Nichts" eine Kreditforderung und auf der Passivseite ein Guthaben auf ein Girokonto bucht ("Geldschöpfung" auf der Passivseite). Auf gleiche Weise können Banken heute per Geldschöpfung Wertpapiere kaufen. Müssten sich Banken so verhalten, wie es in Lehrbüchern steht, dann könnten sie nur Geld, das zuerst von Kunden zur Bank getragen wird, verleihen.

Gleiche Funktionsweise

Mit Vollgeld würde das genauso funktionieren: Es muss zuerst von der Bank aktiv geliehen werden – vom "Publikum", von anderen Banken ("Interbankenmarkt") oder direkt von der Zentralbank. Erst dann kann anstelle des verliehenen Vollgeldes auf der Aktivseite eine Kreditforderung gebucht werden ("Aktivtausch"), ohne dass sich dabei im Unterschied zu heute die Geldmenge erhöht. In Island hat sich die Geldmenge vor der Finanzkrise 2008 verneunzehnfacht, infolge hemmungsloser Kreditvergabe der Geschäftsbanken per Giralgeldschöpfung, aber auch weil sie – per Geldschöpfung – Wertpapiere kauften und zur Aufblähung von Finanzblasen beitrugen. Inflationen dieser Art würde mit Vollgeld beendet, was einen wichtigen Beitrag zu Finanzstabilität leisten würde.

Ein letzter Vorteil: Für jeden neu geschöpften Euro würde der Geldschöpfungsgewinn – die Differenz zwischen dem Nennwert und den Erzeugungskosten – zum Gewinn der Zentralbank beitragen und könnte entweder in den Staatshaushalt fließen oder als "Helikopter-Money" (per monetärer Gießkanne) an die Haushalte ausgeschüttet werden. Die bisherige "Seignorage" (Geldschöpfungsgewinn), ein Anachronismus aus dem französischen Feudalismus, würde zur "Souveränage", einem zeitgemäßen Gewinn für den demokratischen Souverän: die Allgemeinheit. Geld würde damit ein Stück mehr zu einem öffentlichen Gut. (Christian Felber, 16.7.2023)