Nach fast 25 Jahren an Verhandlungen wagt die Europäische Union noch einen Versuch: Bei einem Gipfeltreffen mit lateinamerikanischen Staaten am Montag und Dienstag in Brüssel will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Blockade des geplanten Handelsabkommens mit dem Mercosur lösen.
Der Deal mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wurde 1999 zum ersten Mal verhandelt. 2019 stand das Abkommen dann kurz vor dem Abschluss. Doch mehrere EU-Staaten, darunter auch Österreich, legten sich quer. Während die Industrie das Abkommen befürwortete, sahen sich Landwirtinnen und Landwirte aufgrund steigender Agrarimporte bedroht. Unterstützung bekamen sie von Umweltorganisationen, die befürchteten, dass der Deal die Abholzung des Regenwalds vorantreiben könnte.
Beim Gipfel in Brüssel steht nun ein Zusatzprotokoll mit Umweltauflagen zur Debatte, das Kritikerinnen und Kritikern besänftigen soll. Im Vorfeld hatte der brasilianische Präsident Lula da Silva den Vorschlag der EU allerdings als "inakzeptabel" bezeichnet. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bekräftige, dass Österreich bei seinem Veto bleiben werde. Kommissionspräsidentin von der Leyen zeigte sich dennoch zuversichtlich: "Wir brauchen unsere engen Freunde in diesen unsicheren Zeiten an unserer Seite", erklärte sie im Vorfeld des Gipfels.
Was für den Deal spricht
Die Trennlinien in der Debatte machen eines deutlich: Bei einem Deal zwischen der EU und den Mercosur-Staaten gäbe es Gewinner und Verlierer. In Europa hätten Hersteller von Maschinen und Chemie einen Vorteil, die Landwirtschaft wäre benachteiligt. In den Mercosur-Staaten wäre die Situation genau umgekehrt.
Sieht man sich die Gesamteffekte an, würden aber beide Volkswirtschaften von dem Abkommen profitieren. Laut einer Studie der London School of Economics im Auftrag der EU-Kommission aus dem Jahr 2020 würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU bis 2032 um 0,1 Prozent steigen, jenes des Mercosur um 0,3 Prozent. Der Deal würde EU-Unternehmen vier Milliarden Euro an Zöllen ersparen.
Für die Europäische Union geht es freilich um mehr als bloßes Wirtschaftswachstum: Das Abkommen mit dem Mercosur soll Lieferketten diversifizieren und Europa unabhängiger von Asien machen. Gleichzeitig gewinnt China laufend Marktanteile in Südamerika. Mit dem Deal will die EU gegensteuern und im Kontext geopolitischer Spannungen ihre Beziehungen mit befreundeten demokratischen Staaten ausbauen.
Kritikerinnen und Kritiker weisen zurecht auf Umweltprobleme hin. Kein Abkommen wäre aber auch keine Lösung, argumentiert die EU-Kommission. Südamerika würde nicht weniger produzieren, sondern seine Produkte an China verkaufen. Mit dem Deal hätte Europa dagegen eine Basis, um höhere Umweltauflagen einzufordern.
Was gegen den Deal spricht
Eine noch schnellere Abholzung südamerikanischer Wälder und Steppen, eine ungleiche Handelsbeziehung, steigende Emissionen: Das sind einige der Argumente, die gegen das Abkommen sprechen.
Mit dem Deal soll künftig mehr Rindfleisch und Soja nach Europa exportiert werden – schon heute wird für neue Weide- und Anbauflächen viel Wald abgeholzt. Zwar sieht ein neues EU-Gesetz vor, dass Produkte, die aus gerodeten Wäldern stammen, nicht mehr importiert werden dürfen. Doch ob die Kontrolle möglich sein wird, ist fraglich. Steigende Exporte könnten zudem dazu führen, dass in Südamerika Waldflächen für die eigene Produktion gerodet werden. Außerdem könnte der stärkere Handel die CO₂-Emissionen in die Höhe klettern lassen: allein schon wegen des langen Transportwegs.
Für die südamerikanische Seite spricht die Art der Handelsbeziehung gegen den Deal. Diese lautet: Rohstoffe gegen verarbeitete Produkte und Maschinen. "Niemand kann uns dazu zwingen, Rohstoffe zu liefern, die andere zu Produkten verarbeiten, welche sie uns dann zu horrenden Preisen zurückverkaufen", kritisierte kürzlich der argentinische Präsident Alberto Fernández.
Steigen würde voraussichtlich auch der europäische Export von Pestiziden. Umweltorganisationen kritisieren, dass Pestizide, die in Europa mittlerweile verboten sind, verstärkt nach Südamerika exportiert würden – und die damit produzierten Lebensmittel dann nach Europa zurückkämen. (Jakob Pflügl, Alicia Prager, 17.7.2023)