Amnesty International schickte einen Prozessbeobachter, dutzende zivilgesellschaftliche Gruppen erklärten sich solidarisch, in sozialen Medien wurde heftig diskutiert: Das Verfahren wegen Kreditschädigung an der internationalen Organisation ICMPD durch die Asylhilfegruppe SOS Balkanroute und ihren Obmann Petar Rosandić erregt Aufsehen – zu Recht.
Denn die Fragen, die diese am Handelsgericht ausgetragene Mediencausa um einen von ICMPD errichteten Hafttrakt im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa aufwerfen, gehen über den Anlassfall hinaus. Sie könnten Klimaaktivisten oder Tierschützerinnen genauso betreffen. Sie lauten: Ist ein Gericht ein adäquater Ort, um über radikale Kritik an einem umstrittenen Projekt zu befinden? Oder handelt es sich bei derlei Klagen um Versuche des Mundtotmachens?
Das macht die nicht rechtskräftige Abweisung der Klage durch den Richter, gegen die die Anwälte von ICMPD berufen haben, zu einem wichtigen Schritt. Für Ersteres nämlich sprechen die Regeln des Medienrechts: Jeder und jede hat die Möglichkeit eines solchen Schritts, wenn er oder sie sich hier verletzt sieht. Auf Letzteres hingegen verweisen die finanziellen Ressourcen und Möglichkeiten politischen Einflusses einer internationalen Organisation.
Deren Macht kann Diskussionen leicht abwürgen – auch wenn die dahinterliegende Auseinandersetzung gesellschaftspolitisch so notwendig ist wie im vorliegenden Fall. Die Ausdrücke und Vergleiche, mit denen SOS Balkanroute den Hafttrakt in Lipa bezeichnete, waren krass; der Umgang mit Flüchtenden und Migranten auf dem Balkan ist es auch. Der Richter beurteilte die scharfen Worte am Dienstag als nicht strafwürdig. Das tut der Meinungsfreiheit gut. (Irene Brickner, 18.7.2023)