Hörsaal
Im kommenden Semester ist der Medizinmaster an der Freud-Uni doch zugelassen. Ein Gericht hob den negativen Bescheid der staatlichen Akkreditierungsbehörde auf.
Heribert Corn

Frage: Warum steht die Wiener Sigmund-Freud-Uni (SFU) überhaupt auf dem Prüfstand?

Antwort: Da die SFU eine Privatuniversität ist, muss sie sich laut Gesetz in regelmäßigem Abstand von sechs Jahren einem Akkreditierungsverfahren unterziehen, um weiterhin staatlich anerkannt zu sein. Dabei prüft die Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria (AQ) als zuständige Behörde, ob die vorgeschriebenen Qualitätskriterien an der Hochschule insgesamt sowie bei ihren bestehenden Studiengängen erfüllt sind. Die SFU hat ihren Antrag zur Verlängerung der Akkreditierung Ende 2020 eingebracht.

Frage: Das ist lange her. Was ist seitdem passiert?

Antwort: Die AQ Austria hat Fachleute aus dem In-und Ausland mit der Erstellung eines Gutachtens zur SFU beauftragt. Es handelt sich um einen aufwendigen Prozess, bei dem die Expertinnen und Experten Indikatoren erheben (etwa zu den Betreuungsverhältnissen und zur Forschungsleistung), die Infrastruktur ansehen und sich mit den Uni-Verantwortlichen austauschen. Die Corona-Lockdowns sorgten für Verzögerungen, die nahezu endgültige Version des Gutachtens wurde im September 2022 durch einen Leak an den STANDARD und andere Medien publik.

Frage: Was stand drinnen?

Antwort: Kaum Kritik und manches Lob gab es bei den Studiengängen Psychologie und Jus. Beim Masterstudium Humanmedizin stellte das Gutachten jedoch gravierende Probleme fest. Die Uni habe zu wenig Lehr- und Forschungspersonal für die stark gestiegenen Studierendenzahlen, es fehle an Laborflächen und der Verbindung mit einer Universitätsklinik. Das Gutachten empfahl daher, dem Medizinmaster die Zulassung zu entziehen, weil die Mängel kurz- und mittelfristig nicht behebbar seien.

Frage: Wie gingen die AQ Austria und die SFU damit um?

Antwort: Die Uni hielt sich in der Öffentlichkeit bedeckt. An die Behörde schickte sie eine Stellungnahme, um Kritikpunkte zu entkräften. So stünden etwa der SFU aufgrund von Kooperationen de facto mehr Laborflächen zur Verfügung als im Gutachten dargestellt, zudem hätten die Erhebungen während des Pandemiebetriebs ein verzerrtes Bild der Lage ergeben. Die Gutachter und die AQ Austria waren davon nicht überzeugt: Ende November 2022 widerrief die Behörde per Bescheid die Zulassung des Masterstudiums Medizin. Das Bachelorstudium Humanmedizin wurde zwar bewilligt und die Zulassung der SFU als Privatuni wurde um sechs Jahre verlängert – allerdings unter zahlreichen Verbesserungsauflagen, die binnen zwei Jahren zu erfüllen seien.

Frage: Wie reagierte die Uni?

Antwort: Sie wehrte sich mit zwei Beschwerden samt eigens beauftragter Privatgutachten gegen die Entscheidung der Behörde und zog vor das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Die erste Beschwerde sollte erwirken, dass der Entzug der Zulassung nicht sofort schlagend wird und die Akkreditierung des Masters vorläufig aufrecht bleibt. Die Uni wollte also zunächst eine zeitlich aufschiebende Wirkung erreichen, bis die parallel eingebrachte zweite Beschwerde, die sich direkt gegen den Bescheid selbst richtete, vom Gericht beurteilt wird.

Frage: Was hat das Gericht entschieden?

Antwort: Im Februar 2023 gab das Bundesverwaltungsgericht der AQ Austria insofern recht, als der SFU keine aufschiebende Wirkung des Bescheids gewährt wurde. Bei gravierenden Defiziten im Medizinstudium drohten Nachteile für das Wohl von Patienten, überdies würde eine Schonfrist einen potenziellen Vermögensnachteil für Studierende bedeuten, die sich zwischenzeitlich in das wackelnde Studium einschreiben und hohe Studiengebühren dafür bezahlen. Bei der Beschwerde direkt gegen den Zulassungsentzug gab das Gericht hingegen der Uni recht, wie am Dienstag bekannt wurde: Der Bescheid wurde im Juli aufgehoben, der Medizinmaster gilt daher nun wieder als zugelassen.

Frage: Wie kann es sein, dass das Bundesverwaltungsgericht zwei gegensätzliche Urteile fällt?

Antwort: Der Widerspruch besteht nur auf den ersten Blick. Rechtlich gelten völlig unterschiedliche Maßstäbe bei der Beurteilung einer Beschwerde zur aufschiebenden Wirkung einerseits und andererseits der Beschwerde gegen den Bescheid selbst, wie der Anwalt und Hochschulrechtler Stefan Huber erklärt. Beim ersten Thema wurde vom Gericht geprüft, ob Gefahr im Verzug wäre, wenn die im Bescheid der Behörde dargelegten Argumente zu den Mängeln des Studiums zutreffend wären. Beim zweiten Thema wurde geprüft, ob die Behörde ihren Bescheid tatsächlich formal sauber und stichhaltig argumentiert hat– ein Urteil über diese Frage dauert logischerweise auch länger. In der Causa SFU war es sogar dieselbe Richterin, die über beide Beschwerden zu befinden hatte.

Frage: Warum hat jetzt die Richterin der Beschwerde recht gegeben?

Antwort:Sie monierte, dass die AQ Austria eine umfangreiche Stellungnahme der Uni zu den Vorwürfen des Gutachtens weder zum Akt genommen noch ordentlich berücksichtigt habe. Die Behörde habe somit "notwendige Ermittlungen unterlassen und keine ausreichenden Feststellungen getroffen". Darunter falle auch, dass für die Überarbeitung des Gutachtens kein Vor-Ort-Besuch der strittigen Laborflächen stattgefunden habe.

Frage: Was heißt das für die Medizinstudierenden?

Antwort: Für jene, die bereits im Master studieren, ändert sich nicht viel, weil sie im Rahmen eines "Teach-out" ohnehin hätten fertigstudieren dürfen. Erfreulich ist die Entscheidung vor allem für die aktuellen Bachelorabsolventen an der SFU, die nun doch im Herbst nahtlos an der SFU ihren Master anfangen dürfen. Ab sofort darf die Uni wieder Masterstudierende gemäß dem alten Studienplan aufnehmen und das Studium auch bewerben.

Frage: Und was ist mit denen, die noch mitten im Bachelor sind?

Antwort: Das hängt vom weiteren Verfahrensverlauf ab. Das Gericht hat der AQ aufgetragen, einen neuen Akkreditierungsbescheid auf Basis der aktuellen Umstände zu verfassen. AQ-Geschäftsführer Jürgen Petersen sagte am Mittwoch zum STANDARD, dass die Behörde dazu wohl erneut eine fachliche Begutachtung einholen müsse. Ob es sich dabei um dieselben Gutachter handeln werde, stehe noch nicht fest. Petersen rechnet mit einem Bescheid im Laufe des kommenden Semesters. Es ist dabei möglich, dass die Behörde der Uni erneut die Zulassung entzieht, dann würde auf Bachelorstudierende wiederum eine unsichere Zukunft inklusive neuerlichen Rechtsstreits zukommen.

Frage: Ist dieses Szenario wahrscheinlich?

Antwort: Man kann jedenfalls sagen, dass sich die Chancen der SFU auf eine künftige Akkreditierung des Medizinmasters durch die neueren Entwicklungen erhöht haben. Das Gericht stellte nämlich fest, dass die Uni zwischenzeitlich akademisches Personal aufgebaut habe und sich um die Schaffung einer Uniklinik bemühe. Auch AQ-Geschäftsführer Petersen ortet Qualitätsverbesserungen an der Privatuni, die seine Behörde "trotz Niederlage im Verfahren" angestoßen habe. Eine klare inhaltliche Prognose lässt sich aus dem Urteil jedoch nicht ableiten, zumal der wesentliche Kritikpunkt des Gerichts an der Behörde– eben die mangelnde Beachtung einer SFU-Stellungnahme– eher formaler Natur war.

Frage: Ist die Freud-Uni die einzige Privatuni, die um ihr Medizinstudium zittern muss?

Antwort: Nein. Kürzlich wurde bekannt, dass auch dem Master Humanmedizin an der Danube Private University (DPU) in Krems von der AQ die Zulassung entzogen wurde. Interessanterweise war das schon 2021, allerdings wurde der Uni eine aufschiebende Wirkung gewährt, sie darf also vorläufig neue Studierende in den Master aufnehmen. Über die Beschwerde gegen den Bescheid selbst hat das Bundesverwaltungsgericht noch immer nicht entschieden, es dauert somit deutlich länger als bei der SFU. Petersen hat für die Diskrepanz keine Erklärung, die DPU war für Fragen zum Verfahren nicht erreichbar. (Theo Anders, 19.7.2023)