16 Fußballfelder – eine Fläche von elf Hektar – werden in Österreich Tag für Tag versiegelt. Je mehr Blumenwiesen Parkplätzen, Einfamilienhäusern und Industriegebieten weichen, desto mehr Ideen für eine klügere Bodennutzung sprießen aus dem Boden. Auch im STANDARD-Userforum tummeln sich viele Vorschläge. Wohnbauforscher Wolfgang Amann und Lilli Lička, Leiterin des Instituts für Landschaftsarchitektur an der Boku Wien, diskutieren sechs Vorschläge von Userinnen und Usern.

Asphalt reißt auf und Gras wächst
Täglich wird in Österreich eine Fläche von 16 Fußballfeldern versiegelt.
APA/HELMUT FOHRINGER

1. Alles unter einem Dach

Um die Bodenversiegelung einzudämmen, schlägt ein User vor, Hochhäuser in Dörfer zu bauen. Darin sollen Kindergarten, Feuerwehr, Dorfwirt, Hallenbad, Supermarkt und Gemeinschaftsflächen Platz finden.

Für Wohnbauforscher Amann ein "origineller Vorschlag". Früher seien Kirchtürme Signalpunkte gewesen, später hätten das hundert Meter hohe Silotürme übernommen – sie standen vor allem dort, wo Getreide angebaut wurde. "Jetzt könnten die Kommunalhochhäuser kommen", sagt er.

Wer das Dorfleben ins Hochhaus verlagern will, muss aber für Frequenz zwischen Gemeindeamt, Gasthaus und Gemeinschaftsflächen sorgen. Denn das Leben im Dorf findet – sofern der Dorfkern noch nicht ausgestorben ist – zwischen diesen Funktionen statt. Wichtig sei es auch, öffentlichen Raum zu schaffen, "vor allem, wenn sich alles in einem Kommunalhochhaus abspielt". Gegen das Kommunalhochhaus spricht, dass der Bau teuer ist. Denn hoch zu bauen treibt auch die Preise in die Höhe.

Lička wirft zudem ein, dass eine Gebäudeform auch in die Siedlungsstruktur passen muss. Die Landschaftsarchitektin war zehn Jahre Mitglied des Gestaltungsbeirats des Landes Tirol und hat Gemeinden bei landschaftsgestalterischen Fragen beraten. "Das homogene historische Dorf gibt es selten", sagt sie. Gerade in Tiroler Dörfern stehen teilweise riesige Hotelkomplexe, daher sei ein Hochhaus denkbar. Die verdichteten Funktionen und die Mehrfachnutzung im "Kommunalhochhauses" hält sie für eine gute Idee.

2. Zur Kasse bitte

Firmen sollen zahlen, wenn sie Flächen versiegeln. Mit dem Geld werden bestehende Substanzen revitalisiert, so die Idee aus dem Forum.

Dass Versiegelung kosten und Entsiegelung angereizt werden soll, findet auch Wolfgang Amann. Er plädiert allerdings für Ausnahmen. Sein Vorschlag: Entscheiden sich die Nutzerinnen und Nutzer, ihr Dach intensiv zu begrünen, könnten sie von der Zahlungspflicht ausgenommen werden. Dafür braucht es mindestens 30 Zentimeter Erde und ein durchdachtes Wassermanagement, dann wachsen auch Bäume auf dem Dach. Extensive Begrünung, sprich zehn Zentimeter Substrat aus Kies, Ton und Ziegel, in dem nur unempfindliche Pflanzen wachsen können, ist für Amann nicht genug.

3. Natürliche Grenzen

Ein User will "einen Waldring um Dörfer pflanzen, der weitgehend sich selbst überlassen wird (...). Eine Breite von 20 Metern würde für den Anfang schon reichen."

Ein schöner Gedanke, wie Amann befindet. Allein die Gemeinde müsste die Liegenschaft entweder erwerben oder die Widmung Wald durchsetzen, um einen Waldring rund um ein Dorf pflanzen zu können. Sind diese Flächen landwirtschaftlich bepflanzt, muss die Gemeinde zudem Entschädigungen zahlen – und das könnte teuer werden.

Wenngleich ein 20 Meter breiter Streifen nur ein schmaler Wald ist, findet Lička die Idee gut – damit wären auch klare Siedlungsgrenzen gezogen. Auch der Wiener Wald ist im Jahr 1905 entstanden, um in der Stadt eine grüne Lunge zu pflanzen, erzählt Lička. Heute zieht der Westwind zuerst durch die Bäume, sie reinigen und kühlen die Luft. Gegen einen Puffer, der als Luftreinigungszone oder klimatischer Ausgleich dient, spricht laut der Landschaftsarchitektin nichts. Allerdings: "Nicht jedes Dorf braucht das."

4. Parken verboten

Parkplätze sollen Supermärkte und Firmen künftig nur noch auf dem Dach genehmigt bekommen, nicht aber rund um die Filiale, so die Idee von User MartokMcFly. Sneck will verpflichtende Tiefgaragen unter Neubauten.

Für Lička ist dieser Vorschlag "reine Symptombekämpfung". Ansetzen müsse man vielmehr dort, wo die Mobilitätsfrage herkommt. "Man muss so bauen, dass gar kein Auto nötig ist." Parkplätze bräuchten Supermärkte dann überhaupt nicht mehr.

Auch Amann will den "ruhenden Verkehr aus dem öffentlichen Raum" verbannen. Allerdings seien Tiefgaragen sehr teuer – ein Quadratmeter Tiefgarage könne mitunter gleich viel kosten wie ein Quadratmeter Wohnraum.

Auf den Dächern der Supermärkte hält er Parkplätze aber für zumutbar. Funktionieren würde das allerdings nur, wenn Parkplätze ausschließlich auf dem Dach zur Verfügung stünden, da Kundinnen und Kunden den kürzesten Weg und ebenerdige Parkplätze bevorzugten.

Parkplatz mit schmalem Grünstreifen
Der Idee, Parkplätze nur noch auf den Dächern von Supermärkten zu genehmigen kann Wohnbauforscher Amann durchaus etwas abgewinnen
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5. Mut zur Wildnis

"Was wir brauchen, ist mehr Wildnis, als Rückzugsort für Pflanzen und Tiere. In meiner Jugend gab es noch in jeder Baulücke in Wien eine Gstätten", so eine weitere Idee aus dem Forum.

Seit sich Landschaftsarchitektin Lička erinnern kann, gibt es die Forderung nach einer Gstätten, also nach Brachland, nach einer Baulücke, in der die Natur wild wachsen kann. Und auch die Landschaftsarchitektin sieht Bedarf an verschiedenen Natur- und Lebensräumen – und auch Menschen sollen Teil dieser Wildnis sein dürfen. Zudem entspricht es auch dem derzeitigen ästhetischen Leitbild, dass alles wilder aussehen darf.

Amann ist Nutznießer einer solchen Gstätten. In der Nähe seines Wohnhauses wächst in einem aufgelassenen Gewerbegebiet dichter Wald, dazwischen stehen ein paar Mauern, die unter den Pflanzen langsam verschwinden. Die Stadt Wien hat das Areal zwar als Park gewidmet, aber bloß einen Weg aus Hackschnitzeln gelegt. Damit der Ort der Natur überlassen und nicht zugemüllt wird, muss die Müllabfuhr regelmäßig aufräumen.

Ansonsten könnte die Broken-Window-Theorie wahr werden, warnt Amann. Sie besagt, dass eine zerbrochene Fensterscheibe so rasch wie möglich repariert werden muss, um Vandalismus im Stadtteil und ein Ansteigen der Kriminalitätsrate zu verhindern. Amann geht es allerdings vielmehr um die Verschmutzung durch Plastiktaschen und Dosen, die in Gstätten um einiges schneller stattfindet als anderswo – und aus einer Idylle einen Schandfleck macht.

6. Ein Dorfplatz in der Stadt

Ein User stört sich daran, dass Zersiedelung nur negativ konnotiert ist. Das dichte Stadtleben hätte nicht nur Vorteile, er plädiert daher für eine Renaturierung der Stadt und sie umzubauen, sodass sie einer ländlichen Lebensweise entsprechen.

Wenngleich sich Wohnbauforscher Amann klar gegen Zersiedelung ausspricht, kann er dem Vorschlag ländliche Lebensweisen in der Stadt zu integrieren durchaus etwas abgewinnen. Man müsste zunächst überlegen, was ein Dorf ausmacht – das betrefft einerseits die Natur und andererseits die Sozialstruktur. Wichtig sei die Entwicklung kleinräumiger Quartiere, die fußläufig sind und zur Begegnung einladen. Die Menschen können sich dort treffen, und es entstehen soziale Strukturen wie in Dörfern.

Auch bei den natürlichen Lebensräumen ist laut Amann viel möglich. Ein positives Beispiel ist das Nordbahnviertel im zweiten Wiener Bezirk. Zwischen Hochhäusern wächst naturbelassener Raum, der sich selbst überlassen ist. Amann erzählt, dass dort Frösche quaken, die Wildnis und das Gestrüpp aber nicht einladen hineinzugehen. Für Menschen gibt es an anderer Stelle Holzstege. "Natur und Großstadt muss kein Gegensatz sein", sagt der Wohnbauforscher.

Lička stört sich hingegen an der verwendeten Begrifflichkeit. Die Stadt zu renaturieren suggeriere, dass das Landleben in der Natur heil und gut ist, die Stadt hingegen gefährlich und böse – "das stimmt so nicht". Das größte Pkw-Verkehrsaufkommen entstehe auf dem Land, weil für Arbeit, Einkauf oder Hobbys viele Kilometer zurückgelegt werden müssen. Auch die Biodiversität sei in Städten teilweise höher als in gewissen ländlichen Regionen. Gebäude einfach abreißen und die Natur sich selbst überlassen – diese Art der Renaturierung ist für Lička keine Lösung.

Sie fordert vielmehr eine "Neuinterpretation von Natur" und will naturieren statt renaturieren. Dafür braucht es Baumarten, die klimatischen Veränderungen standhalten. Außerdem müssen Bäume und Sträucher so gepflanzt werden, dass sie auch eine psychologische Wirkung auf die Städterinnen und Städter haben. (Julia Beirer, 30.7.2023)