Alexander Van der Bellen hat recht. Die Reaktionen der Chefs von ÖVP und SPÖ zeigen, dass sie entweder gar nicht verstanden haben, wovon der Bundespräsident spricht, oder sehr genau wissen, was er meint – und sich ertappt fühlen. Karl Nehammer und Andreas Babler reagierten mit Trotz.

Alexander Van der Bellen
Hat bei den Bregenzer Festspielen in seiner Rede ein düsteres Bild gezeichnet: Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
APA/Dietmar Stiplovsek

Die FPÖ nimmt den Bundespräsidenten ohnedies schon länger nicht mehr ernst, "nicht einmal ignorieren" ist deren Motto. Die blaue Führung hat sich in ihre Parallelgesellschaft zurückgezogen und träumt von dem Tag, an dem sie unsereins endlich davonjagen kann. Und unsereins kann immer noch nicht glauben, dass dieser Tag kommen kann. Das wird ein schlimmes Erwachen.

Ernste Rüge

SPÖ und ÖVP treiben die Spaltung, vor der Van der Bellen warnt und von der die FPÖ profitiert, munter voran. Der Bundespräsident hat bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele ein düsteres Bild der Situation gezeichnet und das mit einer ernsten Rüge der Parteien verknüpft. Er prangerte den herrschenden Populismus an. Der ist zwar nicht neu, greift aber mit einer zunehmenden Dynamik um sich.

Offenbar hätten die politischen Protagonisten den Glauben daran verloren, dass man mit sachbezogenen Argumenten und inhaltlichen Konzepten etwas erreichen könne, attestiert Van der Bellen: Sie hätten die Ernsthaftigkeit aus den Augen verloren und nur die nächste Wahl im Blick. "Kein schönes Gefühl", sagte Van der Bellen. Er wird sich daran gewöhnen müssen. Wir sind bereits im Wahlkampf, und es wird nicht besser werden. Eher noch schlimmer.

Offenbar glauben die Parteien, im Trennenden eine erfolgversprechende Strategie gefunden zu haben. Die ÖVP will vorgeben, was normal ist, und folglich auch, was nicht. Sie macht ihr Wertegefüge zum Ausgangspunkt eines Koordinatensystems, in dem Menschen beurteilt und eingeteilt werden. Und ja, das ist gefährlich. Nehammer ist in seiner Reaktion darum bemüht, niemanden intellektuell zu überfordern: Man wird ja wohl noch Schnitzel essen dürfen. Weil das normal ist. Man wird ja wohl noch Auto fahren dürfen. Eh. Ja nicht nachdenken müssen und Gewohnheiten infrage stellen.

Zerfressener Zusammenhalt

Andreas Babler betreibt das Spiel "Wir da unten gegen die da oben". Das ist auch nicht neu, aber gut wiederbelebt. Van der Bellen hat das recht deutlich angesprochen, und wie zur Bestätigung bringt der SPÖ-Chef wieder "unsere Leute" gegen die anderen in Stellung. Gegen die Wohlhabenden, Reichen und Superreichen, zählen wir sie doch namentlich auf. Aber so einfach ist die Welt nicht, nicht einmal in der SPÖ. Auch dort gibt es die gut Verdienenden, sogar die Bonzen. Es gibt wahrscheinlich viele, die mit Babler sympathisieren, aber Zweifel haben, ob sie mit "unsere Leute" mitgemeint sind oder ausgegrenzt werden.

Es ist dieses Trennende, das uns als Gesellschaft nicht guttut, das Einteilen und Gegeneinanderausspielen, dieses Unversöhnliche und Brüskierende. Das zerfrisst den Zusammenhalt, schürt Neid und Feindschaft.

Was man Van der Bellen vorhalten kann: dass er in seinem Rundumschlag auf die Grünen vergessen hat. Die sitzen auf einem ziemlich hohen Ross und glauben, die Wahrheit, jedenfalls aber die Moral für sich gepachtet zu haben. Der Anspruch, recht zu haben, wird dort besonders intensiv gelebt. Diese Aufteilung in richtig und falsch, gut und böse ist nicht von Toleranz geprägt. Auch das trägt den Keim der Spaltung in sich. (Michael Völker, 20.7.2023)