Im Gastblog fragt sich Sabine Pollak, wie eine Großstadt im 21. Jahrhundert auf die Idee kommt, ein Rundpanorama aus dem 18. Jahrhundert nachzubauen.

Ein kritischer Artikel von Wojciech Czaja im ALBUM vor einigen Wochen machte mich neugierig. Ein zur Gänze rundum, von oben bis unten durchbetoniertes, fensterloses Rundgebäude mit 33 Meter Höhe und 36 Meter Durchmesser im Prater. Das tonnenförmige Ungetüm verlangt nach mehr Aufmerksamkeit.

Rundpanorama im Prater
Das Praterbuffet vor dem Rundpanorama wirkt wie in einem anderen Maßstab gebaut.
Foto: Sabine Pollak

Freud und die runden, hohlen Körper

Ausgerechnet am Freudplatz Nummer 4 im zweiten Wiener Gemeindebezirk, zwischen einem Hotel und dem Campus der Wirtschaftsuni am Rand des Wiener Wurstelpraters steht es, das neue Rundpanorama für Wien. Freud hätte seine eigene Theorie dazu gehabt, zu Projektion und Imagination in einem großen, hohlen, runden und dunklen Raum. Aber Freuds Theorie (rund, hohl, dunkel ist gleich Vagina) ist hundert Jahre alt und somit nicht aktuell. Die Idee von Rundpanoramen gibt es allerdings schon länger. Der Name kommt aus dem Griechischen, in dem pan alles und horama die Sicht bedeutet. Ein Panorama zeigt also alles beziehungsweise alles, was man sonst nicht und vor allem nicht auf einmal sehen könnte, nicht im Fernsehen, nicht auf dem Tablet, nicht in der VR-Brille und nicht auf dem Smartphone. Sie merken, da stimmt etwas nicht. Ja genau, etwas ist zeitlich verrutscht, denn wir können ja alles sehen, und dies gleichzeitig. Im 18. Jahrhundert, als die Rundpanoramen erfunden wurden, hatte alles noch seine Richtigkeit. Erste Panoramen zeigten idealisierte Landschaften, die Betrachtende, wenn sie sich einmal im Kreis drehten, zur Gänze erfassen konnten. Panoramen nahmen die heutige Bildproduktion vorweg. Sie zeigten mehr, als man in der freien Natur sehen konnte. Betrachtende nahmen Standpunkte ein, die in der Landschaft unmöglich waren, und was sie sahen, war schöner, lieblicher oder aufregender als das Vorbild. So wie es heute in der Bildproduktion eben auch der Fall ist. Das von der Landschaft gemachte und augenblicklich in soziale Netzwerke gestellte Bild ist besser, präziser und aufregender als der tatsächliche Blick in die Landschaft.

Panorama, Diorama, Kosmorama

Im 19. Jahrhundert entstanden in nahezu allen größeren Städten Panoramen und wurden immer größer und präziser. Meistens wurde ein für den jeweiligen Standort wichtiges historisches Ereignis gemalt. Besonders beliebt waren große gewonnene Schlachten. So wie heute ergötzte man sich auch damals an der Bildhaftigkeit von Kriegen. Neben dem Panorama vermerkt das Lexikon noch das Diorama (dreidimensional), das Myriorama (in Streifen zerstückelte Landschaften zum Nachbauen), das Neorama (illuminiert und mit Figuren belebt), das Kosmorama (Weltall statt Landschaft), das Pleorama (Meeresbilder, wie von einem Schiff aus gesehen) und das Cyklorama (ein sich drehendes Panorama). Oft zeigten Panoramen das, was ohnehin auch draußen vor Ort zu sehen war, aber eben aus einem anderen Standpunkt und mit einer gewissen Distanz. Andere brachten ferne Orte näher, die Landschaften der Kolonien etwa. Mit dem Einzug der Massenmedien Fotografie und Film verloren Panoramen ihre Bedeutung. Sie waren eher eine Reminiszenz auf das, was gerade verloren zu gehen schien. Panoramen verweisen auf den Wunsch nach dem Aufrechterhalten eines traditionellen Bildes. So auch das Panorama in Innsbruck. Hauptmotiv ist dort die Schlacht vom Bergisel im Jahr 1801. Es solle, so die Beschreibung, der "Mythos Tirol" aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet werden: Freiheitskampf, Kirchen, Kaiserjäger, Berge, verpackt in eine beeindruckende neue Architektur. Man steht in einem futuristisch anmutenden Raum und blickt auf eine Landschaft, die alles Neue ausblendet.

Was Tirol kann, kann Wien schon längst

Und nun bekommt also der Prater ein Panorama. Was Tirol kann, kann Wien schon längst. Das Panorama wird nicht in die Landschaft des Praters gesetzt (das wäre auch noch schlimmer wahrscheinlich), sondern in den Wurstelprater, der mit dem Wurstel, also dem Wiener Hanswurst, nur mehr wenig zu tun hat. Außer vielleicht, dass Wiener Stadtplanung manches Mal zur Posse wird, und der Wurstel liebt ja die Posse. Normalerweise würde man ein solch großes Gebäude, bevor die Mischmaschinen anfahren, in einer Stadt zur Diskussion stellen. Immerhin fehlen dem Zylinder nur zwei Meter, dann wäre er ein Hochhaus. Eine Diskussion war jedoch nicht notwendig. Die Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität ist auch Expertin für lustige Praterbauten und entscheidet so etwas selbst. Klimabewusst bauen? Nein, wozu. Flexibel planen für Nachnutzungen? Ist doch eh alles wurscht im Wurstelprater. Machen wir das Panorama lieber gleich in Beton, bevor uns das jemand wegflexibilisiert.

Rundpanorama im Prater
Man hätte das Panoramagebäude in Holz, Stahl, Lehm oder sogar in Stroh bauen können. Aber in Beton?
Foto: Sabine Pollak

Wie kommt eine Großstadt im 21. Jahrhundert auf die Idee, ein Rundpanorama aus dem 18. Jahrhundert nachzubauen, und dann noch dazu aus Beton? Verlangt nicht gerade der Vergnügungspark nach einer leichten, zusammengeschraubten und rasch demontierbaren Architektur? Denn die gibt es noch, im Wurstelprater. Man muss nur am Betonrondeau vorbei und ums Eck gehen und findet die schönste, zierlichste und verspielteste Vergnügungsarchitektur: leicht, bunt, filigran, lustig – genauso lustig, wie die Leute sein sollen, wenn sie den Wurstelprater besuchen.

Von der Volksbühne zum Riesenrad

1825 wird der Wurstelprater am Rand des sechs Quadratkilometer großen Praterareals zwischen Stuwerviertel und Freudenau zum ersten Mal als Volksprater erwähnt. Als die Volksbühnen im Stadtzentrum nicht mehr standesgemäß waren, wurde stattdessen das Areal im Volksprater für vergnügliche Darbietungen zur Verfügung gestellt, für eine lustige Versuchsstadt mit Bühnen, Kinozelten und Ständen. 1872 mussten diese im Zuge der Weltausstellung abgebaut werden. Von der Weltausstellung blieb nur die Rotunde erhalten (Achtung, Referenz Panorama!), die Bauten des Wurstelpraters wurden jedoch neu und mit neuen technischen und visuellen Möglichkeiten aufgebaut. 1897 erhielt Wien mit dem Riesenrad am Eingang zum Wurstelprater schließlich ein tolles neues Wahrzeichen, das es mit Eiffelturm und Freiheitsstatue aufnehmen konnte. Mit 60,96 Metern Durchmesser, zarten Speichen und hängenden Gondeln war das bis zum Jahr 1985 größte Riesenrad der Welt leichter und fragiler als alles, was sonst so gebaut wurde in Wien.

Wurstelprater
Zart, bunt, vielfältig und lustig, die alten Konstruktionen im Wurstelprater.
Foto: Sabine Pollak

Riesenrad, Turmbauten, Konstruktionen für Rutschen, Achterbahnen und Schaukeln zeigten um die Jahrhundertwende, wozu Architektur imstande war, wenn man sie flexibel in Stahl- oder Holzkonstruktionen baute und mit leichten Materialien verkleidete. Die Wiener Ziegel-Blockrandbebauung mit engen Höfen erhielt im Prater ein luftig leichtes Pendent umgeben von Grün. Dort der Ernst des sozialen Wohnens, hier das leichte Vergnügen. Nach der harten Arbeit und den bürgerlichen Wohnritualen schaukelte man sich hier in luftige Höhen.

Coney Island, Manhattan und "Delirious New York"

Vergnügungsparks waren meistens Testgelände für neue Architekturen. In New York war dies der Vergnügungspark Coney Island. Als der niederländische Architekt Rem Koolhaas 1972 ein Jahr in New York verbrachte und erforschte, wie Manhattan zu Manhattan geworden war, begann er mit Coney Island. So entstand das ikonische Buch Delirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan, ein Plädoyer für die programmatisch und baulich dichteste Stadt der Welt. Die Koolhaas'sche These darin lautet: Der Vergnügungspark auf Coney Island, der Halbinsel südlich von Brooklyn, diente als Experimentierfeld, um die neue und großartige Architektur für Manhattan in einem etwas kleineren Maßstab zu erproben. Ein Hotel in Form eines Elefanten, Schwebebahnen, Hallenbauten, ein ganzer Wald aus Turmhäusern und eine grandiose Beleuchtung nahmen das vorweg, was kurz danach weiter westlich als Manhattan entstand. 1914 brannte der Vergnügungspark ab, das Testareal wurde zerstört und anstelle eines neuen Parks wurde an der richtigen Stadt weiter gebaut. Auch das gehört zu den Großstädten in Miniaturformat. Irgendwann sind sie zu Ende und das ernste Leben in der wirklichen Stadt beginnt. Delirious New York ist bis heute amüsant zu lesen, eine gute Mischung aus mutiger These, wissenschaftlicher Aufarbeitung und wilder Assoziation. Madelon Vrisendorp, Künstlerin und Partnerin von Koolhaas, lieferte für das Buch einige großartige surreale Bilder. Sie tauchen im Buch immer dann auf, wenn die Erzählung über den Manhattanismus in eine vergnügliche Fiktion abdriftet.

Keine Posse, das wäre zu nett

Zurück nach Wien, in den Wurstelprater, zum Beton. Das Ding ist schlichtweg erschreckend. Ich wünsche dem Wiener Vergnügungspark wirklich alles erdenklich Gute. Er soll wachsen und gedeihen, die Leute sollen sich darin erfreuen wie einst im 19. Jahrhundert, sollen in kreisenden Scheiben herumwirbeln, in Autodromen aneinander krachen, sich in die Höhe schießen lassen und kopfüber von Achterbahnen hängen. Aber wer soll sich heute noch ein Rundgemälde anschauen? Ich empfehle der Projektentwicklung einen Besuch im Ars Electronica-Center in Linz. Dort erzeugen im Deep Space eine 16 mal neun Meter große flache Leinwand und eine Reihe von Projektoren erstaunliche dreidimensionale Bilder. Oder man geht ein paar Schritte weiter ins Future Lab und setze sich eine VR-Brille auf. Unglaublich, was man da sieht und erlebt.

Wurstelprater
Das Schweinchen als Bankomat ist wenigstens nicht betoniert.
Foto: Sabine Pollak

Aber ein Betonzylinder? Was wird man da sehen können? Einen Rundum-Helnwein auf 360 Grad? Ein Konzert von Gabalier mit hunderttausenden gemalten Besuchenden? Den Wurstelprater, wie es ihn nicht mehr lange geben wird? Es ist nicht nachvollziehbar, was die Strategie dahinter ist. Vermutlich war eine sehr kluge Projektentwicklung am Werk, die Inhalte, Werbestrategie und Realisierung in einem anbietet. Da kann ja praktisch nichts schiefgehen. Sehr hübsch ist auch das Rendering auf der Webseite des Panoramas anzusehen. Da sieht man nämlich nur Bäume, eine altmodisch anmutende Laterne und einen Eingang in der Betonwand im Hintergrund. Ich fordere zukünftig für alle Bauten im Areal des Wurstelpraters einen Wettbewerb. Meinetwegen einen Wurstelwettbewerb, einen Wettbewerb, wer die beste Posse zur Stadtplanung liefert oder einen Wettbewerb, wie das dümmste, hässlichste und jeglichem Nachhaltigkeitsdenken entgegenwirkende Gebäude im Prater aussehen könnte. Obwohl das gibt's ja schon. Das betonierte Panorama-Gebäude ist keine Posse mehr, das wäre ein viel zu liebevoller Ausdruck. Es ist eine Katastrophe. (Sabine Pollak, 27.7.2023)