Eisenkette
Ketten von befristeten Verträgen sind an den Universitäten seit langem üblich. Seit 2021 greift eine umstrittene gesetzliche Neuregelung.
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Die Zeit rennt davon. Diesen banalen Satz können wohl alle unterschreiben, im akademischen Betrieb hat er allerdings eine besondere Bedeutung. Denn vier von fünf wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Unis sind hierzulande nur zeitlich befristet angestellt – im Vergleich zum sonstigen österreichischen Arbeitsmarkt herrscht damit zahlenmäßig eine verkehrte Welt. Manche Politiker würden vielleicht formulieren: Die Beschäftigungsverhältnisse an den Unis sind abnormal.

Sie entspringen gleichwohl einer politisch geschaffenen Norm, und die ist im Universitätsgesetz (UG) verankert. Paragraf 109 erlaubt den Unis, was anderen Arbeitgebern durch das allgemeine Arbeitsrecht verboten ist: eine mehrmalige Aneinanderreihung befristeter Dienstverhältnisse zu einer Kette. Früher war es sogar möglich, mehrere dieser Befristungsketten – unterbrochen durch kurze Pausen – zu verknüpfen somit ein ganzes Arbeitsleben ohne fixen Vertrag an einer Uni zu verbringen.

Hoffnung versus Erwartung

Die Unis als Arbeitgeber nutzen diese Option weidlich aus, das wollte die türkis-grüne Koalition mit der UG-Novelle 2021 unterbinden. Von der Grundidee war das auch im Sinne der Gewerkschaft, der die permanente Unsicherheit gleichsam ewiger Befristungen ein Dorn im Auge war. Gemäß der neuen Regelung muss sich eine Uni nach einer Beschäftigungsdauer von insgesamt acht Jahren entscheiden, ob sie eine Forscherin unbefristet anstellt oder ihr auf Nimmerwiedersehen sagt – die Zeit bis zu einer unweigerlichen Entscheidung rennt nun also für beide Seiten. Für manche Betroffene ist es aufgrund der eigentümlichen Konstruktion des Paragrafen, wonach teils auch Beschäftigungsjahre vor Inkrafttreten der Novelle rückwirkend in die Achtjahresfrist eingerechnet werden, schon in naher Zukunft so weit.

Die Gretchenfrage ist, wie die Unis mit dieser Zeitvorgabe umgehen. Werden sie Wissenschafter, die sich über acht Jahre bewährt haben, wirklich fix anstellen, um deren Fähigkeiten zu halten? Oder werden die Betroffenen doch gehen müssen, weil sich die Unis lieber als Ersatz jemanden Neuen holen, den man wiederum befristet engagieren kann? Hört man sich im Uni-Mittelbau um, dann richtet sich die Hoffnung zwar auf die erste Antwort, die meisten erwarten jedoch, dass die zweite in der Realität dominieren wird. IHS-Hochschulexperte Martin Unger hält eine breite Entfristungswelle als Folge der UG-Novelle ebenfalls für unwahrscheinlich: "Die meisten Rektorate agieren in ihrer Personalpolitik extrem vorsichtig und wollen so flexibel wie möglich sein."

Uni blockiert, wohin sonst?

Die Erfahrungen in Deutschland, das längst eine ähnliche Regelung hat, deuten auch nicht auf stabilere Perspektiven hin. Unger macht zudem auf einen Unterschied aufmerksam, der hierzulande für gravierendere Folgen sorgen könnte als im großen Nachbarland: "Wir haben in Österreich viele Fachgebiete, die überhaupt nur an einer Uni beforscht werden, zum Beispiel an der Boku oder der Vetmed. Wenn die acht Jahre dort ausgelaufen sind, kann man also nicht einfach innerhalb Österreichs an eine andere Uni wechseln."

Grafik Befristungen
Während unbefristete Verträge in der österreichischen Arbeitswelt immer noch die Regel sind, bilden sie beim wissenschaftlichen Personal zahlenmäßig die Ausnahme.
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Individuell enttäuschend mag ein Uni-Karriereende zwar immer sein, die Tragweite der Konsequenzen hängt aber maßgeblich vom jeweiligen Fach ab. Mit dem Doktorat einer technischen Disziplin lässt sich auch in der Privatwirtschaft ein geeigneter – meist sogar besser bezahlter – Job finden, während es trotz exzellenter Leistungen mit einem geisteswissenschaftlichen Hintergrund abseits des akademischen Betriebs schwierig sein kann. In Härtefällen drohen dann tatsächlich existenzgefährdende Situationen, wenn man mit Ende 30 im akademischen System blockiert ist und die eigene Forschungsnische wenig Anwendungsbezug in anderen Jobs bietet. Es wundert daher nicht, dass Initiativen gegen das hochschulische Befristungsregime an philosophischen und historischen Instituten mehr aktivistischen Zulauf haben als an der Montanuni Leoben.

Auf lange Sicht geringe Chancen

Allerdings könnte der um sich greifende Arbeitskräftemangel dafür sorgen, dass der Wunsch auf einen akademischen Karrierepfad unter den herrschenden Bedingungen ohnehin unpopulärer wird. "Die Arbeitgeber anderer Branchen müssen attraktive Jobs anbieten, um an qualifizierte Mitarbeiter zu kommen. Zugleich ist in der Wissenschaft die Bezahlung überschaubar und die Chancen auf eine Festanstellung gering. Da werden sich Menschen fragen, ob sie sich darauf überhaupt einlassen wollen", sagt der Statistiker Andreas Baierl vom Institut für Familienforschung.

Baierl hat in einer Studie akademische Karriereverläufe untersucht und dabei mit Daten untermauert, wie gering hierzulande die Chancen von Forschern auf einen langfristigen Verbleib im Uni-System sind: Von sämtlichen 3.931 Wissenschaftern, die im Jahr 2009 von einer österreichischen Universität neu beschäftigt wurden, war ein Jahrzehnt später nicht einmal jeder Vierte noch an einer heimischen Uni tätig. Und von dieser Minderheit hatte wiederum weniger als die Hälfte – insgesamt 409 Personen – am Ende der Betrachtungsperiode 2019 einen unbefristeten Vertrag.

Grafik Baierl-Studie
Eine Datenanalyse des Statistikers Andreas Baierl zeigt, wie wissenschaftliche Karrieren an österreichischen Unis über die Zeit verlaufen. Darstellung hier leicht vereinfacht.
STANDARD

Bestimmender Faktor Drittmittel

Österreich hat zwar eine besonders hohe akademische Befristungsquote, grundsätzlich zeigt sich das Phänomen mit zunehmender Intensität aber in allen hochentwickelten europäischen Wissenschaftssystemen. Das liegt auch an der steigenden Drittmittelabhängigkeit von Forschung, zumal die externen Förderungen nur für die begrenzte Dauer der vorab definierten Projekte fließen. Die Unis heften sich die Erfolge ihrer Mitarbeiterinnen bei der Einwerbung von renommierten Projektgeldern zwar gerne auf die Fahnen, doch sind sie nach Auslaufen eines Projekts nur selten bereit, die federführenden Wissenschafterinnen aus eigenem Budget weiter zu beschäftigen. Sobald die Drittmittel aufgebraucht sind, endet typischerweise auch der Dienstvertrag.

"Wir brauchen ein Modell, bei dem das Risiko von den Unis nicht nur auf die Beschäftigten abgewälzt wird", fordert die Politikwissenschafterin Julia Partheymüller vom Netzwerk Unterbau Wissenschaft. Immerhin sei die Bewilligung von Drittmittelprojekten immer auch vom Zufall abhängig, mögen die Anträge auch noch so gut sein: "Es wäre fair, wenn die Unis für ihre bewährten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Vergangenheit immer wieder Projekte an Land gezogen haben, während einer Durststrecke mit einer Zwischenfinanzierung einspringen."

Einen kleinen Schritt in diese Richtung hat kürzlich die Uni Wien gesetzt. Um die rückwirkenden Effekte der neuen Kettenvertragsregel abzufedern, hat das Rektorat im Juni die Schaffung von 40 unbefristeten "Senior Scientist"-Stellen angekündigt. Ziel ist es, ein neues Drittmittelprojekt auch dann an der Uni Wien ansiedeln zu können, wenn die Dauer eines Projekts für die Überschreitung der Achtjahresgrenze beim zuständigen Forscher sorgt. Diese Sondermaßnahme sei quantitativ zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zeuge aber vom erwachenden Problembewusstsein der Verantwortlichen, meint Partheymüller.

Problem erkannt, nicht gebannt

Ein besonderes Problem, das die neue Kettenvertragsregel erzeugt, wird hingegen seit mittlerweile zwei Jahren hin- und hergeschoben: Sie schreckt davon ab, während des Doktoratsstudiums Erfahrungen in der Lehre zu sammeln. Denn ein Lehrauftrag während des Doktorats wird voll in die Kettendauer eingerechnet, obwohl die Praedoc-Phase an sich von der Achtjahresfrist ausgenommen ist. Wer schon im Doktorat lehrt, hat in der Postdoc-Phase also entsprechend weniger Zeit bis zur Entscheidung über seine Uni-Zukunft übrig. Eigentlich ambitionierte Praedocs verzichten daher auf das Abhalten von Seminaren, weil ihnen diese Jahre in späteren Qualifikationsphasen fehlen könnten."Das ist ein kontraproduktiver Anreiz, denn das Doktorat soll ja auf die akademische Karriere vorbereiten, und da gehört die Lehre dazu. Es ist wichtig, das auch schon in Frühphasen der wissenschaftlichen Ausbildung zu erproben", sagt Hochschulexperte Unger.

Balken Kettenvertragsregelung
Sozialwissenschafter der Uni Wien haben vor einem halben Jahr in Kooperation mit der Initiative "Unterbau Uni Wien" 1.100 Mitglieder des wissenschaftlichen Mittelbaus zu ihrer persönlichen Wahrnehmung über die Folgen der UG-Novelle befragt.
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Heinz Engl, der damalige Rektor der Uni Wien, hat mit ähnlicher Argumentation bereits Ende 2021 von der Politik eine rasche gesetzliche Überarbeitung des neuen 109ers angeregt, um Probleme in der Abdeckung der Lehre zu verhindern. Passiert ist das bisher nicht, wobei das Wissenschaftsministerium den Fehler gar nicht im Paragrafen, sondern in dessen Handhabung erblickt: Das Problem sei vom Gesetzgeber nicht intendiert und könne "durch die Vertragsgestaltung der Universitäten vermieden werden", erklärt das Ministerium auf STANDARD-Anfrage. Man stehe mit dem Dachverband der Unis diesbezüglich im Austausch.

Insgesamt zieht das ÖVP-geführte Ressort nach zwei Jahren Beobachtung eine gemischte Bilanz: Die neue Kettenvertragsregelung "bewährt sich insgesamt gesehen durchaus", heißt es. Nachsatz: "Die Problemfälle zeigen aber auch, dass in der konkreten Umsetzung Verbesserungsmöglichkeiten bestehen." (Theo Anders, 2.8.2023)