Normal
Hat die Debatte um "Normalität" ausgelöst: Die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner (ÖVP).
APA/HANS KLAUS TECHT

Fährt ein Mann mit seinem Auto zu einer Tankstelle. Der Mann steigt aus, öffnet sein Hosentürl und fängt an, vor der Zapfsäule zu onanieren. Der Tankwart rennt halb entgeistert, halb empört zu dem Onanisten und stellt ihn zur Rede: "Sagen Sie, finden Sie das normal?" Meint der andere: "Na, i find des super."

Mit diesem immergrünen Scherzchen schaltet sich der Krisenkolumnist in die große Normalitätsdebatte ein, die Österreich derzeit in Atem hält und weiter in Atem halten wird, wenn man um die Schwerkraft heimischer Kommunikationsverhältnisse Bescheid weiß. Das kann etwas werden, wenn sich die ganze Nation auf die Suche nach der Scheidelinie zwischen normal und deppert macht! Vermutlich kriegen wir dann Talkshows im TV, bei denen Expertenrunden darüber debattieren, wer vom Bundespräsidenten über Kanzler, Ministerinnen und Minister sowie über die Landeshauptleute abwärts ordnungsgemäß tickt oder einen an der Waffel hat.

Tadellos normal

Eine konsensuale Normalitätsfeststellung ist auf diesem Weg allerdings kaum zu erwarten. Dafür sind nämlich die Parteiloyalitäten zu stark. Ein, sagen wir, ÖVPler wird einem x-beliebigen ÖVP-Bürgermeister praktisch immer attestieren, tadellos normal zu sein, selbst wenn es sich bei diesem um einen offenkundig pathologischen Gierschlund handelt (ähnliche Vorkommnisse in anderen Parteien nicht zwangsläufig auszuschließen). So kommen wir also auf keinen grünen Zweig.

Eine gute Möglichkeit, die Problematik zu lösen, gäbe es aber. Man müsste nur, ähnlich wie die Psychoanalyse, davon ausgehen, dass generell keine Normalos existieren, sondern lediglich mehr oder minder Gestörte. Eine sehr plausible Hypothese, deren Gültigkeit Sie mühelos mittels eines zweistündigen Aufenthalts in einem "sozialen Medium" Ihrer Wahl überprüfen können.

Die Annahme, dass ausnahmslos jeder Homo sapiens mit einem Dachschaden versehen ist, ja selbst Parteigänger der ÖVP, hätte erfreuliche Folgen. So hieße die korrekte Antwort auf die häufig gestellte Frage "Bist du deppert?" in jedem Fall "Selbstverständlich!", das heißt, der oder die Befragte wäre der Bürde des Nachdenkens enthoben. Noch besser: Auf diesem Weg wäre das Land schlagartig von einer Normalitätsdebatte befreit, die man kaum anders als "vertrottelt" bezeichnen kann. (Christoph Winder, 29.7.2023)