Impulstanz /Monkey off …
Trajal Harrell legt in Wien ein Glanzstück hin.
Orpheas Emirzas

Auftritt der berühmt-berüchtigten Vogue-Chefin Anna Wintour. Unter einer schwarzen Pelzweste und hinter einem vor ihre Hüften geklammerten roten Rock trägt sie den Körper des Choreografen Trajal Harrell. Man könnte meinen, es wäre Harrell, der am Beginn seines Stücks Monkey Off My Back or the Cat’s Meow als Wintour auftritt. Hier sei verraten: Richtig gemeint.

Er ist es, der sich die Moderegentin überzieht, und diese kurze Einleitungsszene ist eine milde Spitze in Richtung "Nuclear Wintour", auf die schon 2006 der Film The Devil Wears Prada mit Meryl Streep in der Hauptrolle angespielt hat. Bei Monkey off My Back …, präsentiert von Impulstanz in der großen Halle E des Museumsquartiers, folgt Wintour einer Einladung des Choreografen, in seinem Stück zu tanzen.

Passt, denn Catwalk-Moves, Models und Mode gehören zu seiner vom Voguing-Tanz angeregten künstlerischen Grundausstattung. In Trajal Harrells Arbeiten wird einiges umgedreht: etwa die Laufstegbewegung in Tanz oder die Gewichtung im Verhältnis zwischen Kleidung und Model.

Kritik mit feiner Klinge

Die meisten Modelabels lassen bei ihren Shows, wie es oft scheint, bloß ihre Kreationen von Lebendfleisch-Ausstopfmaterial zu Markte tragen. Bei Harrell dagegen ist es andersherum richtig: Seine Performer stehen im Zentrum von Reflexionen über die kommerzüberschreitende Bedeutung der Mode. Das ist Kritik mit feiner Klinge.

Um es ganz direkt zu sagen: Monkey off My Back … gehört zu den herausragenden Arbeiten des aktuellen Festivals und zu den gelungensten in Harrells bisherigem Œuvre. Hier erreicht das Werk des Choreografen ein neues Level. Nicht nur, weil das Stück dramaturgisch perfekt gesetzt ist, sondern auch, weil das sechzehnköpfige, tanz- und schauspielaffine Ensemble des Zürcher Schauspielhauses seinen ästhetischen Gehalt voll durchträgt.

Weil die Kompanie und ihr Leiter Trajal Harrell offenbar ideal zusammenarbeiten, wird jede "Walking Cat" individuell zum Charakter, gelingt die Ausweitung der Laufstegchoreografie zu Tanzszenen. Im Sturmgebläse eines Ventilators gerät die Lesung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zum warnenden Fanal, und die Musik zwischen Joan Armatrading, Nina Simone und Steve Reich ist ein Gedicht. (Helmut Ploebst, 28.7.2023))