In der politischen, medialen und gesellschaftlichen Debatte zeigt sich im Umgang mit Katastrophenszenarien eine merkwürdige Tendenz: Man scheut sich, sie anzusprechen; oder man warnt gar davor, damit zu argumentieren. Denn Katastrophen machen angeblich lethargisch und fatalistisch. Wer in einer steckt, so der Gedanke, dem wird alles egal, weil er ohnehin nichts mehr ausrichten kann – und er lässt die Dinge einfach geschehen.

In diesem Sinn meldet sich in der Klimadebatte eine wichtige Stimme zu Wort. Der neue Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, Jim Skea, Professor am britischen Imperial College, warnt vor Untergangsszenarien. Denn sie würden die Menschen nur "lähmen".

Jim Skea
Warnte zuletzt vor Untergangsszenarien: der neue Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, Jim Skea.
AFP/FABRICE COFFRINI

Skea schlägt damit in eine ähnliche Kerbe wie Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer im vergangenen März. Da wetterte der Kanzler in einer Rede gegen "Untergangsirrsinn". Nehammer zitierte aus dem Buch eines US-Aktivisten namens Thomas Shellenberger, der meint, dass uns "Umweltalarmismus" von Innovationen im Kampf gegen die Klimakrise abbringen würde.

Es wäre falsch, Skea und Shellenberger in einen Topf zu werfen, nur weil sie in einer Frage derselben Meinung sind. Shellenberger ist ein wissenschaftlicher Außenseiter, der es zu seinem Geschäftsmodell gemacht hat, vor staatlichen Eingriffen zu warnen und stattdessen Innovationen zu beschwören – so als wäre das ein Gegensatz. Skea hingegen ist ein weithin renommierter Forscher. Dennoch, in der Frage von Alarmismus versus Einsatzbereitschaft sitzen beide demselben Irrglauben auf. Der lautet: Du sollst den Menschen keinen reinen Wein einschenken, um sie nicht vom Tun abzuhalten.

Wahrheit zumutbar

Das Gegenteil ist der Fall: Man muss den Menschen die Wahrheit zumuten. Dazu gehören auch Katastrophenszenarien. Binnen weniger Jahrzehnte ist die globale oberflächennahe Durchschnittstemperatur mit einer Erwärmung von rund 1,1 Grad seit dem vorindustriellen Zeitalter auf den Höchstwert im Holozän gesprungen – in den rund 12.000 Jahren seit Ende der letzten Eiszeit. Seit Christi Geburt sind die Temperaturen unter natürlichen Bedingungen gerade einmal wenige Zehntelgrad geschwankt (wie sich anhand von Eisbohrkernen nachweisen lässt). Heute hingegen geht es aufgrund der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas im Rekordtempo in nie gekannte Höhen.

Und es geht weiter. Im Worst-Case-Szenario des IPCC, in dem wenig bis gar nichts gegen die Klimakrise geschieht, droht bis 2100 eine Erhitzung von 4,8 Grad. Man muss ehrlich sein: Dies käme einem Untergang gleich. Jedenfalls wäre es ein starker Eingriff in die biophysikalischen Grundlagen des Lebens, von dem keiner weiß, wie er sich auswirken würde. Würde die Menschheit aussterben? Das wohl nicht. Würde es zu katastrophalen Verwerfungen kommen in dem, was wir als unsere Zivilisationen begreifen? Das sehr wahrscheinlich schon.

Es zu verschweigen, um keine Hoffnungslosigkeit zu schüren, ist der falsche Weg. Genauso falsch ist es, Katastrophenszenarien und Handlungsbereitschaft gegeneinander auszuspielen. Man kann das Argument nämlich auch umdrehen: Vielleicht werden Menschen gerade deshalb aktiv, weil ihnen bewusst wird, dass die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung darstellt. (Joseph Gepp, 30.7.2023)