Bargeld ist in Österreich ein Reizthema, speziell im Sommerloch erreicht man damit weite Teile der Bevölkerung. Dessen ist sich wohl auch Kanzler Karl Nehammer bewusst und will mit seiner entbehrlichen Forderung nach Bargeld im Verfassungsrang die mediale Leere füllen. Die Aufmerksamkeit hat der ÖVP-Chef auf seiner Seite, inhaltlich geht der Vorstoß allerdings ins Leere – und ist mehr von parteipolitischen Überlegungen getrieben als von ehrlichen Sorgen um das Wohlergehen der Bevölkerung.

Ein fünfjähriger Junge vor einem Stapel Geldmünzen.
Ob dieser Fünfjährige im hohen Alter noch mit Münzen und Banknoten bezahlen wird, sei dahingestellt. Derzeit rüttelt aber keine offizielle Institution am Bargeld, weshalb der Vorstoß des Kanzlers entbehrlich ist – und offenbar nur parteipolitische Ziele verfolgt.
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Wohl geht hierzulande die diffuse Befürchtung um, dass es Münzen und Scheinen im Zeitalter des elektronischem Bezahlens bald an den Kragen gehen könnte. Wirklich belastbar sind diese Sorgen aber nicht: Sowohl die Oesterreichische Nationalbank als auch die Europäische Zentralbank (EZB) haben sich mehrfach für den Erhalt des Bargelds ausgesprochen. Obwohl viele Menschen in Brüssel Gegner des Bargelds vermuten, hat die EU-Kommission im Juni ein Gesetzespaket für das Bezahlen mit Münzen und Geldscheinen präsentiert: Damit will sie eine Grundversorgung und Mindestakzeptanz von Bargeld in der Union sicherstellen – also im Grunde das, was der Kanzler nun in Österreich in Verfassungsrang heben will.

EU-Institutionen für Bargeld

Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die Nationalstaaten bei Nichterfüllung der Mindeststandard in der gelebten Praxis konkrete Maßnahmen zur Sicherung des Bargelds einführen. Das könnte der Kanzler auch jetzt schon mit konkreten Gesetzen garantieren, um die Sorgen der Bevölkerung zu zerstreuen. Schwammige Bekenntnisse zum Erhalt von Bargeld in Verfassungsrang heben zu wollen dient eher dem Gegenteil – schürt also unterbewusst die Befürchtung, dass es tatsächlich einen Krieg gegen Bargeld gebe.

Davon kann derzeit keine Rede sein, obwohl es natürliche Feinde von Barem gibt, nämlich Internetkonzerne und Zahlungsabwickler wie die großen Kartenunternehmen. Sie gehen nicht nur bei jeder anonymen Barzahlung leer aus, sondern erhalten auch keine Daten über Zahlungsströme. Das Wissen darüber, wofür Menschen tatsächlich Geld ausgeben, ist für Big Data viel kostbarer als irgendein in sozialen Medien gesetztes Like. Die Institutionen in der EU haben sie aber nicht auf ihrer Seite, vielmehr wollen die Kommission und die EZB mit dem digitalen Euro diesen Konzernen das Feld des elektronischen Bezahlens nicht konkurrenzlos überlassen.

Sollte die EU die Bargeldobergrenze von 10.000 Euro verfolgen, kann sich die Kanzlerpartei auf EU-Ebene dagegen stemmen. Sollte es doch dazu kommen, müsste es Österreich auch umsetzen – daran würde ein schwammiges Bargeldbekenntnis in der österreichischen Verfassung nichts ändern. Welchen Nutzen soll Bargeld in Verfassungsrang also bringen? Nüchtern betrachtet: keinen.

Fischen in blauen Gewässern

Nehammers Vorstoß sollte man vielmehr unter dem Licht betrachten, dass der Kanzlerpartei bei den nächsten Wahlen die Felle davonzuschwimmen drohen. Entsprechend hat er seine Rhetorik gegenüber der FPÖ zuletzt einerseits deutlich verschärft und wirft nun andererseits einen weiteren Köder in blauen Gewässern aus – schließlich haben sich die Freiheitlichen das Thema Bargeld an die Fahnen geheftet. Unter diesem Blickwinkel darf auch die in Niederösterreich losgetretene "Normal"-Debatte oder die Anbiederung des Kanzlers an freiheitliche Positionen im Klimaschutz eingeordnet werden.

Statt eine unnötige Scheindebatte über das Bargeld anzuzetteln, sollte sich der Kanzler auch in der sommerlichen Saure-Gurken-Zeit um die tatsächlichen wirtschaftlichen Probleme des Landes kümmern: etwa die immer noch zu hohe Inflation, die die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gefährdet. Aber für den Kanzler haben Nebelgranaten wie die Bargelddebatte offenbar Vorrang. (Alexander Hahn, 4.8.2023)