Ein Tunnel mit Röhren an den Wänden, in denen Laser verlaufen.
Ein Verstärkermodul für die Laser, mit denen der Fusionsbrennstoff bestrahlt wurde.
via REUTERS/Lawrence Livermore N

Seit Jahrzehnten beschäftigt die Fusionsforschung vor allem eine Frage: Gibt es Technologien, um Wasserstoffatome so zum Verschmelzen zu bringen, dass sie dabei mehr Energie freisetzen, als aufgewendet werden muss? Dass es möglich ist, zeigt die Sonne. Dort verschmelzen laufend riesige Mengen Wasserstoff und versorgen alles Leben auf der Erde mit Energie.

Video: Forschern gelingt erneut Kernfusion - mit noch größerer Ausbeute.
AFP

Die aus dem von der Sonne eingestrahlten Licht inklusive des davon befeuerten globalen Wasserkreislaufs gewonnene Energie reicht bekanntermaßen nach wie vor nicht aus, um den menschlichen Energiehunger zu stillen. Es gibt weiterhin Bedarf an Energiequellen, die unabhängig von natürlichen Schwankungen funktionieren und im besten Fall nach Bedarf ein- und ausgeschaltet werden können. Diese Rolle übernehmen derzeit Kernkraftwerke und fossil betriebene Kraftwerke, beide mit unterschiedlichen Problemen behaftet.

Kernfusion, wie sie auf der Sonne stattfindet, auf der Erde zu bewerkstelligen würde nie dagewesene Vorteile mit sich bringen. Der Brennstoff wäre gut verfügbar oder könnte, so der Plan, im laufenden Betrieb nachproduziert werden. Und die Technologie wäre um ein Vielfaches sauberer als fossile Energie oder Kernkraft. Im Labor ist eine solche Fusion seit langem möglich, seit den 1950er-Jahren wird auch intensiv erforscht, wie sich damit Energie gewinnen ließe. Doch neben stetigen Fortschritten tauchten auch immer neue Schwierigkeiten auf. Ein bekannter Witz bringt die Situation so auf den Punkt: Laut Prognosen ist die Fusion als Technologie in 30 Jahren praxistauglich, und das seit vielen Jahrzehnten.

Durchbruch vom Dezember

Deshalb war im Dezember letzten Jahres die Begeisterung groß, als das Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien berichtete, in einer Einrichtung namens National Ignition Facility erstmals den lange ersehnten Meilenstein geschafft zu haben. Mithilfe des größten Lasers der Geschichte war eine winzige Menge an Fusionsgas, gefangen in einem "Pellet" von der Größe eines Reiskorns, so stark erhitzt worden, dass die Atome darin fusionierten und mehr Energie freisetzten, als eingestrahlt worden war.

Der Zugang ist als "Trägheitsfusion" bekannt. Eine winzige Menge eines Gasgemischs aus den Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium wird dabei für kurze Zeit so stark bestrahlt, dass es extrem komprimiert und auf 60 Millionen Grad Celsius aufgeheizt wird. Deuterium und Tritium sind schwerere und seltenere Verwandte des Wasserstoffs und haben Vorteile für Fusionsreaktoren. Die Atome werden durch das Aufheizen so schnell, dass sie im Fall einer Kollision verschmelzen. Geschieht das, wird die nur bei sehr kurzen Distanzen wirksame Starke Kernkraft aktiv und bindet die Kerne aneinander, wobei Helium entsteht und Energie freigesetzt wird. Ähnlich einem Stein, der zum Grund einer Grube rollt und sich dabei erwärmt, fällt also Energie an.

Ein Zylinder, auf den unzählige Strahlen gerichtet sind.
Eine künstlerische Darstellung des Hohlraums mit dem "Pellet" aus Fusionstreibstoff, auf das die Laser des Lawrence Livermore National Laboratory fokussiert werden.
via REUTERS

Dieses Experiment hat das Labor am 30. Juli wiederholt und dabei weitere Fortschritte in der Energieausbeute erzielt, wie ein Sprecher des Labors nun bekanntgab. Laut "Financial Times" ließ sich die letztes Jahr erreichte Energiemenge von 3,15 Megajoule auf über 3,5 Megajoule steigern, wobei der genaue Wert noch bestimmt werden muss.

Die erreichten Energiemengen sind also recht gering, im Fall vom Juli sind es umgerechnet etwa 1.000 Wattstunden. Zum Vergleich: Gängige Bügeleisen haben über 2.000 Watt Leistung und lassen sich damit etwa eine halbe Stunde betreiben. Außerdem wurden etwa zwei Megajoule Energie aufgewendet, um diese Menge zu gewinnen. Sie müssen noch abgezogen werden. Eindrucksvoller klingt diese Ausbeute, wenn man die geringe Menge an Wasserstoffgas betrachtet und die Tatsache, dass es nur einen Sekundenbruchteil dauerte, die Energie freizusetzen.

Der Ablauf der im US-Labor realisierten Fusionsreaktion.

Bislang keine kraftwerkstaugliche Technologie

Für die Praxis hat auch dieses Ergebnis, wie jenes vom Dezember, bis auf weiteres wenig Relevanz. Die Technologie ist nicht für einen laufenden Betrieb geeignet, im Gegensatz zu den magnetbetriebenen Vakuumkammern der Tokamak-Reaktoren, zu denen der internationale Forschungsreaktor Iter gehört, an dem im südfranzösischen Cadarache gebaut wird. Iter folgt einem völlig anderen Konzept: Dabei wird eine mehrere Stockwerke hohe, wie ein Ring geformte Vakuumkammer mit starken Magnetfeldern umgeben, um darin ein Deuterium-Tritium-Gemisch zu erhitzen, bis die Fusionsreaktion zündet. Dieser Zugang ist in ein Gesamtkonzept eingebettet – mit mehreren Folgereaktoren, deren Bau allerdings noch in den Sternen steht. Am Ende dieser Entwicklung soll ein funktionierendes Kraftwerk stehen, das ans Netz gehen kann.

Ob sich für die Trägheitsfusion ebenfalls ein solcher Fahrplan entwickeln lässt, ist weiterhin unklar. Ein Kraftwerk müsste mehrere Fusionsreaktionen pro Sekunde durchführen, um relevante Energiemengen zu produzieren. Neben der Reproduzierbarkeit des Vorgangs ist außerdem die Frage nach der Produktion des Treibstoffs Tritium ungeklärt. Auch dieser Aspekt ist beim Tokamak-Reaktor bereits mitberücksichtigt, Tritium ließe sich durch die geeignete Wahl des Wandmaterials im laufenden Betrieb produzieren.

Bei Iter kämpft man allerdings mit Problemen. Erst kürzlich wurden neue Verzögerungen des Zeitplans öffentlich. 2025 hätte im Iter-Reaktor zum ersten Mal ein Plasma erzeugt werden sollen. Doch der Termin ist laut Informationen einer internen Iter-Besprechung, die nach einem Urteil eines US-Gerichts freigegeben wurden, nicht zu halten – es könnte nun drei Jahre länger dauern. Selbst wenn dieser Schritt gelingt, sollen noch einmal zehn Jahre vergehen, bevor der eigentliche Fusionstreibstoff aus Deuterium und Tritium zum Einsatz kommt. Es handelt sich hierbei übrigens nicht um ein Wettrennen zwischen dem europäischen Iter und dem US-Labor, bei dem Letzteres den Sieg davontrug: Die USA sind an Iter beteiligt, das Projekt entstand einst aus einer Vereinbarung zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow zur Entwicklung einer gemeinsamen, friedlichen Kernkrafttechnologie.

Ganz anders sieht der Zugang am Lawrence Livermore National Laboratory aus. Letzten Dezember betonte man in der Pressekonferenz zum erfolgreichen Experiment dessen Bedeutung für die Kernwaffenforschung. Der Administrator für Verteidigungsprogramme in der nationalen Nuklearsicherheitsabteilung des Energieministeriums, Marvin Adams, sagte, dies – und nicht eine mögliche Energiegewinnung – sei das vorrangige Ziel der Forschung. Die Möglichkeit, Fusionsplasma im Labor zu erzeugen, ersetze Atomtests. (Reinhard Kleindl, 8.8.2023)