Im Gastblog analysieren Aggelos Soteropoulos, Florian Pühringer und Robert Kalasek Daten von insgesamt 13 Nightjet-Verbindungen und zeigen, wie wahrscheinlich Wagenausfälle und "Downgrades" tatsächlich sind.

Nachtzüge haben in den letzten Jahren in Europa eine Renaissance erfahren. Stellvertretend für diese Entwicklung steht auch die ÖBB, die ihre Nightjet-Verbindungen seit 2016 immer weiter ausbaut. Mittlerweile gibt es wieder Nachtzug-Verbindungen von Österreich in mehrere Länder Europas, etwa in die österreichischen Nachbarländer Schweiz, Deutschland oder Italien, aber auch in die Niederlande sowie nach Frankreich, Belgien und Polen. Insgesamt stehen, ausgehend von österreichischen Startpunkten, derzeit 13 Nightjet-Verbindungen zu europäischen Zielen zur Verfügung. Hinzu kommen Verbindungen mit Ausgangspunkt Zürich jeweils nach Berlin, Hamburg und Amsterdam. Angeboten werden drei unterschiedliche Komfortkategorien: Betten im Schlafwagen, Liegen im Liegewagen und Sitzplätze im Abteilwagen. Großraumwagen werden in Nightjets planmäßig nicht angeboten.

Nachtzüge bieten vor allem im Vergleich zu Flugreisen eine nachhaltige Alternative und punkten darüber hinaus im Allgemeinen in den Dimensionen Komfort und Zuverlässigkeit. Gerade deshalb werden sie nicht nur jetzt in der Urlaubssaison auch vermehrt genutzt. Insgesamt gelten Bahnverbindungen über Nacht als ein wichtiger Baustein zur Bewältigung der Mobilitätswende im Kontext der Klimakrise.

Karte mit Zugverbindungen
Die Karte zeigt die derzeitigen Nightjet-Verbindungen der ÖBB von beziehungsweise nach Österreich sowie im europäischen Ausland (in der Karte mit ausgegrauter Bezeichnung).
Eigene Bearbeitung auf Basis Datenquelle: ÖBB-Infrastruktur AG

In den letzten Monaten kam es aber auch zu unterschiedlichen Störungen. Speziell auf Social Media sowie in einigen Artikeln gab es Berichte über verspätete Ankünfte von Nightjets und insbesondere über Wagenausfälle. Auch der Leiter des ÖBB-Fernverkehrs, Kurt Bauer, hat dazu bereits in einem Medienartikel Stellung bezogen. Insbesondere aus Sicht von Reisenden, die einen reservierten Platz in einem Schlaf- oder Liegewagen eines Nightjets gebucht hatten und erst am Bahnsteig erfuhren, dass sie in einen Sitzwagen übersiedeln müssen oder überhaupt nicht mitfahren können, sind solche Ausfälle ärgerlich. Derartige Meldungen von "Downgrades" (also zum Beispiel von Schlafwagen auf Liegewagen oder von Liegewagen auf Abteilwagen) und Ausfällen waren in jüngster Zeit vermehrt zu beobachten – auch öffentlichkeitswirksam.

Das Team von Maps and Minds hat im Juni und Juli 2023 Daten zu den 13 Nightjet-Verbindungen ausgehend von Österreich, das heißt Wien, Graz und Innsbruck, gesammelt, analysiert und ausgewertet (näheres zur Methodik am Ende des Textes). Ein Blick auf die Karte mit den Nachtzugverbindungen zeigt, dass vor allem die Strecken mit Destination Bregenz und Ancona von den Problemen betroffen waren: In den Zügen nach Bregenz kam es bei annähernd jedem dritten eingesetzten Wagen, nach Ancona bei etwa jedem zehnten Wagen zu Downgrades oder sogar Wagenausfällen.

Eine Karte zeigt die analysierten Nightjet-Verbindungen sowie den Anteil der Downgrades und Wagenausfälle je Destination.
Die Karte zeigt die analysierten Nightjet-Verbindungen sowie den Anteil der von Downgrades und Ausfällen betroffenen Wagen je Destination.
Soteropoulos, Pühringer, Kalasek

Wirft man einen differenzierten Blick auf die Daten, so zeigt sich aber, dass insgesamt nur ein vergleichsweise geringer Teil des Angebots von Ausfällen oder Downgrades betroffen ist. Der größte Teil des verkauften Schlaf-, Liege- und Sitzwagenangebots wurde auch tatsächlich wie geplant umgesetzt. Allerdings sind unterschiedliche Ausprägungen von Downgrades und Ausfällen ersichtlich: Schlafwagen – hier lag der Anteil der nicht wie geplant eingesetzten Wagen bei nur fünf Prozent – fallen anteilig weniger oft aus als Liegewagen (acht Prozent) und Abteilwagen (13 Prozent). Auffallend ist der große Anteil an Downgrades bei Abteilwagen: So wurden etwa zehn Prozent der Abteilwagen durch die weniger beliebten und bei Nachtverbindungen nicht planmäßig angebotenen Großraumwagen ersetzt. Das ist besonders für jene Reisenden ärgerlich, die ein "Privatabteil" im Abteilwagen gebucht hatten und letztlich für die Reise einen Platz in einem Großraumwagen einnehmen müssen – der für Fahrten über Nacht deutlich unbequemer ist und bei dem auch meist die Beleuchtung nicht abgeschaltet werden darf.

Die Grafik zeigt den Vergleich zwischen geplantem Wagenmaterial und tatsächlich eingesetztem Wagenmaterial der Nightjet-Züge im Juni und Juli 2023.
Soteropoulos, Pühringer, Kalasek

Die verschiedenen Ausprägungen von Downgrades und Ausfällen betreffen die Destinationen jedoch unterschiedlich. Die meisten Downgrades von Schlaf- auf Liegewagen gab es nach La Spezia. Doppelte Downgrades – also von Schlaf- auf Sitzwagen – sind in den Daten kaum zu finden. Downgrades oder Ausfälle von Liegewagen treffen besonders die Destination Zürich. Ein Downgrade von Abteilwagen auf Großraumwagen war wiederum in den letzten beiden Monaten auf der Destination Bregenz schon beinahe Standard. Nach Venedig wurden keine Downgrades von Schlaf- und Liegewagen gefunden, allerdings Wagenausfälle. Die Verbindung nach Berlin ist vergleichsweise kaum von Abweichungen zum Soll-Angebot betroffen.

Die Abbildung zeigt für jede Destination und Typ von Downgrade/Ausfall den Anteil der betroffenen Wagen. Je intensiver die Farbe, desto höher der Anteil.
Soteropoulos, Pühringer, Kalasek

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die in den sozialen Medien vorzufindende Aufregung über die Nightjet-Zuverlässigkeit in den letzten Wochen ist nachvollziehbar, ein Blick auf die Daten relativiert aber die kolportierten Ausmaße des Problems. Trotzdem werden einige Nightjet-Reisende diesen Sommer wohl weiterhin nicht den gebuchten Wagen am Bahnsteig vorfinden. Um das Nightjet-Angebot auch zukünftig attraktiv zu gestalten, ist eine Stabilisierung des eingesetzten Wagenmaterials notwendig. Als Baustein der Mobilitätswende sollte die im Allgemeinen positive Resonanz der Nightjets nicht durch Wagenausfälle oder Downgrades geschmälert werden. Die ÖBB hat daher bereits vorgesorgt und neue Zuggarnituren für den Nightjet bestellt, die gerade in der Zulassungsphase sind. Bis dahin wäre es wünschenswert, wenn Ausfälle und Downgrades aktiv, zeitgerecht und transparent kommuniziert werden, um Reisende auf allfällige Überraschungen vorzubereiten oder ihnen Zeit für Umbuchungen zu geben. (Aggelos Soteropoulos, Florian Pühringer, Robert Kalasek, 11.8.2023)