Die Orientierung am Postulat "Leaving No One Behind" und an globaler Gerechtigkeit beschäftigt die Unesco mehr als ein einfaches Verbot, schreibt Martin Fritz, der Generalsekretär der Österreichischen Unesco-Kommission, in seinem Gastkommentar.

Der diesjährige Weltbildungsbericht der Unesco Technology in Education: A tool on whose terms? wurde seit seiner Veröffentlichung vor wenigen Wochen breit wahrgenommen. Schnell setzte sich dabei eine schlagzeilentaugliche Verkürzung auf ein angeblich von der Unesco gefordertes Handyverbot durch. Tatsächlich zitiert der Bericht Studien zur konzentrationsstörenden Auswirkung von Handys im Unterricht, doch sind diese eingebettet in eine umfangreiche Darstellung des global herausfordernden Spagats zwischen den inklusiven und innovativen Potenzialen von Bildungstechnologien und den damit verbundenen Unwägbarkeiten und Gefahren.

Vier Kinder zusammenstehend, jeweils mit Smartphones in den Händen
Nicht alle Kinder haben Zugang zu Technologie. Darauf muss der Bildungsbereich reagieren.
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Der Bericht analysiert weltweit erfasste Daten und Forschungsergebnisse zur Fragestellung, weist jedoch darauf hin, dass es wegen der Schnelllebigkeit des technologischen Wandels Wissenslücken zu den Auswirkungen von Technologie auf die Bildung gibt. In diesem Zusammenhang wird vor den Quellen mancher Studien gewarnt, da Tech-Unternehmen einen unverhältnismäßigen Einfluss haben und somit – wie es in der Zusammenfassung heißt – "viele der Beweise von jenen stammen, die versuchen sie zu verkaufen".

Außerdem wird vor Risiken in Bezug auf den Datenschutz hingewiesen: Nur 16 Prozent der UN-Mitgliedsstaaten garantieren den Datenschutz im Bildungsbereich ausdrücklich per Gesetz, und eine weitere Analyse ergab, dass 89 Prozent der 163 während der Pandemie empfohlenen Bildungstechnologieprodukte Kinder überwachen könnten. Es gilt also, die Art von Technologie, die zum Einsatz kommt, zu hinterfragen und entsprechende Regulierungen zu treffen.

Breiter Zugang

Eine andere Kernaussage erinnert an die grundsätzliche Doppelgesichtigkeit technischer Innovation in ungleichen Gesellschaften: "Technologie bietet Millionen von Menschen eine Bildungsmöglichkeit, schließt aber viele aus." So sind im weltweiten Maßstab nur 40 Prozent der Volksschulen an das Internet angeschlossen. Während der Covid-19-Pandemie verhinderte der Fernunterricht einerseits den Zusammenbruch der Bildungssysteme, erreichte jedoch 31 Prozent der Schülerinnen und Schüler weltweit, also eine halbe Milliarde, nicht.

Das Recht auf Bildung muss also zunehmend gleichbedeutend mit dem Recht auf sinnvolle Anschlussmöglichkeiten sein, um in Bezug auf "Accessibility" soziale Ungleichheiten zu verringern. In Bezug auf Zugang gilt es auch zu reflektieren, wer welche Bildungsinhalte produziert und wie sich das wiederum auf den Zugang zu Informationen auswirkt. Beispielsweise wurden bisher knapp 90 Prozent der Inhalte von Bildungsservern in Europa und Nordamerika produziert.

Regulierung notwendig

Der Bericht fordert hochwertige Bildung für alle und ortet Regulierungsbedarf: von der Datensicherheit und der Qualität eingesetzter Systeme über den Schutz aller Beteiligten vor Missbrauch und Fehlinformation bis zur Notwendigkeit, breiten Zugang zu notwendiger Hard- und Software sicherzustellen.

Als Maßstab für staatliches Handeln wirft die Unesco vier Fragen auf, die beim Einsatz von Technologie im Bildungswesen berücksichtigt werden sollten: Ist die Nutzung von Bildungstechnologie angemessen für nationale und lokale Kontexte? Ist ihr Einsatz skalierbar? Leistet sie einen Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft der Bildung? Und schlussendlich sei zu fragen, "ob die Verwendung von Bildungstechnologie Lernende zurücklässt".

Es ist also die Orientierung am Postulat "Leaving No One Behind" aus der Agenda 2030 und an globaler Gerechtigkeit, die die Unesco mehr beschäftigt als ein einfaches Verbot, das nichts zu tun hat mit der Überwindung bestehender Ungleichheiten. Ob zu Fragen der Technologie, des Bildungszugangs oder ganz allgemein: Es wäre zu wünschen, diesen Anspruch einer Inklusion aller Menschen als Vorbedingung jeder Bildungsdebatte außer Frage zu stellen. (Martin Fritz, 11.8.2023)