Gute Geschichten sind in vielen Lebensbereichen das Um und Auf. Am Stammtisch zum Beispiel, vornehmlich zur Unterhaltung der Anwesenden, oder im Marketing, um ein Produkt emotional aufzuladen, damit es sich besser verkaufen möge. Die Autoindustrie beherrscht dieses Spiel meisterlich, ebenso die Uhrenbranche. Dort wird gern auf althergebrachtes, traditionelles Handwerk verwiesen. Geworben wird mit A-Listen-Promis, mit dem Status des Produkts, der auf den Träger übergehen soll, oder mit zeitlosem Design. Nicht zuletzt mit einem Storytelling, bei dem ein Hauch von Abenteuer, Draufgängertum und Gefahr mitschwingt.

Der Reiz des Verbotenen

Jack Heuer, Urenkel des Gründers der Uhrenmarke Heuer, heute TAG Heuer, war das früh bewusst. Und so hörte er 1962 sehr aufmerksam zu, als ihm die Eltern der mexikanischen Rennfahrer Ricardo und Pedro Rodríguez während des Zwölfstundenrennens in Sebring von der Carrera Panamericana erzählten. Einem Rennen, das es zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren nicht mehr gab: So gefährlich war die rund 3.500 Kilometer lange Strecke quer durch Mexiko, dass die Rallye 1954 verboten wurde.

Sechzig Jahre nach Erscheinen der Carrera stellte TAG Heuer in diesem Jahr eine neue Version des Chronografen vor.
Sechzig Jahre nach Erscheinen der Carrera stellte TAG Heuer in diesem Jahr eine neue Version des Chronografen vor.
TAG Heuer

"In fünf Jahren forderte die Carrera Panamericana 30 Opfer", erinnert sich der heute über 90-jährige Jack Heuer in seiner 2013 erschienenen Autobiografie. Er sei sofort elektrisiert gewesen – was für eine Geschichte, was für eine Chance in den Motorsport-verrückten Sixties. Carrera! "Ich liebte nicht nur den sexy Sound dieses spanischen Wortes, sondern auch seine verschiedenen Bedeutungen: Straße, Rennen, Kurs und Karriere", berichtet er und erkannte darin "alles, was Heuer ausmacht". Tatsächlich tummelte sich Heuer als Stoppuhrenhersteller schon seit geraumer Zeit auf allen namhaften Rennstrecken der Welt, war in der Motorsportwelt hoch angesehen.

Dem Kind einen rasanten Namen geben

"Sobald ich wieder zurück in der Schweiz war, ließ ich den Namen registrieren", schildert Heuer. Heuer Carrera war geboren. Zunächst als Name, als Logo, 1963 dann als Uhr. Jack Heuer, Fan der Werke von Le Corbusier, Eero Saarinen, Charles Eames und Oscar Niemeyer, gestaltete den Chronografen ganz nach seinem Geschmack: als Zeitmessinstrument mit Tachymeterskala, mit klarem Design, gut ablesbar, ohne Schnickschnack.

Selbst nach 60 Jahren wirkt die Carrera nicht altbacken, auch dank sorgfältiger Modellpflege innen wie außen, und ist eine tragende Säule im Portfolio von TAG Heuer, mittlerweile eine Marke unter dem Dach der LVMH. Ein Bestseller, auch wenn man davon ausgehen kann, dass die wenigsten Käuferinnen und Käufer den klingenden Namen der Uhr mit einem potenziell tödlichen Autorennen in Verbindungen bringen. Dann wohl eher mit dem gleichnamigen Kinderspielzeug, der Sonnenbrillenmarke oder – Porsche.

Uhr und Auto teilen sich den wohlklingenden Schriftzug
Uhr und Auto teilen sich den wohlklingenden Schriftzug "Carrera".
TAG Heuer

Dort ist man 1972 auf der Suche nach einem neuen Namen für den Verkauf des leistungsstärksten Serienmodells im Portfolio. Der sollte sich von den übrigen 911-Modellen deutlich abheben. Man entsinnt sich der Rennautos, die 1954 erfolgreich an der Carrera Panamericana teilgenommen haben und für die bereits der Namenszusatz Carrera geläufig ist. Und so ziert Mitte 1972 erstmals der Schriftzug den Serienwagen 911 Carrera RS 2.7. Zu dessen 50-jährigem Jubiläum im vergangenen Jahr brachte TAG Heuer eine Sonderedition der Carrera heraus. Ehrensache.

1988 wurde übrigens die Carrera Panamericana wiederaufgenommen, als Rallye für Oldtimer, mit entschärfter Streckenführung. (RONDO, Markus Böhm, 21.8.2023)